Auch in der DDR wurden Computer hergestellt – sie waren jedoch kaum erschwinglich
Hintergrund

Auch in der DDR wurden Computer hergestellt – sie waren jedoch kaum erschwinglich

Kevin Hofer
6.6.2023

Desktop-Computer gab es auch in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Dort hiessen sie Kleincomputer statt wie bei uns Heimcomputer.

In den Achtzigern machen sich im Westen die ersten Computer in den eigenen vier Wänden breit. Dasselbe soll in der DDR geschehen. Jedoch macht die sozialistische Zentralplanwirtschaft dem einen Strich durch die Rechnung: Die Produktionskapazitäten reichen schlicht nicht aus, um jedes Daheim mit einem in der DDR entwickelten Computer auszustatten. Deshalb machen die meisten Menschen im Osten ihre ersten Computererfahrungen nicht zu Hause. Die Bezeichnung als «Kleincomputer» statt «Heimcomputer» macht also durchaus Sinn – es standen kaum welche in den trauten Heimen.

Der gleiche Chip in beinahe allen DDR-Rechnern

Die DDR-Führung forciert bereits ab den 1950er-Jahren die Elektrotechnik und später die Mikroelektronik. Das CoCom-Embargo von 1949 der westlichen Staaten verbietet die Einfuhr von Hochtechnologie in sozialistische Länder. Deshalb ist Ostdeutschland auf Eigenentwicklungen angewiesen – oder auf Kopien.

Der Chip U880 steckt in beinahe jedem DDR-Rechner bis zur Wende.
Der Chip U880 steckt in beinahe jedem DDR-Rechner bis zur Wende.
Quelle: Wikipedia

Die DDR kupfert den ersten eigenen Chip bei Zilog ab. Der US-amerikanische Hersteller bringt 1976 den Z80 heraus. Der 8-Bit-Chip ist mit dem legendären Intel 8080 kompatibel, aber leistungsfähiger. Der erste Ost-Chip, der U880, ist eine fast identische, nicht lizenzierte Kopie des Z80. Der U880 wird ab 1980 im Volkseigenen Betrieb (VEB) Mikroelektronik «Karl Marx» gefertigt und steckt bis zum Ende der DDR in beinahe jedem Kleincomputer.

Die bekanntesten Rechner, in denen der Chip steckt, sind der KC85, PC1715 und der Bausatz Z1013. Bei all diesen Rechnern hat das VEB Kombinat Robotron die Hände im Spiel. Das Kombinat ist für die Herstellung verschiedener Produkte der Datenverarbeitung und Rechnertechnik zuständig. Bis zu 70 000 Mitarbeitende sind für Robotron tätig. Ein Grossteil der produzierten Computer wird exportiert.

KC85

Der Kleincomputer 85 (KC85) wird von 1984 bis 1990 in Mühlhausen hergestellt. Er erfährt mehrere Updates. Ursprünglich erscheint er als HC 900, gefolgt vom KC85/2 (1985), KC85/3 (1987) und KC85/4 (1988). Das Gerät verfügt über eine abgesetzte Tastatur, eine farbige Vollgrafik mit 320 x 256 Pixeln, 16 Vorder- und acht Hintergrundfarben sowie ein Kassetteninterface. Als Bildschirm dient ein Fernseher. Um Daten auf den Magnetbandkassetten zu finden, musst du spulen. Kostenpunkt für das gute Stück: um die 4000 DDR-Mark – also etwa vier Monatseinkommen.

Der KC85 wird mit Magnetbandkassetten gefüttert.
Der KC85 wird mit Magnetbandkassetten gefüttert.
Quelle: Wikipedia

Der Rechner kommt vor allem in Industrie, Militär und Berufsausbildung zum Einsatz. Viele Jugendliche erhalten in der Schule Zugang zum KC85. Dazu müssen die DDR-Kids aber erst Theorie büffeln. Erst dann geht es an die Rechner. Zeitzeuge Andre Weissflog erinnert sich im Buch «Auferstanden aus Platinen» folgendermassen:

Also bevor wir da erst einmal überhaupt an den Rechner ran konnten, haben wir zehn Monate Theorie gebüffelt und BASIC programmiert und alles so'n Zeugs. Und da ging das dann auch los, dass die ersten Spiele programmiert wurden, so dann halt als Freizeitprojekte.
Andre Weissflog

Weiter sagt Weissflog, dass es eine Selbstverständlichkeit war, Programme – vor allem Spiele – weiterzugeben. Die Spiele werden auf Kassetten gespeichert und per Post verschickt.

Noch heute gibt es Menschen, die fasziniert von dem Rechner sind. Der KC-Club veröffentlicht regelmässig eine Informationsschrift und organisiert Treffen.

PC1715

Der PC1715 ist sowas wie der Standard-Computer der DDR. Mit anfänglich über 19 000 DDR-Mark kostet er nochmal deutlich mehr als der KC85. Von 1985 bis 1989 werden im Büromaschinenwerk Sömmerda über 93 000 Geräte gefertigt. Eigentlich soll sich das Werk auf die Druckerproduktion konzentrieren. Die Verantwortlichen wollen jedoch auf die aufstrebende Produktgruppe PC setzen. Dank Kontakten zur Sowjetunion und dem Vorwand, eine Buchungsmaschine für diese zu entwickeln, entsteht der PC 1715.

Die zwei Diskettenlaufwerke des PC1715 sind prominent auf der Front.
Die zwei Diskettenlaufwerke des PC1715 sind prominent auf der Front.
Quelle: Wikipedia

Der Computer ist in Braun und Weiss erhältlich. Er muss ohne Festplatte auskommen, hat dafür zwei Diskettenlaufwerke. Die Disketten speichern bis 800 Kilobyte. Zum PC1715 gibt es drei Tastaturmodelle, die sich nur durch die Form der Tasten unterscheiden.

Der PC1715 wird vor allem für die Büroarbeit eingesetzt. Etwa in der Betriebspoliklinik Buna. Hier beginnen erste Überlegungen zur elektronischen Datenverarbeitung (EDV) bereits 1985. Umfangreiche Vorbereitungen, die in einem Investitionsantrag mit Rentabilitätsnachweis münden, sind nötig. Der erste PC1715 wird 1986 bewilligt. Für Betriebe gilt in der DDR dasselbe wie für Privatpersonen: Wer etwas will, muss Geduld haben.

Z1013

Geschätzt 50 000 PC-Arbeitsplätze gibt es in der DDR zur Wende. Wie viele PCs im Privatbesitz sind, ist nicht bekannt. Vom PC1715 und KC85 sind es aufgrund der Preise wohl nur wenige. Deshalb entwickelt der VEB Robotron den Z1013.

Der Z1013 kommt als Bausatz ohne Gehäuse.
Der Z1013 kommt als Bausatz ohne Gehäuse.
Quelle: Wikipedia

Bei dem Kleinrechner handelt es sich um einen Bausatz ohne Gehäuse. Er kostet 650 DDR-Mark und muss schriftlich vorbestellt werden. Die Abholung erfolgt persönlich im Robotron-Fachgeschäft in Erfurt. Von 1985 bis 1990 werden etwa 25 000 Bausätze hergestellt.

DDR-Bürger Jens Müller ergattert sich einen dieser Bausätze. An ihm lernt er die Programmiersprachen Assembler und Basic. Seine Hausaufgaben fürs Informatikstudium erledigt er ebenfalls an dem Rechner. Viele seiner Kommilitonen müssen sich für etwas Zeit am Computer im Rechenkabinett anstellen. Nach der Wende gerät sein Z1013 dennoch in Vergessenheit. Die Computer aus dem Westen können einfach mehr.

Müller entdeckt seinen Z1013 im Jahr 2001 wieder und seine alte Liebe entfacht von Neuem. Er entwickelt eine Software, die das System des alten Rechners nachahmt. Der Kleincomputer-Enthusiast stellt JKCEMU auf seiner Homepage zur Verfügung. Der Emulator ahmt heute beinahe alle Kleincomputer der DDR nach.

Aber nicht nur auf Emulatoren leben die DDR-Rechner weiter. Tatsächlich benutzen Fans der alten Geräte sie auch weiterhin. Die alten Computer scheinen für die Ewigkeit gebaut.

Titelbild: Wikipedia

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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