

Der Stock im Arsch der Fotografie
Stockfotos sind im besten Fall langweilig und im schlechtesten Fall so gekünstelt, dass es physisch weh tut. Woran liegt das? Wieso wird es nie besser? Und weshalb sind Stockfotos trotzdem so weit verbreitet? Ich versuche, das Wesen dieser merkwürdigen Fotografie-Gattung zu ergründen.
Schöne und glückliche Menschen sitzen an einem Tisch und halten ein Meeting ab. Jemand in einem hellblauen Hemd zeigt irgendwo hin, wo es nichts zu sehen gibt. Die anderen schauen sehr interessiert ins Leere. Die Personen wirken alle sehr sauber, fast schon steril, und bilden einen politisch korrekten Mix aus Mann und Frau, alt und jung, hell- und dunkelhäutig.
Was ich beschreibe, ist nicht ein bestimmtes Bild, sondern ein Typ von Bildern: Symbolfotos, die Büroarbeit illustrieren. Davon gibt es Unzählige. Und sie sind vor allem eines: austauschbar.
Diese Bilder wirken unnatürlich. Das liegt nicht einmal unbedingt daran, dass die Models schlechte Schauspieler wären. Der tiefere Grund ist, dass diese Fotos eine Welt zeigen, die es so gar nicht gibt. Lass mich kurz erklären, was ich damit meine.
Symbolbilder sind die Reiswaffeln unter den Fotos
Stockfotos sind genau das Gegenteil eines einzigartigen Moments. Sie sollen allgemeingültig sein. Deshalb zeigen sie möglichst wenig Konkretes. Stockfotos haben mit Piktogrammen (am Bahnhof oder Flughafen) oder mit sehr grossen Icons auf dem Computer mehr gemeinsam als mit einem gewöhnlichen Foto.
Stockfotos sind Symbolbilder. Sie sind leicht verdaulich, geben aber nichts her. Also wie Reiswaffeln. Typisch für Stockfotos ist, dass du sie sofort vergisst. Sie bleiben nicht in Erinnerung. Darum treffen wir immer wieder das exakt gleiche Bild an, ohne dass es uns auffällt.
Rein geschäftlich gesehen muss das so sein. Denn Stockfotos werden zu einem Zweck erstellt, der zum Zeitpunkt der Erstellung noch gar nicht klar ist. Mehr noch: Sie werden dafür geschaffen, für möglichst vieles gleichzeitig verwendbar zu sein. Darum sind sie so allgemein, so unbestimmt gehalten. Sie zeigen ein bisschen alles und nichts.
Stockfoto klingt nicht nur ähnlich wie Stockfisch, sondern ist es auch.
Stockfisch ist kostengünstiger Fisch auf Vorrat. Stockfotos sind kostengünstige Fotos auf Vorrat. Beiden Dingen wurde etwas Essenzielles entfernt.
Wer braucht solche Bilder?
Stockfotos sind meist irgendetwas zwischen gratis und recht günstig, sofort zu haben und du kannst unter einem grossen Angebot auswählen. Das teilweise komplizierte Feld der Lizenzrechte ist von Anfang an klar geregelt: Du weisst, wofür und unter welchen Bedingungen du das Bild verwenden darfst. Oft sind diese Bedingungen sehr locker: einmal kaufen, unlimitiert verwenden.
Aber nicht alle sind so offen. Viele Mitarbeiter wollen nicht abgelichtet werden, und das ist ihr gutes Recht. Sie wollen nicht, dass die Unordnung auf dem Schreibtisch zu sehen ist, ganz zu schweigen von Post-its mit Passwörtern oder peinlichen Desktop-Hintergründen. Authentische Fotos geben immer auch etwas Preis, das nicht beabsichtigt ist. Bei Stockfotos wird peinlich genau darauf geachtet, dass das nicht der Fall ist. Darum wirken sie so steril.
Die Vermeidung von Klischees schafft neue Klischees
Aber könnte man Stockfotos nicht auch besser machen? Bilder kreieren, die nicht klischeehaft sind? Die etwas Abwechslung bieten? Natürlich versuchen das viele, die Stockfoto-Plattform EyeEm zum Beispiel hat diesbezüglich einen guten Ruf. Auch in den anderen Bilddatenbanken finden sich viele Fotos, die moderner, weniger abgegriffen aussehen.
Warmes Gegenlicht: Check. Bart: Check. Kariertes buntes Hemd: Check. Holztisch: Check. Alle Klischees erfüllt, sauber!
Bart: Check. Kariertes buntes Hemd: Check. Lichtdurchflutet: Check. Unverputzte Wände: Check. Massiver unbehandelter Holztisch: Fail! Da geht noch was!
Abgesoffen in der Bilderflut
Die Abgründe der Stockfotografie
Diese zwei Beispiele von missglückter Originalität habe ich innerhalb von zwei Minuten gefunden. Es gibt tonnenweise davon.
Manche Stockfoto-Phänomene haben es zum bekannten Meme geschafft. Zum Beispiel der weisshaarige Mann mit dem seltsamen Gesichtsausdruck. Obwohl sein Lächeln sehr gequält aussieht, gibt es von ihm zahllose Fotos in allen möglichen Szenen. «Hide the pain Harold» hat den Hype um seine Person aufgegriffen und einen eigenen YouTube-Kanal eröffnet.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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