
Die Dosis macht das Gift: Kleine Mengen Alkohol gut gegen Stress
Eine neue Studie kommt zum Ergebnis, dass mäßiger Alkoholkonsum der Herzgesundheit zugute kommt, indem Stress im Gehirn abgebaut wird. Wie das zum Bild von Alkohol als schädlichem Suchtmittel passt und warum es keine Empfehlung ist, täglich zu trinken.
Sag mir, welche Ergebnisse du hören willst und ich suche dir die entsprechende Studie dazu. Diesen Eindruck habe ich manchmal, wenn ich über Meldungen stolpere, die auf den ersten Blick Gegenteiliges aussagen. Alkohol ist so ein Thema, über das du sicher schon mal Schlechtes (Alkohol kann das Krebsrisiko erhöhen) und mal Gutes (Ein Glas Rotwein am Tag ist gesund fürs Herz) gelesen hast. Und für beide Aussagen gibt es fundierte Studien, die die Ergebnisse belegen. Woran liegt das?
Ein kleiner Teil vom großen Ganzen
Eine Erklärung dafür ist, dass wissenschaftliche Studien sich selten mit dem großen Ganzen befassen, da das schlicht den Forschungsrahmen sprengen würde. So suchen sich Forschende kleine Teilbereiche ihres Fachgebiets und untersuchen eine klare und meist eng gefasste Frage. Mit dem Blick auf diese Detailfragestellungen werden dann die Ergebnisse formuliert und in den Medien verkürzt dargestellt. So kann es für den Leser zu vermeintlich gegenteiligen Aussagen kommen.
Die Dosis macht das Gift
Ein weiterer Grund für unterschiedliche, wissenschaftlich gestützte Aussagen zu einem Thema liegt häufig in der Menge. Die Dosis macht tatsächlich oft das Gift: Wie bei vielem ist es auch mit dem Alkoholkonsum und seiner Wirkung eine Frage des «Wieviel». Dass große Mengen Alkohol gesundheitlich schaden, ist wohlbekannt. Doch auch Meldungen, die dem Alkohol eine positive Wirkung auf die Gesundheit bescheinigen, hast du sicher schon gelesen. Das liegt in der Regel daran, dass es um mäßigen Alkoholkonsum geht. Weniger (Alkohol) ist in diesem Fall mehr (Gutes für die Gesundheit).
Mäßiger Alkoholkonsum kann Stress im Gehirn abbauen
Jahrzehntelang haben große epidemiologische Studien gezeigt, dass Menschen, die mäßig Alkohol konsumieren (täglich höchstens ein Getränk für Frauen und ein bis zwei Getränke für Männer) ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben als Menschen, die auf Alkohol verzichten oder mehr davon trinken. Unklar blieb aber, warum dies der Fall ist. Erklärungsversuche über unterschiedliche Blutwerte konnten das Rätsel nicht vollständig lösen. Ein Forschungsteam aus Boston hat nun an anderer Stelle eine Antwort entdeckt: im Gehirn.
Weniger Stress im Gehirn = geringere Belastung für das Herz
In ihrer neuen Studie erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Massachusetts General Hospital, warum Alkohol mit einer besseren Herzgesundheit in Verbindung gebracht werden könnte: Er reduziert Stresssignale im Gehirn nachhaltig. Das führt zu einer geringeren Belastung des Herzens.
Der Studie liegen Daten von mehr als 50 000 Personen zugrunde. Zunächst konnten sie bestätigen, dass leichter bis mäßiger Alkoholkonsum mit einer deutlichen Verringerung des Risikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist. Aufgrund des großen Umfangs der Studie wurde klar, dass der Effekt nicht durch den sozioökonomischen Status, das Aktivitätsniveau oder die Genetik der Menschen verursacht wird. Gehirnscans bei den Probanden zeigten, dass Alkoholkonsum das Stressniveau des Gehirns nachhaltig senkt, wodurch die Belastung des Herzens noch Tage nach dem letzten Alkoholkonsum reduziert ist.
Die Erklärung: Das Stressnetzwerk des Gehirns ähnelt einem Wettstreit zwischen Amygdala und präfrontalem Kortex. Während die Amygdala die Emotionen steuert, kontrolliert auf der anderen Seite der präfrontale Kortex die exekutiven Funktionen. In Stresssituationen sendet die Amygdala Paniksignale aus. Der präfrontale Kortex kann dazu beitragen, dass diese Alarmglocken nicht im ganzen Körper läuten – auch nicht im Herzen. Alkoholkonsum kann diese Alarmwirkung abschwächen.
Die Hirnscans zeigten, dass die Aktivität der Amygdala bei Menschen mit moderatem Trinkverhalten anhaltend gedämpft war. Diese gedämpfte Amygdala-Aktivität konnte mit einem Rückgang von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 22 Prozent in Verbindung gebracht werden.
Keine Empfehlung zum Alkoholkonsum
Trotz dieser Ergebnisse empfehlen die Forschenden nicht, täglich Alkohol zu konsumieren. Denn auch wenn sich Alkohol in Bezug auf diesen untersuchten Aspekt positiv auszuwirken scheint, bleiben viele andere Studienergebnisse, die dem Alkohol bei anderen Aspekten kein gutes Zeugnis für die Gesundheit ausstellen. Und zur Stressreduktion gibt es genügend Alternativen wie Sport und Meditation.
Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.