Die besten schlechten Kameras aller Zeiten
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Die besten schlechten Kameras aller Zeiten

David Lee
26.12.2017

Was macht eine Kamera legendär? Bestimmt nicht technische Perfektion, eher im Gegenteil. Eine halb liebevolle, halb spöttische Hommage an das Unperfekte.

Nicht wenige Kameras sind trotz oder sogar wegen ihrer technischen Mängel in die Geschichte eingegangen. Sie haben eine grosse Bedeutung, oft sogar Kultstatus. Hier meine persönlichen Favoriten.

1. Kodak Instamatic

Ursprünglich nahm ich an, diese Kamera habe Instagram den Namen gegeben. Sie schiesst nämlich quadratische Bilder. Aber laut Wikipedia rührt der Name Instagram einfach von «instant camera». Wäre auch zu viel der Ehre gewesen.

Ich kenne dieses Wunderwerk der Technik aus eigener Erfahrung. Als elfjähriger Bub durfte ich die alte Instamatic meiner Eltern weiterbenutzen.

Erstes Highlight: Die Kodak Instamatic hat keinen Autofokus. Sie hat aber auch keinen manuellen Fokus. Mit der kleinen Blende wird einfach alles scharf, was weiter als zwei Meter entfernt ist – wenn man Glück hat. Leider bringt eine kleine Blende auch wenig Licht herein, sodass die Aufnahmen meist verwackeln.

Auch nicht schlecht: Zum Blitzen brauchts einen Blitzwürfel. Dieser hat auf allen vier Seiten eine Blitzbirne, die genau einmal zünden kann. Jedes vierte Foto braucht man also einen neuen Würfel. Dafür funktioniert das alles ohne Strom.

Ein älteres Modell als meines, aber mit denselben Blitzwürfeln

Drittes Highlight: Die Instamatic ist idiotensicher. Die Fotos werden zwar unscharf, unterbelichtet oder sonstwie grauenhaft, aber: es werden Fotos. Das war damals nicht selbstverständlich. Beim Einlegen eines Films konnte es bei anderen Kameras schon mal passieren, dass er nicht richtig aufgewickelt wurde und zerknitterte. Bei der Instamatic ist der ganze Film in einer Kassette verschlossen, da kann man nichts herausziehen, zerknittern, zerreissen, zerkauen und zermalmen.

Heute kann man die Instamatic nicht mehr benützen. Es gibt keine Blitzwürfel mehr, keine Filme, keine Fotolabors, die die Filme entwickeln. Gut so.

Eingescanntes Negativ einer typischen Aufnahme mit der Kodak Instamatic. Costa Brava, 1988

2. Holga

Bleiben wir beim Quadrat. Der chinesischen Plastik-Edelmarke Holga ist 1982 die Quadratur des Kreises gelungen: Das Objektiv beleuchtet nur den mittleren Teil des quadratischen Fotos.

Die Quadratur des Kreises: Holga-Beispielbild. Quelle: Clngre/wikimedia commons. CC BY-SA 3.0
Die Quadratur des Kreises: Holga-Beispielbild. Quelle: Clngre/wikimedia commons. CC BY-SA 3.0

Das ist aber noch lange nicht alles. Die Holga-Objektive leisten sich so ziemlich jeden Abbildungsfehler, den man sich überhaupt vorstellen kann: Verzerrung, Farbverfälschungen, Randunschärfe, chromatische Aberration – you name it, Holga liefert. Bonus: die Kamera ist nicht ganz sauber abgedunkelt, so dass auf dem Film Lichtstörungen auftreten. Die sind bei jedem Gerät anders. Jede Holga ist ein Unikat!

Oberlehrer Wikipedia doziert: «Seit einiger Zeit ist auch eine reine Holgalinse verfügbar, mit welcher die holgatypischen Fehler an modernen SLR-Kameras erreicht werden.» Das musste ich natürlich ausprobieren. Das Holga-Objektiv hat angeblich eine Blende von f/8. Wie sieht denn so eine Blende aus? So:

Man könnte nun mäkeln, dass die Hersteller dieses «Objektivs» den Unterschied zwischen einer Blende und einer Blume nicht kennen, aber das wäre kleingeistig. Denn hier lebt doch der Spirit, der Holga gross gemacht hat, unverfälscht weiter.

Der Spass fängt schon damit an, dass die Kamera gar keine Blende anzeigt und man nur im manuellen Modus fotografieren kann. Im Sucher sehe ich praktisch nichts, weil die Linse so wenig Licht durchlässt. Ich werde nicht enttäuscht: Die Bilder sind mindestens so schlecht wie erwartet.

Kuckuck!
Kuckuck!
Koyaanisqatsi ...
Koyaanisqatsi ...

Übrigens: Die Original-Holga ist eine Mittelformatkamera. Das passt irgendwie nicht so recht zum Billig-Konzept und macht die Kamera noch ein bisschen seltsamer als sie es ohnehin schon ist. Das gleiche gilt für die Diana, einer weiteren Billig-Mittelformatkamera aus Hongkong, die jetzt unter dem Markennamen Lomo neu aufgelegt wird.

Und damit gleiten wir elegant über zur dritten Kultkamera.

3. Lomo LC-A

Was die Chinesen können, können die Russen schon lange. Die Filmkameras der Marke Lomo (Leningradskoje optiko-mechanitscheskoje obedinenije) zeugen heute noch vom Ruhm längst vergangener Sowjet-Tage. Sie werden aber heute natürlich in China gebaut.

Nach dem Ende der Sowjetunion entstand im Westen eine Lomo-Fangemeinde. Wenn man mit einer Lomo spontan herumknipst, dann heisst das nicht Schnappschuss, sondern Lomografie und ist Kunst. Es ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen, was die Faszination davon sein soll. Ich glaube, der Reiz bestand ursprünglich darin, die üblichen Pfade zu verlassen und etwas ganz und gar Abseitiges zu tun. Das Motto von Lomografie ist «Don’t think, just shoot» (Überleg nicht, drück einfach ab). In den 90ern mag das cool gewesen sein, aber heute wird ja eh zuviel geknipst und zu wenig dabei überlegt – und dann soll man das auch noch auf Film tun?

Die Lomo kenne ich nicht aus eigener Erfahrung. Und ich möchte das auch nicht ändern. Ich gebe es nur ungern zu, aber: ja, du kannst diese Kamera in einer «verbesserten» Version bei uns kaufen. Es stört mich absolut nicht, wenn du eine kaufst, aber ich persönlich verzichte gern.

4. Polaroid-Sofortbildkamera

Von der legendären Sofortbildkamera sind im Lauf der Zeit zahlreiche Versionen und Modelle herausgekommen. Einige davon seien ganz gut gewesen, aber auch eher teuer, hab ich mir sagen lassen. Die Polaroid meines Grossvaters gehörte jedoch eher in die Kategorie «Trash». Aber das war egal. Nach dem Abdrücken spickte sofort ein Foto aus dem Gerät, das aber zuerst schwarz war. Dann konnte ich dem Bild zusehen, wie es sich selbst entwickelte, was ich als Kind extrem spannend und faszinierend fand.

Das Gerät ...
Das Gerät ...
Quelle: Jacek Halicki CC-BY-SA 4.0
... und das Resultat
... und das Resultat
Quelle: Sasha Kargaltsev CC-BY 2.0

Vor einigen Jahren hat Polaroid versucht, das Sofortbild-Konzept ins digitale Zeitalter zu retten: Die Fotos wurden auf spezielles, selbstklebendes Fotopapier mit dem Namen Z-Ink gedruckt. Ich hab das damals getestet und fand die Idee eigentlich gar nicht schlecht umgesetzt, da die Farben ziemlich ähnlich falsch waren wie im analogen Original. Aber wahrscheinlich war einfach schon die Idee doof. Digital ist von Natur aus Sofortbild, da muss man nicht extra einen Drucker in die Kamera einbauen.

Jetzt gibt es die Polaroid wieder analog.

5. Selbstgebastelte Pinhole-Kamera

Früher war alles besser. Da konntest du nämlich deine Kamera einfach selbst aus einer alten Coca-Cola-Dose bauen. Ein Schulfreund von mir machte das dann auch. Das geht so: Obersten Teil wegschneiden, damit du einen Deckel hast. Mit einer Nadel ein kleines Loch in die Mitte einstecken. Alles gut mit schwarzem Tape abdecken und dann ein Fotopapier «einlegen». Wir mussten für unsere Pinhole-Selfies etwa 30 Sekunden lang stillhalten. Durch die Wölbung des Papiers ergab sich eine Art Fischaugen-Effekt.

Man hätte natürlich auch die Kartonschachtel des Fotopapiers als Kameragehäuse verwenden können, was den Vorteil gehabt hätte, dass das Papier genau reingepasst hätte. Aber dann hätte man ja keine Verzerrung gehabt.

Und was sind deine persönlichen All-time-Kultkameras?

TItelbild: Raymondlafourchette, CC BY-SA 2.0

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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