«Divinity: Original Sin 2»-Review: Das fast perfekte Rollenspiel
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«Divinity: Original Sin 2»-Review: Das fast perfekte Rollenspiel

«Divinity: Original Sin 2» hat systematisch auf den Erfahrungen des ersten Teils aufgebaut und intensiv auf das Feedback der Fans gehört. Herausgekommen ist eines der besten Rollenspiele, das ich je gespielt habe.

Die Fortsetzung des Überraschungshits von 2014 bietet mehr. Mehr von allem. Mehr Quests, mehr Charaktere, mehr Fähigkeiten, bessere Grafik, komplette Vertonung und und und. Schon beim Aufzählen wird einem schwindelig. Dieses Gefühl begleitet dich das ganze Spiel. «Divinity: Original Sin 2» bietet einen riesigen Umfang ohne dabei offenbar irgendwo Abstriche gemacht zu haben. Dabei ist das Spiel einer Kickstarter-Kampagne entsprungen. Statt eines Multimillionen-Dollar schweren Konzerns steckt hinter dem Spiel das kleine belgische Larian Studios mit rund 40 Mitarbeitern. Was diese Truppe auf die Beine gestellt hat, ist erstaunlich.

Quantität mit Qualität

«Divinity: Original Sin 2» ist im Grunde ein typisches Rollenspiel im Stile von «Pillars of Eternity» oder «Dragon Age Inquisition». Während jedoch «Pillars of Eternity» Abstriche bei der Grafik und der Vertonung macht und «Dragon Age» bei der taktischen Tiefe und der Questkomplexität spart, bietet «Divinity» das volle Programm. Dank der positiven Resonanz auf den ersten Teil und der erfolgreichen Kickstarter-Kampagne waren genügend Ressourcen vorhanden, das Grundgerüst massiv aufzustocken. Das fängt bei der Charakter-Erstellung an, die dich fast überwältigt. Fünf Rassen und 14 verschiedene Klassen, die du frei kombinieren kannst, stellen dich vor die erste schwierige Entscheidung. Obendrauf gibt es sechs Origin-Charaktere. Sie erzählen eine individuelle Geschichte, die dich das Spiel hindurch begleiten wird. In kurzen Videos schildern sie dir ihre Schicksale. Bei den Origins kannst du zwar Stimme, Rasse und Geschlecht nicht wählen, dafür erwartet dich zusätzliche Questreihen und zusätzliche Gesprächsoptionen.

Wo wir schon bei der Stimme sind. Das komplette Spiel ist vertont. Wirklich alles. Jede Nebenfigur, jeder Held und jeder Bösewicht hat eine eigene Stimme. Gerade in solch epischen Rollenspielen wie «Divinity» ist das eine monumentale Aufgabe. Und die Sprecher leisten erstklassige Arbeit. Leider nur auf englisch.

Nicht nur deinen Ohren wird geschmeichelt, auch deinen Augen wird ein echter Leckerbissen serviert. Schon Teil 1 sah verdammt ansehnlich aus und Teil 2 legt noch mal ordentlich drauf. Detailverliebte Welten, Monster in allen Formen und Grössen, feurige Explosionen. Fähigkeiten und Zauber sind aufwendig und beeindruckend animiert. Verhext du beispielsweise deine Feinde mit einem Blut-Fluch, so taucht ein riesiges feuriges Skelett aus dem Boden aus.

Ach ja, du kannst das ganze Spiel mit bis zu drei Freunden zocken – Online oder via LAN. Daraus ergeben sich noch einmal unzählige spassige Möglichkeiten.

Quests, die fesseln

Ein gutes Rollenspiel lebt von einer guten Geschichte und auch hier hat mich «Divinity» schwer beeindruckt. Bereits im ersten Teil haben mich die Schicksale gefesselt. In «Divinity: Original Sin 2» stolperst du von einer spannenden, tragischen, lustigen Geschichte in die nächste. Es lohnt sich, mit allen Personen zu reden. Und wenn dir jemand auf den Sack geht, dann gib ihm eins auf die Zwölf. In «Divinity» kannst du theoretisch jede Figur angreifen. Das Spiel findet einen Weg, die Geschichte weiter zu treiben. Es kann natürlich sein, dass du eine Quest nicht beenden kannst oder dass dir die nächste Person nicht mehr so freundlich gesinnt ist, aber weiter geht es immer. Mit welchem deiner vier Party-Mitglieder du Dialoge führst, hat Einfluss auf den Gesprächsverlauf. Untote haben einen anderen Zugang zu gewissen Themen wie Echsen oder Zwerge. So lohnt es sich oft, Gespräche mit verschiedenen Personen zu führen.

Die Quests sind zudem extrem abwechslungsreich. Das reicht von brennenden Schweinen, die du nur verstehst, wenn du mit Tieren reden kannst (einer der besten Skills), über versklavte, lebendige Schiffe bis zu Dämonen-besessenen Zauberinnen. Auch hier ist «Divinity» nicht linear und bietet meist Optionen, ans Ziel zu gelangen.

Der Kampf ist ein Kampf

Ein zentraler Aspekt des Spiels ist der Kampf. Dieser wird rundenbasiert ausgefochten und fordert dich richtig heraus (zumindest mich auf der Standard-Schwierigkeitsstufe). Es ist enorm wichtig, dass du die Stärken und Schwächen deiner Gegner kennst und ausnutzt. Wie greifen sie an, worauf sind sie allergisch? Manche sind besonders giftanfällig, andere werden dadurch geheilt. Elemente spielen eine weitere wichtige Rolle. Öl beginnt zu brennen, Blut kann wie Wasser elektrifiziert oder gefroren werden. Dann besteht die Chance, dass Gegner darauf ausrutschen – du leider auch. Alle Effekte können nach hinten losgehen. Du musst immer gut aufpassen, ob deine Angriffe auch eigene Spieler verletzen. Da die meisten Gegner entweder magische oder physische oder beide Rüstungsarten besitzen, reicht es nicht mehr, einfach fröhlich Flächenschaden auszuteilen. Erst wenn die Rüstung zerstört ist, nehmen Figuren schaden oder können Betäubt werden. Positionierung wird ebenfalls stark gewichtet. Gegen flankierte Gegner kriegst du Schadensbonus, ebenfalls, wenn du dich in erhöhter Position befindest. All diese Dinge musst du im Auge behalten, wenn du überleben willst. Quicksave ist dein Freund.

Je nach dem wie du geskillt bist oder wie deine Taktik ist, beisst du dir an Gegnern die Zähne aus. Manchmal fand ich es ziemlich frustrierend, wenn ich mich ständig zu schwach fühlte. Du merkst schnell, dass es Skillungen gibt, die effizienter sind als andere. Die Aufstellung vor einem Kampf kann auch einen grossen Unterschied machen. Gegner wegteleportieren ist eine gute Möglichkeit, Angriffe zu entschärfen.

So viel zu tun und zu entdecken

Wenn du dich nicht gerade im Kampf befindest oder dir den Mund fusselig schwatzt, erkundest du die Welt. Und meine Fresse, gibt es viel zu entdecken. Das fängt an bei den Charaktereigenschaften. Untote können mit ihren knochigen Finger Schlösser knacken und Echsen dank ihren Klauen ohne Schaufel buddeln. Jeder Fleck auf der Karte verbirgt neue Geheimnisse, neue Charaktere und neue spannende Geschichten. Rätsel verlangen, dass du genau aufpasst oder dass du geschickt zu kombinieren weisst. Da es viele Wege zum Ziel gibt, finden gewiefte Spieler immer wieder Schlupflöcher. Das Spiel will, dass du mit den Systemen spielst. Im ersten Teil fand jemand heraus, dass er eine Truhe mit Gegenständen vollstopfen konnte, bis sie tonnenschwer war. Anschliessend benutzte er sie mit Telekinese als tödliche Waffe. Ich bin gespannt, was in «Divinity 2» noch alles zum Vorschein kommt.

Obendrauf gibt es ein Crafting-System mit dem du Tränke, Waffen und Rüstungen bauen kannst. Ein weiteres riesiges Feld, in das du Stunden investieren kannst.

Fazit: Zugreifen

Wenn ich etwas bemängeln darf, dann der etwas harzige Einstieg. Wie so oft in Rollenspielen wirst du anfangs von den Systemen und Möglichkeiten fast erschlagen – besonders wenn du den ersten Teil nicht gespielt hast. Die Kämpfe können zudem frustrierend sein, wenn du wieder und wieder gegen die gleichen Gegner verlierst. Manchmal ist ein taktischer Rückzug die richtige Lösung. Es zeigt jedoch auch, dass «Divinity 2» noch Balancing-Probleme hat. Gewisse Skillungen sind eindeutig besser als andere. Das ist zwar immer so in Rollenspielen, nur kann das in «Divinity 2» dazu führen, dass du dir das Leben unglaublich schwer machen kannst. Mein Tipp deshalb: Fokussiere deine Charaktere anfangs nicht auf mehr als zwei Skills.

Auch wirst du regelrecht überwältigt von Quests und Beschäftigungsmöglichkeiten. Aber nicht nur du, sondern auch dein Questlog. So ist es schwierig den Überblick zu behalten und zu wissen, was in Quests genau verlangt wird. Questindikatoren auf der Karte helfen meist auch nicht weiter, weil sie nur den Questgeber markieren.

Aber diese kleinen Mängel können meinen Gesamteindruck von «Divinity: Original Sins 2» nicht trüben. Es gibt so viel spannende Orte zu erkunden, amüsante Gespräche zu führen, Ausrüstung zu finden und epische Kämpfe auszufechten, dass du schnell mal 60 Stunden für einen Durchlauf brauchst. Mehr Rollenspiel kriegst du kaum irgendwo für dein Geld.

«Divinity: Original Sins 2» wurde auf dem PC getestet und wird später auch für PS4 und Xbox One erscheinen.

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Als Game- und Gadget-Verrückter fühl ich mich bei digitec und Galaxus wie im Schlaraffenland – leider ist nichts umsonst. Wenn ich nicht gerade à la Tim Taylor an meinem PC rumschraube, oder in meinem privaten Podcast über Games quatsche, schwinge ich mich gerne auf meinen vollgefederten Drahtesel und such mir ein paar schöne Trails. Mein kulturelles Bedürfnis stille ich mit Gerstensaft und tiefsinnigen Unterhaltungen beim Besuch der meist frustrierenden Spiele des FC Winterthur. 


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