Aufstieg und Fall: So hat Blizzard die Magie verloren
Hintergrund

Aufstieg und Fall: So hat Blizzard die Magie verloren

Blizzard steht wie kein anderes Studio für makellose PC-Spiele. «Warcraft», «Diablo», «Starcraft», «World of Warcraft», alles, was es anfasst, wird zu Gold. Allmählich verblasst jedoch der Glanz und legt erschreckend rostige Stellen frei.

2004: Blizzard veröffentlicht «World of Warcraft». Die Kritiker überschlagen sich mit Lob und doch ahnt niemand, dass WoW das bis heute erfolgreichste MMO aller Zeiten werden würde. Es ist eine Zeit, in der Blizzard nichts falsch macht. «Diablo 1» und 2, «Starcraft», «Warcraft 3»; jedes Spiel der amerikanischen Spieleschmiede wird von Fans frenetisch gefeiert. Die Marke Blizzard gilt als Qualitätssiegel. Kaum ein anderes Studio geniesst den Ruf, fast makellose Spiele zu veröffentlichen.

2007, respektive 2008, folgt ein Ereignis, das das erfolgsverwöhnte Unternehmen nachhaltig verändern wird. Blizzards Übernahme durch Vivendi, welche ein Jahr später wiederum mit Activision zu einem einzigen Unternehmen verschmilzt, stellt eine neue Weiche für Blizzard. Anfangs ist es nur ein Rascheln, aber schon bald stauen sich die Probleme zu einem lauten Poltern an. Den absoluten Tiefpunkt hat Blizzard mit der laufenden Klage wegen weit verbreiteten Missbrauchsfällen erreicht. Wie konnte es so weit kommen?

Aus zwei wird eins

Silicon & Synapse mit Allen Adham im gestreiften Hemd und Mike Morhaime rechts aussen. Bild: Blizzard
Silicon & Synapse mit Allen Adham im gestreiften Hemd und Mike Morhaime rechts aussen. Bild: Blizzard

Blizzard entsteht Anfang 90er-Jahre durch den Zusammenschluss zweier Spielefirmen. 1991 gründen Michael Morhaime, Allen Adham und Frank Pearce Silicon & Synapse. Zu ihren ersten Werken gehören «Rock n' Roll Racing» und «The Lost Vikings». Damit sie nicht ständig mit Chipherstellern verwechselt werden, benennt sich das Studio zwei Jahre später in Chaos Studios um. Wegen Rechtsstreitigkeiten ist aber auch dieser Name nicht von Dauer. Die Chaos Studios werden in der Zwischenzeit nach drei Jahren Unabhängigkeit von der Software-Firma Davidson & Associates übernommen, denen der neue Vorschlag Ogre Studios aber auch nicht gefällt. Also blättert Adham durch ein Wörterbuch bis er einen passenden Namen findet, der noch nicht geschützt ist. Die Wahl fällt auf das heute ikonische Blizzard.

Das erste Spiel, das sie unter neuem Namen entwickeln, heisst «Warcraft: Orcs & Humans». Das Spielprinzip orientiert sich an Westwoods Strategiespiel «Dune 2». Mit zwei erfolgreichen Nachfolgern legt Blizzard nicht nur den Grundstein für «World of Warcraft», sondern dank einer aktiven Modding-Szene auch den für MOBAs wie «Dota» und «League of Legends».

Das ehemalige Condor-Team mit David L. Craddock, dem Author der Blizzard-Biographie «Stay Awhile and Listen». Von links: David Brevik, David L. Craddock, Erich Schaefer und Max Schaefer. Bild: David L. Craddock
Das ehemalige Condor-Team mit David L. Craddock, dem Author der Blizzard-Biographie «Stay Awhile and Listen». Von links: David Brevik, David L. Craddock, Erich Schaefer und Max Schaefer. Bild: David L. Craddock

Der zweite Teil von Blizzard heisst ursprünglich Condor Games. Das Studio wird 1993 von David Brevik sowie den beiden Brüder Erich und Max Schaefer gegründet. Sie starten ihre Karriere mit Auftragsarbeiten von Konsolen-Portierungen wie «NFL Quarterback Club '95» für den Game Boy. Auf den Radar von Blizzard gelangen sie mit dem Protoypen ihres ersten eigenen Spiels. Einem düsteren rundenbasierten Fantasy-Rollenspiel namens «Diablo». 1996 wird Condor Games von Blizzard übernommen und in Blizzard North umgetauft. Sie behalten ihre Unabhängigkeit und können fortan all ihre Energie in die Entwicklung von «Diablo» stecken.

«Diablo» half dem Hack-and-Slash-Genre zum Durchbruch.
«Diablo» half dem Hack-and-Slash-Genre zum Durchbruch.

Bevor das Spiel 1997 veröffentlicht wird und eine Schar an Nachahmern auf den Platz ruft, durchfährt es aber eine entscheidende Änderung. Inspiriert von Taktik-Spielen wie «Xcom», ist «Diablo» ursprünglich nicht als Echtzeit-Action-Spiel geplant. Die neuen Besitzer sind zwar begeistert vom Konzept, aber für sie ist klar, das Spiel muss in Echtzeit sein. Das hat ihnen ihre eigene Erfahrung mit «Warcraft» gezeigt, wo die besten Momente entstehen, wenn man unter Druck schnelle Entscheidungen fällen muss.

Also macht sich Brevik widerwillig an die Arbeit. Als er merkt, dass er im Prinzip nur die Zeit verkürzen muss, in dem Aktionen ausgeführt werden, hat er bereits in wenigen Stunden eine neue Version programmiert. Im Buch «Stay awhile and Listen» von David L. Craddock sagt er: «Ich weiss es noch, als wäre es gestern gewesen. Ich klickte auf ein Monster. Die Spielfigur lief hin, zertrümmerte das Skelett und es fiel zu Boden. Oh mein Gott, das ist unglaublich!» In dem Moment weiss er: «Diablo» wird eine Sensation.

Der Goldstandard unter den PC-Spielen

In den Neunzigerjahren ist der Name Blizzard Synonym für erstklassige PC-Spiele. Auf «Warcraft» 1994 folgt «Diablo» 1997 und ein Jahr später bereits «Starcraft». Das Sci-Fi-Echtzeitstrategiespiel schlägt ein wie eine Bombe. Die Saga um den Dreifronten-Krieg zwischen Terranern, Zerg und Protoss sorgt besonders durch den Multiplayer-Modus für langanhaltenden Erfolg und eine bis heute aktive E-Sport-Szene.

Battle.net ist noch heute der Name des PC-Launchers von Activision Blizzard.
Battle.net ist noch heute der Name des PC-Launchers von Activision Blizzard.

Möglich macht das Battle.net. Ein gratis Online-Service, der es Spielern erlaubt mit- oder gegeneinander zu spielen. Er erscheint 1997 parallel zu «Diablo» und ist für viele das eigentliche Highlight des Monster-Metzel-Spiels. Statt alleine die dunklen Dungeons zu erkunden, kann man nun als Gruppe den Höllenlord herausfordern.

So richtig startet Battle.net aber erst 2000 mit dem Launch von «Diablo 2» durch. Endlich gibt es Dedicated Server. Damit kannst du deinen Charakter sowohl online wie auch lokal spielen. Dies verleiht dem ohnehin bereits hochgelobten Nachfolger weiter Auftrieb.

2002, als Echtzeitstrategiespiele immer mehr ins Hintertreffen geraten, trotzt Blizzard dem Trend mit dem nächsten Homerun namens «Warcraft III: Reign of Chaos». Besonders beliebt ist die Erweiterung «The Frozen Throne» an deren Ereignisse das bis anhin grösste Projekt des Studios anknüpft: «World of Warcraft». Ein epochales MMO, das im Universum der Warcraft-Serie angesiedelt ist und tausende Spieler auf gemeinsamen Servern zusammenführt.

«World of Warcraft» erscheint 2004 und erobert die Welt im Sturm. Millionen wollen die Welt von Azeroth als Orc, Zwerg oder Untoter erkunden. Mit dem Spiel dringt Blizzard endgültig zum Mainstream durch. Stars wie Vin Diesel, Mila Kunis oder Smudo von den Fantastischen Vier stehen öffentlich zu ihrer WoW-Sucht. Im bisher erfolgreichsten Jahr 2010 zählte WoW 12 Millionen aktive User. Obwohl es eine riesige Welle an Nachahmern auf den Platz ruft, kann kein anderes MMO diesen Rekord knacken.

«Diablo», «Starcraft» oder «World of Warcraft» verbindet, dass sie nicht blind einem bestehenden Trend gefolgt sind. Blizzard hat seit jeher ein eigenes Tempo und eine eigene Herangehensweise beim Design ihrer Spiele. Ein Rezept das immer und immer wieder von Erfolg gekrönt ist. Der Ruf des unfehlbaren Studios hat aber auch seine Kehrseiten. Wie Jahre später ans Licht kommen sollte, nährt der Erfolg bei vielen lang eingesessenen Entwicklern eine Rockstar-Mentalität, die das Klima im Unternehmen langsam vergiftet.

Blizzard North löst sich auf

Bevor «World of Warcraft» zum alles dominierenden Game-Koloss aufsteigt, rumpelt es erstmals gewaltig bei Blizzard, genauer gesagt bei Blizzard North, den Entwicklern von «Diablo». Seit der Gründung hat das Unternehmen mehrfach den Besitzer gewechselt. Am entscheidendsten dürfte die Übernahme durch Vivendi, respektive Activision sein. Vivendis Wirken beginnt bereits 1998. Blizzard gehört damals zu Sierra, die werden vom französischen Publisher Havas übernommen, welcher wiederum Teil von Vivendi ist.

Screenshots einer frühen Fassung von «Diablo 3». Bild: Blizzard, Oscar Cuestas
Screenshots einer frühen Fassung von «Diablo 3». Bild: Blizzard, Oscar Cuestas

Der steigende Einfluss von Vivendi führt besonders bei Blizzard North zu Interessenkonflikten. 2003 verlassen als Folge rund 30 Mitarbeiter das Unternehmen, darunter Gründer David Brevik und die Schaefer-Brüder. Ihnen missfällt das Imperium, in das sich Blizzard verwandelt hat und wollen nicht mehr nach der Pfeife von Aktionären tanzen. Zwei Jahre später flechtet Vivendi die Überreste von Blizzard North mit Blizzard South zu Blizzard Entertainment zusammen. Ein Hauptgrund für diese Entscheidung ist die unbefriedigende Entwicklungsrichtung von «Diablo 3». Damit ist das Ende des ehemaligen Condor-Studios besiegelt.

Der erste Fehltritt

Der Erfolg von «World of Warcraft» weckt das Interesse von Bobby Kotick. Der CEO von Activision ist 2006 mit beiden Händen damit beschäftigt, sein Unternehmen vor dem Bankrott zu retten. Dem heutigen Zugpferd «Call of Duty» sollte erst 2007 mit «Modern Warfare» der Durchbruch gelingen. Somit ist die Gelddruckmaschine «World of Warcraft», die damals jährlich 1.1 Milliarden US-Dollar an Abo-Einnahmen einbringt, genau das richtige. Vivendi ist sich dessen aber ebenfalls bewusst, weshalb sie der Fusion mit Activision nur zustimmen, solange sie die Aktienmehrheit behalten. Kotick akzeptiert und 2008 wird das neue gemeinsame Unternehmen Activision Blizzard getauft. Blizzard behält den Grossteil seiner Autonomie und stellt mit Mike Morhaime auch weiterhin einen eigenen CEO. Noch Jahre später rühmt sich das Studio, neben Activision und deren Unterstudios eine eigene Einheit zu bilden mit eigener Management-Struktur und eigenem Campus. Auch von einem strikten Release-Zyklus wie bei «Call of Duty» bleiben sie verschont – vorerst.

So veröffentlicht Blizzard im eigenen Tempo drei «World of Warcraft»-Addons, den ersten Teil der «Starcraft 2»-Trilogie und schliesslich am 15. Mai 2012 das heissersehnte «Diablo 3». Die Erwartungen sind riesig und Spieler auf der ganzen Welt stürzen sich in die Klick-Schlacht – nur um vom «Error 37» wieder gekickt zu werden. In den ersten Tagen ist die Fehlermeldung omnipräsent und hält tausende Spieler davor ab, das Action-RPG geniessen zu können. Fast noch schlimmer aber ist das Auktionshaus, wo Beute für echtes Geld gekauft und verkauft werden kann. Das füllt die Kassen von Activision Blizzard, dem Balancing des Spiels fügt es erheblichen Schaden zu. Auch das End-Game ist zu Beginn praktisch inexistent.

Der Launch wurde überschattet von Server-Problemen und dem verhassten Error 37.
Der Launch wurde überschattet von Server-Problemen und dem verhassten Error 37.

Trotz holprigem Start entwickelt sich «Diablo 3» zu einem bis heute populären und äusserst beliebten Spiel. 2014 wird das Echtgeld-Auktionshaus geschlossen und mit «Reaper of Souls» erscheint ein rundum beliebtes Add-on. Als es aber darum geht, das zweite geplante Add-on anzugehen, legt sich das Management quer. «Ihr habt Reaper of Souls fertiggestellt. Es ist wirklich gut. Aber wir finden, es ist das beste für die Marke mit ‹Diablo 4› weiterzumachen, in welcher Form auch immer», erinnert sich ein Teammitglied an die Aussagen des Managements in einem Interview mit Kotaku. «Für unser Team war das ein klares Misstrauensvotum durch das Management. Für sie war Diablo 3 ein gigantischer Fuck-Up», wird eine weitere Person zitiert.

Unabhängig vom Endprodukt hat die Launch-Version von «Diablo 3» den ersten Fleck auf Blizzards bis dahin weisser Weste verursacht – zumindest im öffentlichen Auge. Ein zweiter, viel grösserer sorgt für weniger Aufsehen. Nur ein Jahr nach dem Release von «Diablo 3» wird stillschweigend Blizzards bisher ambitioniertestes Projekt eingestellt. Project Titan sollte ein neues Sci-Fi-MMO werden, das «Die Sims», «Left 4 Dead» und «Team Fortress» vereint. Die Arbeiten daran begannen bereits 2007. Sechs Jahre später wird dem Projekt nach langwieriger Entwicklungszeit der Stecker gezogen. Es ist der eigentliche erste Fehltritt von Blizzard. Unmengen an Zeit und Geld wurden in das Projekt gesteckt und weil die Existenz bereits 2008 vom Unternehmen bestätigt wurden, wissen auch viele davon.

Die Narben von Project Titan sind bis heute nicht ganz verheilt. So sei aus Angst vor einem erneuten Desaster die Ankündigung von «Diablo 4» mehrfach verschoben worden, berichtet Branchen-Kenner Jason Schreier. Der vierte Teil des höllischen Action-RPGs durchlief bereits einen grösseren Neustart. Auch wenn der Geist von Project Titan wie das Damoklesschwert über den Köpfer der Entwickler*innen schwebt, entspringt dem ganzen auch etwas Gutes: Aus den Überresten entsteht «Overwatch».

Activision drückt aufs Gaspedal

Bobby Kotick will mehr Einfluss bei Blizzard.
Bobby Kotick will mehr Einfluss bei Blizzard.

Bevor Blizzard mit «Overwatch» die nächste Genre-Revolution gelingt, sorgt eine andere Entwicklung für folgenreiche Änderungen. 2013 übernimmt Activision von Vivendi die restlichen Firmenanteile. Mit der vollständigen Kontrolle beginnt Kotick seine Vasallen bei Blizzard zu installieren, schreibt Schreier in einem Tweet. Die Unabhängigkeit soll eingedämmt und die Release-Kadenz erhöht werden. Die Unregelmässigkeit, mit der Blizzard Spiele und Erweiterungen veröffentlicht, ist Activision ein Dorn im Auge.

2014 veröffentlicht Blizzard «Hearthstone» und läutet das bis heute andauernde Zeitalter der Kartenspiele ein. Es ist das erste Spiel, das auch auf mobilen Plattformen erscheint.

Ein Jahr später folgt mit «Heroes of the Storm» bereits der nächste Titel. Es ist Blizzards Antwort auf «Dota» und «League of Legends» mit Helden und Kreaturen aus dem eigenen Universum. Trotz positiver Resonanz gelingt dem Spiel nie der grosse Durchbruch. 2018 verkündet Blizzard überraschend, den Support für die E-Sport-Szene einzustellen. Das Entwicklerteam wird drastisch gekürzt und anderen Projekten zugeteilt. Auch wenn «Heroes of the Storm» noch heute gespielt wird, markiert der Entscheid das faktische Ende des Spiels.

Viele Assets von «Titan» fanden ihren Weg in «Overwatch».
Viele Assets von «Titan» fanden ihren Weg in «Overwatch».

Deutlich mehr Erfolg hat Blizzard mit «Overwatch». Mit dem aus der Asche von Project Titan entstandene Spiel betritt das Studio einmal mehr Neuland. Multiplayer-Shooter haben 2016 nicht wirklich Hochkonjunktur und doch gelingt Blizzard ein weiterer Überraschungshit. Das bunte Raster aus Helden und die dynamischen 6v6-Matches sind ein voller Erfolg. Das Genre der Heroshooter ist geboren. Mit Activision Blizzard als treibende Kraft entwickelt sich «Overwatch» zu einem der populärsten E-Sport-Titel auf dem Markt.

Die schönsten Lorbeeren können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Blizzard seit «Overwatch» kein neues Spiel veröffentlicht hat. Erweiterungen, Remaster und drei Spieleankündigungen hat das Unternehmen seit 2016 vorzuweisen, mehr nicht. Die Folge: Seit 2018 erhöht Activision den Druck, Kosten zu senken und mehr Spiele zu veröffentlichen. Ein Veteran sagt in einem Interview mit Kotaku: «Das Finanzdepartement bei Blizzard war bisher einer dieser unsichtbaren Funktionen, die da waren, aber nichts zu sagen hatten. Nun sind sie plötzlich in Meetings.»

Blizzard-Gründer Mike Morhaime verlässt 2018 nach 28 Jahren das Unternehmen. Bild: Flickr/SobControllers

2018 endet eine weitere Ära. Gründer und CEO Mike Morhaime hat Koticks zunehmende Einmischungen satt und verkündet nach 28 Jahren das Unternehmen zu verlassen. Zusammen mit weiteren Blizzard-Veteranen gründet er wenig später ein neues Studio namens Dreamhaven. Sein Nachfolger wird J. Allen Brack. Nur ein Jahr nach Morhaimes Abgang entlässt Activision Blizzard knapp 800 Mitarbeiter. Wenige Monate zuvor hatte Kotick 2018 als das bisher erfolgreichste Jahr für Activision Blizzard bezeichnet.

«Diablo Immortal», Blitzchung und «Warcraft 3»

Der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen bringt, ist die Ankündigung von «Diablo Immortal» an der Blizzcon 2018. Statt das heiss erwartete «Diablo IV» zu sehen, werden Fans mit einem Mobile-Spiel abgespeist, das in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Studio NetEase produziert wird. Der Aufschrei ist riesig. Blizzard, das Studio, das sich einen Ruf verdient hat, bestehende Spielsysteme neu zu erfinden, zu perfektionieren, wenn andere sie längst für tot erklärt haben. Das Studio, das nicht müde wird zu betonen, dass sie in erster Linie ein PC-Entwickler sind. Als ein Fan fragt, ob das Spiel auch für PC erscheine, lautet die Antwort: nein. Auf das folgende Boo-Konzert reagiert Entwickler Wyatt Cheng überrascht: «Habt ihr kein Smartphone?» Natürlich haben sie das, aber für Mobile-Games sind die Fans nicht an die Blizzcon gereist. Für sie ist das Spiel aber auch gar nicht gedacht. Im Fokus steht vielmehr der lukrative chinesische Markt. Wie wichtig dieser ist, zeigt Blizzards nächster Fehltritt.

Cheng wurde mit seinem Spruch: «Do you guys not have phones?», über Nacht zum Meme. Bild: Blizzard
Cheng wurde mit seinem Spruch: «Do you guys not have phones?», über Nacht zum Meme. Bild: Blizzard

2019 kommt es in Hongkong zu Massenprotesten gegen Chinas zunehmenden Einfluss. Die Proteste werden von den Behörden gewaltsam niedergeschlagen. Zur selben Zeit nimmt der gebürtige Hongkonger Ng Wai Chung, besser bekannt als Blitzchung, am Hearthstone Grandmasters teil. Das Interview nach seinem Sieg nutzt er, um seine Unterstützung für Widerstandsbewegung kundzutun. Kaum hat er den Satz: «Befreit Hongkong, die Revolution unserer Zeit» ausgesprochen, wird der Livestream auch schon unterbrochen. Blizzard verbannt daraufhin Blitzchung nicht nur vom Turnier, sondern konfisziert auch sein Preisgeld und sperrt ihn für ein Jahr. Zwar befürworten sie Meinungsfreiheit, aber offenbar nicht während eines Turniers. J. Allen Brack reduzierte später zwar den Bann auf ein halbes Jahr und gewährte Blitzchung sein Preisgeld. Seine Aussage: «Unsere Beziehungen zu China haben nichts mit der Entscheidung zu tun» wirkt jedoch nicht glaubwürdig.

Blitzchung am Hearthstone Grandmasters. Bild: Blizzard
Blitzchung am Hearthstone Grandmasters. Bild: Blizzard

Der jüngste Fehltritt, der bei vielen Spielern noch frisch in Erinnerung ist, heisst «Warcraft 3 Reforged». Es soll ein aufwendig aufgearbeitetes Remaster des knapp 20 Jahre alten «Warcraft 3» werden. Ein weiteres Mal enttäuscht Blizzard jedoch seine Fans. Nicht nur fehlen im Januar 2020 veröffentlichten Spiel viele versprochene Features, unzählige Bugs plagen den Titel zum Launch. Am schlimmsten ist jedoch der überarbeitete Multiplayer-Teil, der die Originalversion unspielbar macht und alle Spieler zum Update zwingt. Fans fühlen sich von Blizzard betrogen. Die Rückerstattung des Kaufpreises kann daran auch nichts ändern.

Der Grund für das desaströse Remaster liegt laut Recherche von Bloomberg beim «Missmanagement und finanziellen Druck». Activision soll Blizzard gedrängt haben, die Kosten zu senken und grössere Titel zu bevorzugen.

Missbrauchskandal

Wie tief der Rott in Activision Blizzard steckt, zeigt sich aber nirgends deutlicher wie in den letzten Wochen. Frühere Meldungen über Missstände innerhalb des Unternehmens werden regelrecht überschwemmt von neuen Anschuldigungen und Vorwürfen. Ausgelöst wurden sie durch eine zweijährige Untersuchung durch das Department für faire Arbeitsbedingungen und Wohnen des US-Bundestaats Kalifornien die in einer Klage endete. So seien sexuelle Belästigungen, unerwünschte Annäherungen, Begrabschungen im Unternehmen weit verbreitet. Frauen würden ausserdem schlechter bezahlt und bekämen mindere Arbeiten zugeteilt, heisst es in der Untersuchung weiter. Beschwerden sowohl beim HR als auch beim damaligen Präsident J. Allen Brack seien ignoriert worden. Es herrsche eine Stimmung wie in einer Studentenverbindung.

Präsident J. Allen Brack hat das Unternehmen mittlerweile verlassen. Wie auch bei anderen ranghohen Mitarbeitern wurde der Grund dafür bisher nicht genannt.
Präsident J. Allen Brack hat das Unternehmen mittlerweile verlassen. Wie auch bei anderen ranghohen Mitarbeitern wurde der Grund dafür bisher nicht genannt.

Als Folge haben bereits zahlreiche hochrangige Mitglieder das Unternehmen verlassen. Dazu gehören Brack, der Präsident, Jesse Meschuk, der HR-Chef, Luis Barriga, Game Director bei Diablo IV, Jesse McCree, Chef-Level-Designer bei Diablo IV und Jonathan LeCraft, Level Designer bei «World of Warcraft». Ausserdem sind mit Coca-Cola, Kellogg, IBM und Pringles viele grosse Sponsoren bei der «Overwatch»-Esport-Liga abgesprungen. Die Klage bildet den aktuellen Tiefpunkt des einstigen Vorzeigestudios.

Kotick greift nach der Macht

Ob die aktuelle Klage zur Besserung führt, ist ungewiss. Erste Reaktionen seitens Activision Blizzard CEO Bobby Kotick stimmen nicht positiv. Seine Statements wurden von Mitarbeitern als leere Versprechungen zurückgewiesen. Selbst den Aktionären reichen die angekündigten Massnahmen deutlich zu wenig weit. Besonders dass eine unqualifizierte Anwaltsfirma, die zuvor bereits im Auftrag von Activision Blizzard arbeitete, für die Untersuchung zuständig sein soll, wird nicht gutgeheissen.

Bleibt zu hoffen, dass «Diablo IV» die Missbrauchvorfälle nicht einfach wieder vergessen macht.
Bleibt zu hoffen, dass «Diablo IV» die Missbrauchvorfälle nicht einfach wieder vergessen macht.

Kotick könnte der Skandal dennoch recht sein, erlaubt es ihm doch, seinen Einfluss auf Blizzard zu vergrössern. Das zeigt sich schon deutlich in der Bezeichnung des ranghöchsten Blizzard-Mitarbeitenden. War Mike Morhaime noch offiziell CEO, lautete J. Allen Bracks Titel noch Präsident. Dessen Nachfolger Jen Oneal und Mike Ybarra werden gar nur als Führungsduo bezeichnet. Die Chancen, dass Blizzard unter diesen Voraussetzungen zum einstigen Stern aufsteigen wird, sind gering. Kotick kann spekulieren, dass sich für viele Gamer und Aktionäre das Thema bereits mit einem erfolgreichen «Diablo IV» erledigt haben wird. Hoffen wir, dass er sich irrt.

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Als Game- und Gadget-Verrückter fühl ich mich bei digitec und Galaxus wie im Schlaraffenland – leider ist nichts umsonst. Wenn ich nicht gerade à la Tim Taylor an meinem PC rumschraube, oder in meinem privaten Podcast über Games quatsche, schwinge ich mich gerne auf meinen vollgefederten Drahtesel und such mir ein paar schöne Trails. Mein kulturelles Bedürfnis stille ich mit Gerstensaft und tiefsinnigen Unterhaltungen beim Besuch der meist frustrierenden Spiele des FC Winterthur. 


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