Die triumphale Rückkehr: Bob Iger ist wieder Disney-Chef
Hintergrund

Die triumphale Rückkehr: Bob Iger ist wieder Disney-Chef

Luca Fontana
21.11.2022

Nur zwei Jahre lang durfte der Ex-CEO Bob Chapek Disney anführen. Interne Querelen und mangelnde Erfolge zwangen ihn zum Rücktritt. Jetzt übernimmt ein alter, erfolgreicher Bekannter das Ruder: Bob Iger.

Er ist wieder da: Bob Iger. Zwischen 2005 und 2020 lenkte er bereits die Walt Disney Company. Nun darf er sich erneut CEO des weltgrössten Medienunternehmens nennen. Das hat der Disney-Verwaltungsrat in der Nacht auf Montag bestätgt. Damit endet das zweijährige, wenig erfolgreiche Intermezzo mit Bob Chapek. Es dürfte das grösste Missverständnis der jüngeren Geschichte Disneys sein.

Bob Iger, der weisse Ritter

Das Branchenmagazin Hollywood Reporter spricht von einer «triumphalen» Rückkehr. Das Branchenmagazin Variety vergleicht sie gar mit Steve Jobs’ anno 1997, als er 12 Jahre nach seinem Austritt aus der Firma, die er einst mitgegründet hatte, zu Apple zurückkehrte.

Die Erwartungen an den neuen alten Bob sind allerdings hoch. Iger muss die jüngsten Gewinnrückgänge stoppen, ohne zu sehr an der bestehenden Kostenstruktur zu rütteln, was dem Produkt – ob Park-, Kino- oder Streaming-Business – schaden würde. Die Geschichte spricht allerdings für den heute 71-jährigen Amerikaner.

Iger war schon einmal Retter in der Not, als er 2005 das Ruder von Michael Eisner übernahm. Eisner läutete zwar mit Filmen wie «The Little Mermaid», «Beauty and the Beast» und «Aladdin» die Disney-Renaissance der 1990er ein. Eisner galt aber auch als hitziger Charakter, der gerne im Rampenlicht stand, überstürzt Entscheidungen traf und wenig Selbsteinsicht zeigte. In den frühen 2000er-Jahren drohten Studios wie Pixar und Dreamworks gar, Disney als grösstes Zeichentrickstudio der Welt zu überholen. Denn während sie mit komplett computeranimierten Zeichentrickfilmen wie «Toy Story» oder «Shrek» Erfolge feierten, verschlief Disney mit handgezeichneten Misserfolgen wie «Atlantis» oder «Treasure Planet» den Trend. Gleichzeitig litten die Themenparks wie etwa Disneyland oder Disney World – die Aushängeschilder des Unternehmens – unter schrumpfenden Umsätzen und daraus resultierenden Sparmassnahmen. Letztlich kam es zum Knall: Michael Eisner verliess Disney im Streit und überliess die Bühne Bob Iger. Der war zuvor fünf Jahre lang in dessen Schatten die Nummer Zwei.

Unter Igers ruhiger, charismatischer Führung fand Disney zurück zur alten Grösse. Als erstes stellte er die von Eisner schwer beschädigten Geschäftsbeziehungen mit Apple- und Pixar-Chef Steve Jobs wieder her. Dann, im Jahr 2006, kaufte Disney das Animationsstudio ganz. «Es war nicht nur ein Deal, den ich unbedingt wollte, sondern vor allem einer, den Disney unbedingt brauchte», schrieb Iger später in seinem Buch. Denn in welchem desolaten Zustand die einst legendäre Zeichentrick-Abteilung Disneys war, soll selbst Iger nicht bewusst gewesen sein, als der den Posten als CEO Disneys übernahm.

Bob Iger gilt als einer der erfolgreichsten Disney-CEOs der Geschichte, der den Karren schon einmal aus dem Dreck zog.
Bob Iger gilt als einer der erfolgreichsten Disney-CEOs der Geschichte, der den Karren schon einmal aus dem Dreck zog.
Quelle: Thomas Hawk (CC BY-NC 2.0)

Mit der Übernahme sicherte sich Disney nicht nur das technische Know-How Pixars, sondern auch dessen Talente: John Lasseter und Edwin Catmull, alte Hasen bei Pixar, erhielten die kreative Leitung der neugegründeten Walt Disney Animation Studios. Und Iger stellte sicher, dass – ähnlich wie schon bei Pixar – nicht Studiobosse und Produzenten die kreative Marschrichtung vorgaben, sondern die Filmemacherinnen und Filmemacher selbst. Ein Credo, das Iger 2020 bei seinem vermeintlich letzten offiziellen Auftritt vor dem Disney-Vorstand bekräftigte: «Es ist verlockend, Zahlen und Analysen zur Beantwortung all unserer Fragen zu verwenden, einschliesslich kreativer Fragen. Ich fordere Sie alle dringend auf, das nicht zu tun.»

Disneys Imperium wächst – nicht nur dank «Star Wars»

Dank Hits wie «Ratatouille» oder «Frozen» und Igers erfrischend besonnener Hand florierten nicht nur Pixar und die Disney Animation Studios. Auch das Portfolio des Unternehmens wuchs. 2008 begannen Disney und Comic-Riese Marvel, zusammenzuspannen. Ein Jahr später wurde das Comic-Unternehmen samt Marvel Studios von Disneys gekauft. Eine Win-Win-Situation: Dank Disneys finanzieller Strahlkraft konnten die Filmrechte beliebter Comic-Figuren zurückgekauft werden, die Marvel zuvor verkaufen musste, um sich finanziell über Wasser zu halten. Darunter «Spider-Man», «Fantastic Four» und «X-Men».

Auf Igers Konto geht auch der 4-Milliarden-Dollar-Kauf von Lucasfilm und «Star Wars» im Jahr 2012. Die daraus resultierenden Sequels waren zwar finanziell erfolgreich. Sie spalteten aber auch die Fans. Wo «The Force Awakens» und «Rogue One» noch auf Zuspruch stiessen, galten vor allem «The Last Jedi», «Solo» und «Rise of Skywalker» als höchst umstritten. Iger zog darum 2019 die Reissleine und stoppte weitere geplante Star-Wars-Filme. «Der Druck, nach der Übernahme schnell Filme in die Kinos zu bringen, war gross. Im Nachhinein haben wir uns aber viel zu wenig Zeit gelassen, um eine komplette, kreativ kohärente Trilogie samt Spin-Offs zu planen», gab Iger später in seinem Buch zu – Worte, die sein Vorgänger Eisner niemals in den Mund genommen hätte. Tatsächlich begannen damals die Dreharbeiten zu «The Force Awakens», bevor überhaupt klar war, was später mit den Charakteren passieren würde.

Im Jahr 2016 realisierte Iger – nach mehreren Anläufen – endlich sein Herzensprojekt: die Eröffnung des Themenparks in Shanghai, Disneys erster in China. Vorwürfe des kulturellen Imperialismus zum Trotz lief der Ticketverkauf von Beginn an gut. Es war sogar Disneys erster Park, der nach nur einem Jahr mehr Umsätze als Kosten generierte. Auch sonst trieb Iger Renovierungen in den Parks an, liess Disneyland California gar komplett überarbeiten und lancierte gänzlich neue Themenbereiche wie etwa «Galaxy’s Edge» in Florida und Hollywood.

Das Disney World in Shanghai ist wohl Bob Igers prestigeträchtigstes Projekt.
Das Disney World in Shanghai ist wohl Bob Igers prestigeträchtigstes Projekt.
Quelle: Wikimedia Commons

Zu Igers vermeintlich letzten grossen Amtshandlungen als Disney-CEO gehörte der über 70 Milliarden Dollar schwere Kauf des renommierten Filmstudios 21st Century Fox im Jahr 2019 sowie die Lancierung des Streaming-Dienstes Disney+ im gleichen Jahr. Dessen erste grosse Show, «The Mandalorian», gilt noch heute als beliebtester Titel der Streaming-Plattform.

Bob Chapek, das grosse Missverständnis

Schliesslich setzte sich Bob Iger, den Weg in eine erfolgreiche Zukunft geebnet meinend, zur Ruhe. Für seinen Nachfolger Bob Chapek waren es dennoch keine einfachen zwei Jahre. Zu gross die Fussstapfen, die Bob Iger hinterliess. Zu stürmisch die Gewässer der globalen Pandemie, durch die er das Haus der Maus hätte möglichst schadlos navigieren sollen. Und zu drastisch die sich stark verändernde, immer Streaming-lastigere Medienwelt, mit der es immer noch Schritt zu halten gilt.

Chapek schien all diesen Herausforderungen von Anfang an nicht gewachsen zu sein. Iger galt stets als ruhige, umsichtige Führungsperson, die auf Rat hörte und sich regelmässig auch auf tieferen Hierarchiestufen austauschte. Etwa, wenn er Künstlerinnen und Künstler in den Animationsstudios besuchte, um über kommende Projekte zu diskutieren. Der wenig charismatische Chapek hingegen soll nicht halb so nahbar und deutlich weniger greifbar gewesen sein. Dazu setzte er sich in seiner kurzen Tenure mehrmals in die Nesseln.

Bob Chapek, Ex-CEO der Walt Disney Company, in seiner typischen stieren Pose.
Bob Chapek, Ex-CEO der Walt Disney Company, in seiner typischen stieren Pose.
Quelle: Disney

Zum Beispiel, als ausgerechnet der Disney-Boss im Rechtsstreit mit Scarlett Johansson der Schauspielerin vorwarf, während einer globalen Pandemie geldgierig zu sein. Johansson klagte damals über die fehlende Umsatzbeteiligung, weil in ihrem Vertrag nur eine Beteiligung an den Kinokassen festgelegt war, nicht am Umsatz über Streaming-Dienste. Dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch niemand eine Pandemie vorhersehen konnte, ignorierte Chapek gekonnt.

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Oder, als sich Chapek mit wenig Fingerspitzengefühl in seiner Wortwahl vergriff. Das, als angekündigt wurde, dass Marvels «Shang-Chi» der erste von Disney produzierte Film sein würde, der nach der Pandemie nur im Kino startete. Während Corona weltweit Millionen von Opfern forderte, sprach der damalige CEO von einem «interessanten Experiment».

Dazu mehrten sich Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen für die Belegschaft in den Themenparks. Solche Berichte gab es zwar schon während Igers Ära. Aber unter Chapek schien sich die Lage sogar zu verschlimmern. Besonders, als er beinahe eine Revolte der LGBTQ+-Belegschaft provozierte, weil er sich lange weigerte, ein offizielles Statement gegen das schwulenfeindliche «Don’t Say Gay»-Gesetz in Florida abzugeben – ausgerechnet dort, wo Disney zu den grössten Arbeitgebern zählt. Bob Iger solidarisierte sich indes früh mit der Community via Twitter.

Chapek wollte bis zu seinem Rücktritt nichts von Problemen in den Parks wissen. Bei seinem letzten Auftritt vor dem Verwaltungsrat sprach er sogar vom «best year ever» für die womöglich wichtigste Geschäftssparte Disneys, wie der Hollywood Reporter berichtete. Dass die gestiegenen Gewinne hauptsächlich auf massive Preiserhöhungen, nicht auf gestiegene Besucherzahlen zurückzuführen sind, schien ihn nicht zu kümmern. Und während in Parks die Preise steigen, soll in anderen Bereichen des Medienhauses gespart werden. Zum Beispiel bei den Budgets für Spezialeffekte. Erste Auswirkungen konnten wir bereits bei «Moon Knight» oder «She-Hulk» sehen.

Branchen-Analysten befürchten schon seit Längerem, dass Chapeks Strategien die Film- und Serien-Sparte nachhaltig beschädigen und die für Disney wichtige Mittelschicht der Bevölkerung aus den Parks treiben könnte. Gleichzeitig stiegen die Gewinne bei Disney nicht annähernd so stark, wie es Chapeks eigene Analysten prophezeit hatten. Dazu soll der Verwaltungsrat laut Hollywood Reporter ohnehin nie richtig warm mit Chapeks Charakter geworden sein. Zuletzt soll sich Chapek sogar mit seinem letzten Fürsprecher Bob Iger zerstritten haben.

Sein Rücktritt nach nur zwei Jahren – so logisch er im Nachhinein scheint – traf die Branche dennoch völlig unerwartet. Disney-Chefs bleiben in der Regel über Jahrzehnte im Amt. Der letzte CEO mit weniger Amtszeit war Ron Miller von 1983 bis 1984 – bevor Michael Eisner 21 Jahre lang übernahm.

Die Rückkehr des weissen Ritters

«Ich bin äusserst optimistisch für die Zukunft [...] und freue mich, dass der Vorstand mich gebeten hat, als CEO zurückzukehren», sagt Bob Iger in Disneys Pressemitteilung. Kein Wunder: Schliesslich gilt er als Architekt des mittlerweile allgegenwärtigen Unternehmens, wie es in seiner heutigen Form existiert. Dass er die Konzernleitung in einem schwierigen Moment – nicht nur für Disney, sondern für die gesamte Unterhaltungsbranche – übernimmt, darf trotzdem nicht unterschätzt werden.

Iger muss der sinkenden Ausgabebereitschaft der Menschen in Zeiten hoher Inflation Rechnung tragen. Die Erlöse im Kabel-TV – in den USA immer noch ein wichtiger Absatzmarkt – sinken seit Jahren. Gleichzeitig wächst der Streaming-Markt. Auch bei Disney, allerdings noch nicht schnell genug, um gewinnbringend zu sein. Dem neuen alten CEO läuft die Zeit davon: Noch werden die Verluste im Streaming-Bereich durch die Themenparks ausgeglichen, die nach der Pandemie-Auszeit förmlich boomen. Ewig kann er sich aber nicht darauf verlassen, dass die Menschen horrend steigende Ticketpreise hinnehmen. Iger hat ein zweijähriges Mandat, um den Kurs des mächtigen Dampfers mit zwei schwarzen, kreisrunden Ohren zu korrigieren.

Titelbild: Nagi Usano, Wikimedia Commons

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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