Ausprobiert! Eine Woche… Licht und Luft in der Mittagspause
Hintergrund

Ausprobiert! Eine Woche… Licht und Luft in der Mittagspause

Anna Sandner
1.3.2023

Graue Stimmung in den Wintermonaten? Ich versuche dagegen anzukommen und verordne mir täglich eine mittägliche Runde «Freigang». Sieben Tage lang werde ich jeden Tag mindestens eine Stunde im Hellen an die frische Luft gehen. Ob das meine Stimmung aufhellt oder zur täglichen Tortur wird, liest du in meinem Selbstversuch.

Ich bin eigentlich ein absoluter Draußenmensch. Und das, obwohl ich in Hamburg lebe, einer wundervollen Stadt, in der nur ungünstigerweise (gefühlt) das halbe Jahr lang kalt-graues Nieselwetter herrscht. Sobald sich die Sonne aber blicken lässt, findest du mich – wenn es irgendwie geht – im Freien. Doch in den trüben Wintermonaten mit Temperaturen um die Null Grad, Nieselregen und allen erdenklichen Grauschattierungen am Himmel zieht es mich dann doch eher aufs Sofa als nach draußen. Aber das soll sich nun für eine Woche ändern.

Ich verordne der Winterträgheit Freigang und werde sieben Tage lang mindestens eine Stunde bei Tageslicht an der frischen Luft sein – egal wie nass, grau und kalt es sein mag.

Auch bei schlechtem Wetter habe ich es noch nie bereut, wenn ich mich zu einem Spaziergang aufgerafft habe.
Auch bei schlechtem Wetter habe ich es noch nie bereut, wenn ich mich zu einem Spaziergang aufgerafft habe.
Quelle: Anna Sandner

Die größte Herausforderung für mich wird es sicherlich sein, mir die Zeit dafür tatsächlich einzuräumen. Aber von der Bewegung an der frischen Luft als Abwechslung zum Sitzen in der trockenen Heizungsluft erhoffe ich mir durchaus eine spürbare Verbesserung meines Wohlbefindens und meiner Gesundheit. Zwar kann ich zu dieser Jahreszeit nicht auf einen Vitamin-D-Boost hoffen, dafür ist die UV-B-Strahlung noch zu gering, aber eine Stärkung meines Immunsystems kann ich dank des zusätzlichen Tageslichts erwarten [Wacker & Holick, 2013]. Und auch eine Verbesserung meiner Stimmung insgesamt sowie meiner kognitiven Funktionen ist nicht unwahrscheinlich: Beides wurde bereits in Studien gezeigt als Ergebnis von vermehrter Zeit im Freien [Berman et al., 2008; Berman et al., 2012]. Aber spüre ich tatsächlich einen Unterschied, wenn ich meinen Versuch bei diesem grauen, tristen Wetter angehe? Ich will es wissen.

Tag 1: Kalt und grau – jetzt erst recht!

Dank der Bewegung an der frischen Luft lässt die Nachmittagsträgheit heute auf sich warten.
Dank der Bewegung an der frischen Luft lässt die Nachmittagsträgheit heute auf sich warten.
Quelle: Anna Sandner

Meine Versuchswoche startet eben an einem leider für Hamburg im Winter oft typischen grauen Tag bei ungemütlichen vier Grad. Von der Sonne ist nichts zu sehen, nicht mal einzelne Wolken kann ich am Himmel ausmachen – es ist einfach eine durchgängige graue Fläche. Aber immerhin ist es trocken, absolut keine Selbstverständlichkeit hier – also ein großes Plus für meinen Versuchsstart. Die nächste Erleichterung kommt unverhofft: Eine Freundin kündigt sich spontan für die Mittagspause an und will mich begleiten.
Wir laufen gemütlich die Alster entlang, plaudern und trinken dabei Kaffee. Eine knappe Stunde sind wir so unterwegs. Im Freien wirkt das Grau gleich viel freundlicher und die frische, kühle Luft pustet den Kopf frei. Die Unterhaltung bringt mich auf andere Gedanken und die Bewegung lässt das Mittagstief verfliegen.
Als ich wieder zurück am Computer sitze, warte ich vergebens auf die normalerweise jetzt einsetzende Nachmittagsträgheit. Sie kommt auch nicht mehr an diesem Tag. Das ist schon mal ein Erfolg! Ich schaue zuversichtlich auf Morgen.

Tagesfazit: Wetter = grau, kalt, aber trocken; Überwindung = gering, dank Begleitung; Stimmung danach = erfrischt, zuversichtlich

Tag 2: Noch ein bisschen kälter – mir doch egal

Der Blick aufs Wasser entspannt mich auch an grauen Tagen.
Der Blick aufs Wasser entspannt mich auch an grauen Tagen.
Quelle: Anna Sandner

Auch an Tag Zwei strahlt der Hamburger Himmel wieder in all seiner grauen Pracht und lockt so gar nicht ins Freie. Die Temperatur von zwei Grad tut ihr übriges, um mir den Versuch maximal zu erschweren. Aber ich rufe mir das befreite Gefühl vom Vortag in Erinnerung und wage mich nach dem Mittagessen ins Freie. Meine heutige Runde verbinde ich damit, meinen Sohn von der Schule abzuholen, so kommt er auf dem Rückweg auch gleich noch in den Genuss von etwas Sonnenlicht (hinter Wolken, versteht sich). Wir machen Halt auf einer Brücke und schauen den Schwänen und Enten ein bisschen zu, bis eine Rudermannschaft sich durch die schwarzen Wogen kämpft und unter uns hindurch schießt. Nach knapp einer Stunde sitze ich erneut vor meinem Computer und spüre das Kribbeln in den Füßen, die sich langsam wieder an die wohlige Wärme der Heizung gewöhnen. Ich bin zufrieden! Ob das nun an Luft, Bewegung und Licht liegt oder vielmehr daran, dass ich ein klein wenig stolz bin, den zweiten Tag bei miesem Wetter draußen gewesen zu sein, vermag ich nicht zu sagen. Im Grunde ist es ohnehin egal, entscheidend für mich ist das gute Gefühl.

Tagesfazit: Wetter = grau, noch kälter, Nieselregen; Überwindung = mittel; Stimmung danach = wohlig-zufrieden

Tag 3: Langsam gewöhne ich mich an die neue mittägliche Abwechslung

Wie schon befürchtet, ist es gar nicht so einfach, mir eine ganze Stunde jeden Tag freizuräumen. Doch ich stelle fest, dass ich meine Zeit im Freien auch heute wieder mit anderen Verpflichtungen verbinden kann. Ich habe mittags einen Termin, lasse das Auto stehen und mache mich zu Fuß auf den Weg. Inzwischen denke ich glücklicherweise auch nicht mehr so viel über das Hamburger Wetter nach, sondern freue mich schon vor dem Start auf das gute Gefühl danach. Hin- und Rückweg dauern insgesamt eine gute Stunde und ganz nebenbei hatte auch mein Schrittzähler mal mehr zu tun. Wieder zurück zu Hause muss ich mich erst mal trockenlegen. Zurück am Computer bin ich angenehm entspannt, die Bewegung und frische Luft haben mich auch heute wieder in einen wohlig ausgelassenen Zustand versetzt.

Als die Sonne langsam untergeht, mache ich noch mal einen kleinen Abstecher ans Wasser und komme doch noch in den Genuss einiger Sonnenstrahlen.
Als die Sonne langsam untergeht, mache ich noch mal einen kleinen Abstecher ans Wasser und komme doch noch in den Genuss einiger Sonnenstrahlen.

Tagesfazit: Wetter = nass-grau; Überwindung = mittel mit Vorfreude auf die frische Luft ; Stimmung danach = positiv-erschöpft

Tag 4: Anstrengend, aber angenehm

Das Hamburger Galaxus-Büro – hier hin hat mich meine heutige «Zeit im Freien» geführt.
Das Hamburger Galaxus-Büro – hier hin hat mich meine heutige «Zeit im Freien» geführt.
Quelle: Anna Sandner

Am heutigen Tag verfluche ich mich schon beim Aufwachen für diese völlig absurde Idee, jeden Tag raus gehen zu wollen. Warum genau habe ich mir das nicht wenigstens für den Sommer aufgehoben? Es ist mein Bürotag, was bedeutet, dass ich keine Zeit für langes Spazieren in der Mittagspause habe, sondern den Arbeitsweg für meine Frischluftorgie nutzen muss. Also heißt es für mich, ab aufs Fahrrad und zehn Kilometer durch Hamburg strampeln. Google Maps behauptet zwar, ich würde dafür nur 26 Minuten benötigen, mir drängt sich aber unwillkürlich die Frage auf, von welchem Radrennfahrer dieser Rekord aufgestellt wurde. Auf meinem alten Klapperesel werden es dann doch eher 40 Minuten (und die fehlenden 20 Minuten bin ich mittags draußen auf Essensjagd). Unterwegs entledige ich mich an jeder Ampel eines weiteren Kleidungsstücks und komme am Ende doch verschwitzt im Büro an. Trotzdem macht sich wieder dieses unschlagbare Gefühl von tiefer Zufriedenheit breit. Je widriger die Bedingungen sind, desto mehr scheine ich mich darüber zu freuen, wenn ich mich trotzdem überwinde. Noch besser wird es am Abend. Naja, nein, eigentlich wird es erst mal schlimmer. Schließlich ist die Überwindung nach einem langen Tag im Büro, müde und hungrig aufs Rad zu steigen, nicht unbedingt klein. Aber ich habe keine Wahl und genieße es immerhin, an den ganzen Autos im Feierabendverkehr vorbei zu rauschen. Wieder zuhause bin ich völlig erledigt. Aber auf eine gute Weise irgendwie. Nach acht Stunden im Büro ist jeder erledigt, aber durch Licht (immerhin auf dem Hinweg), Luft und Bewegung macht sich ein angenehm erschöpftes Gefühl breit.

Tagesfazit: Wetter = ungemütlich feucht-kalt; Überwindung = groß; Stimmung danach = stolz, zufrieden und körperlich fertig

Tag 5: Spazieren im Alleingang

Im nahegelegenen Moor kann ich ungestört in der Natur spazieren und fast vergessen, dass ich in der Stadt wohne.
Im nahegelegenen Moor kann ich ungestört in der Natur spazieren und fast vergessen, dass ich in der Stadt wohne.
Quelle: Anna Sandner

Freitag! Die Woche ist fast geschafft und ich bin nochmal so richtig motiviert, ausgiebig Licht abzugreifen in der Mittagszeit. Mir fällt auf, dass ich bislang keinen einzigen Tag hatte, an dem mein Experiment so lief, wie ich mir das ursprünglich ausgemalt hatte. Also einfach alleine eine Stunde am Stück während meiner Mittagspause draußen zu spazieren. Glücklicherweise habe ich diese Bedingungen davor nicht offiziell festgelegt, sonst wären die bisherigen Tage wohl disqualifiziert. Aber da es mir im Grunde darum ging, ins Freie zu kommen und Tageslicht abzugreifen, hat alles in allem ja gut geklappt. Heute will ich es nochmal wissen und nehme mir tatsächlich die Stunde zwischen 12 und 13 Uhr, um im wortwörtlichen Alleingang durchs nahegelegene Moor zu wandern. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass das Wetter nach wie vor zu wünschen übrig lässt und ich mich schon frage, ob überhaupt etwas von den Sonnenstrahlen den Weg durch die Wolken bis zu mir findet. Und doch genieße ich diese Stunde ungestörter Zeit sehr und freue mich schon unterwegs auf das inzwischen bekannte wohlig-gute Gefühl zurück zu Hause. Dort angekommen, schlägt mir die warme Luft regelrecht ins Gesicht. Schon faszinierend, dass man nicht bemerkt, wie trocken und unangenehm die Heizungsluft eigentlich ist, wenn man gar nicht erst raus geht.

Tagesfazit: Wetter = grau, halbwegs trocken; Überwindung = gering, weil es heute eine echte Auszeit ist; Stimmung danach = erholt, entspannt, innerlich ruhig

Tag 6 und 7: Wochenende an der frischen Luft

Den kleinen Fußballern ist das Wetter egal.
Den kleinen Fußballern ist das Wetter egal.
Quelle: Anna Sandner

Die Arbeitswoche ist geschafft, ich bin aber noch nicht fertig mit meinem Selbstversuch. Zwar habe ich am Wochenende natürlich keine Mittagspause mehr, trotzdem will ich auch die beiden Tage meinen Frischluft-Licht-Vorsatz noch durchziehen. Eine gemütliche Spazierrunde wird es diesmal aber nicht. Mein Sohn hat einen Übernachtungsbesuch, das heißt für mich: Ich habe übers Wochenende zwei halbstarke Sechsjährige im Schlepptau. Mein Eltern-Überlebensinstinkt sagt mir, dass sie sich ordentlich auspowern müssen, wenn ich abends eine Chance haben will, sie irgendwie ins Bett zu stecken. Es geht also auf den Bolzplatz. Und siehe da, sogar die Sonne lässt sich immer mal wieder kurz blicken. Ich kicke mit den Jungs einige Runden mit, lasse sie dann getrost alleine weiter spielen und genieße die wärmenden Sonnenstrahlen. Mein vermeintlich genialer Plan, die beiden Energiebündel mit all der Bewegung und frischen Luft abends leichter ins Bett zu bekommen, ist leider kläglich gescheitert. Während mir gegen halb zehn allmählich die Augen zufallen, schlafen die Jungs erst um 23 Uhr endlich ein. Meine Grundstimmung ist dank der Sonne und Luft aber entspannt genug, um darüber hinwegzusehen.

Am nächsten Tag überrede ich meinen Sohn zu einer Fahrradtour, er darf den Weg wählen (das war seine Bedingung) und manövriert uns zielsicher wieder auf den Bolzplatz. Gut, da muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen, nicht auf die volle Stunde im Freien zu kommen. Am Nachmittag wollen wir es dann nochmal richtig wissen: Wir machen uns auf den Weg zum Elbstrand und genießen dort noch ein paar Sonnenstrahlen und den unbezahlbaren Ausblick. Insgesamt werden es schließlich über vier Stunden draußen an diesem Tag – keine Minute zu lang und ein gebührender Abschluss für meine «Ausprobiert-Woche» im Freien.

Am Elbstrand schaffen es schließlich noch ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken – ein gebührender Abschluss für meine Versuchswoche.
Am Elbstrand schaffen es schließlich noch ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken – ein gebührender Abschluss für meine Versuchswoche.
Quelle: Anna Sandner

Wochenendfazit: Wetter = kalt-grau mit einzelnen Sonnenstrahlen; Überwindung = gering; Stimmung danach = zufrieden, ausgeglichen

Und was hat das nun gebracht?

Zugegeben, es fiel mir wesentlich leichter, jeden Tag raus zu kommen, als ich erwartet hatte. Im Vorfeld dachte ich, dass es schwierig werden würde, jeden Tag eine ganze Stunde Zeit frei zu schaufeln. Mir zu erlauben, diese Zeit im Freien mit anderem Notwendigem zu verbinden (wie dem Weg zur Arbeit) hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich den Versuch durchgezogen habe. Und um ehrlich zu sein, war es wirklich nicht schwierig. Die Ausrede «Zeitmangel» zählt in Zukunft also nicht mehr.
Die andere Erkenntnis: Auch wenn das Wetter alles aufbietet, was an Unannehmlichkeiten möglich ist, habe ich mich im Nachhinein besser gefühlt. Die Überwindung war nicht immer leicht, aber hat sich am Ende doch jedes Mal ausgezahlt.

Auch ohne Blätter geben die Bäume in der grauen Jahreszeit ein faszinierendes Bild ab.
Auch ohne Blätter geben die Bäume in der grauen Jahreszeit ein faszinierendes Bild ab.
Quelle: Anna Sandner

Mein subjektiver Eindruck nach sieben Tagen ist klar: Mein Experiment hat meine Laune gehoben und mir in dieser Woche zu einem ruhigen, gelassenen Allgemeinzustand verholfen.

Ob das nun am Tageslicht, an der frischen Luft, der Bewegung, dem Rauskommen oder der Abwechslung lag oder schlichtweg meine Freude darüber war, dass ich mich überwinden konnte, kann ich natürlich nicht sagen. Vielleicht – oder sogar wahrscheinlich – hat alles einen Teil dazu beigetragen. Ich werde auf jeden Fall auch in den kommenden Wochen versuchen, wann immer es geht rauszukommen und mich weder von grauen Wolken noch vollem Terminplan davon abhalten zu lassen.

Wie hältst du es im Winter mit Zeit im Freien? Was lockt dich eher: das gemütliche Sofa oder frische Luft und Licht? Schreib es in die Kommentare.

Ausprobiert! Eine Woche…

Liebe Leserin, lieber Leser,
ich will nun öfter im Selbstversuch Gewohnheiten testen, die sich positiv auf meine Gesundheit auswirken könnten. Sei es, dass ich eine Woche (fast) ohne Smartphone auskomme, mir eine tägliche Yogarunde verordne oder mich ohne Auto, Bus und Bahn fortbewege. Was soll ich noch ausprobieren, was würde dich interessieren? Schreib es mir und ich versuche, deine (hoffentlich nur angenehmen ;-)) Ideen umzusetzen.

Quellen:

Berman MG, Kross E, Krpan KM, Askren MK, Burson A, Deldin PJ, Kaplan S, Sherdell L, Gotlib IH, Jonides J. 2012. Interacting with nature improves cognition and affect for individuals with depression. Journal of Affective Disorders 140(3): 300-5.

Berman MG, Jonides J, Kaplan S. 2008. The cognitive benefits of interacting with nature. Psychological Science 19(12): 1207-12.

Wacker M, Holick MF. 2013. Sunlight and Vitamin D: A global perspective for health. Dermato-endocrinology 5(1): 51-108.

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Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.


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