Fotografieren mit Film: Meine Expedition in die Untiefen des Hipstertums
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Fotografieren mit Film: Meine Expedition in die Untiefen des Hipstertums

David Lee
2.3.2018

Warum ich nach 13 Jahren Digitalfotografie mal wieder analog ausprobiere, was dabei herauskommt und was ich dazu lerne.

Für mich gab es eigentlich keinen Grund, mit Film zu fotografieren. Doch in den letzten Monaten fiel mir immer wieder auf, dass in meinem Umfeld einige (allesamt jüngere) Leute genau das tun. Warum eigentlich? Ich habe die Erklärungen gehört und gelesen, aber so ganz nachvollziehen konnte ich es nicht. Daher ist es nun Zeit, das mal selbst auszuprobieren.

Vorbereitungen: Kamera, Film, Scanner

Los geht's. Ich kaufe mir ein 3er-Pack Film und auf Ricardo eine Filmkamera für 18 Franken. Es ist eine Nikon F90, Baujahr Anfang 90er-Jahre, und erstaunlich modern. Sie beherrscht zum Beispiel kontinuierlichen Autofokus, Spot- und Matrixmessung sowie automatische Motivprogramme. Die Bedienung ist sehr ähnlich wie bei einer digitalen Nikon. Der wichtigste Unterschied: Die Blende muss ich am Objektiv einstellen. Darum funktionieren Objektive ohne Blendenring nur im S- oder P-Modus korrekt. Mein Standard-50-mm hat aber noch einen solchen Ring. Dieses Objektiv kannst du übrigens immer noch neu kaufen.

Nikon AF Nikkor 50mm f/1.8D - (EU) (Nikon F, Vollformat)

Nikon AF Nikkor 50mm f/1.8D - (EU)

Nikon F, Vollformat

Nikon AF Nikkor 50mm f/1.8D - (EU) (Nikon F, Vollformat)
Objektiv

Nikon AF Nikkor 50mm f/1.8D - (EU)

Nikon F, Vollformat

Ich schiesse das erste Foto – und reflexartig schaue ich auf die Kamerarückseite, um die Aufnahme zu prüfen. Es dauert fast einen ganzen Film, bis ich mir das abgewöhne. Interessanterweise macht es Spass, nicht zu wissen, ob das Foto etwas geworden ist. Ich freue mich auf den Moment der Auflösung.

Ich fange an, mir mehr Gedanken darüber zu machen, was ich eigentlich fotografieren möchte. Wo lohnt es sich, abzudrücken und wo nicht? Es passiert mir einige Male, dass ich den Auslöser schon halb durchgedrückt habe und dann finde: Naja, das gibt vielleicht ein ganz nettes Foto – aber von der Sorte habe ich schon hundert. Muss also nicht sein.

Es sind weniger die Kosten, die mich zu diesem Verhalten bringen, sondern mehr das Wissen, dass die Zahl der Aufnahmen limitiert ist. Und dass jede Aufnahme Arbeit nach sich zieht. Neue Filme kaufen, zum Entwickeln bringen, abholen, einscannen, usw.

Der erste Film

Erst nach etwa drei Wochen lasse ich den ersten Film entwickeln. Er wird mir einfach so in einer Dose überreicht, an einem Stück, ich muss ihn selbst in Streifen schneiden. Das Fotogeschäft würde das zwar übernehmen, erfahre ich später, aber man muss es ausdrücklich sagen.

Ich scanne das Zeug ein, wie hier beschrieben.

  • Hintergrund

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    von David Lee

Die Fotos sind bis auf eine Ausnahme technisch okay. Weder verwackelt, noch falsch belichtet oder fokussiert.

Da ich wusste, dass Film weniger heikel ist bei hartem Licht, habe ich möglichst viele Aufnahmen bei Eis, Schnee und Sonne gemacht. Einiges ist auch ganz gut geworden.

Bei Porträts gefallen mir die Hautfarben des Films. Ich nehme mir vor, mehr Porträts zu machen.

Bei Kunstlicht ist die Farbgebung grauenhaft. Das wusste ich zum Glück schon vorher und habe nur zwei Fotos mit Kunstlicht geschossen. Beim Film ist, anders als in der Digitalfotografie, der Weissabgleich durch den Film festgelegt. Die meisten Filme sind auf Tages- und Blitzlicht abgestimmt. Bei Neonlicht wird alles grün, bei Kerzenlicht alles orange. Wenn du die Aufnahme einscannst, kannst du das zwar ein Stück weit korrigieren, aber das ist sicher nicht der Sinn der Filmfotografie.

Der zweite Film: Es wird seltsam

Als der Film erste fertig ist, merke ich, dass ich im Kühlschrank noch einen gehabt hätte. Den habe ich drei Mal in den Kühlschrank einer neuen Wohnung gezügelt und trotzdem vergessen. Noch besser: Im gleichen Kühlschrankfach liegt auch eine Filmkamera, allerdings eine ganz einfache. Olympus Mju II. Praktisch nie benützt. Und da ist auch noch ein Film drin.

Die beiden Filme sind seit Februar 2013 abgelaufen, das steht auf der Verpackung. Ich erinnere mich dunkel, dass ich ein paar Fotos mit dieser Kamera gemacht habe, und gleichzeitig auch mit einer Digicam (Sony DSC-HX5V), um vergleichen zu können. Dann habe ich das Interesse an diesem Experiment verloren und seither gammelt der Film in der Kamera vor sich hin.

Nun bin ich aber durch diese seltsame Idee in der Lage, Film und digital direkt zu vergleichen. Der Vergleich hinkt zwar, weil der Film nicht mehr neu ist. Und natürlich ist auch die Kamera auf dem Entwicklungsstand der 90er-Jahre. Trotzdem ganz lustig zu sehen.

Film
Film
Digital
Digital
Film
Film
Digital
Digital

Vergrösserung: links Film, rechts digital.

Digital gewinnt hier klar, obwohl die Digicam ein 10-fach-Zoom hatte, was sich bekanntlich nicht gerade günstig auf die Bildqualität auswirkt. Aber wie gesagt, hinkt der Vergleich ein wenig. Der Film ist alt, und meine Scan-Methode ist sicher auch nicht die beste aller Zeiten.

Der dritte Film: Es wird noch seltsamer

Mein Vater, der auch schon längst auf digital umgestiegen ist, schenkt mir anlässlich meines Analog-Trips drei alte, aber noch unverbrauchte Filme. Ablaufdatum: Dezember 2004.

Kann man einen vor dreizehn Jahren abgelaufenen Film noch verwenden? Das Internet meint: eher nein. Schwarzweiss sei weniger problematisch, da keine Farbverfälschungen auftreten. Ausserdem seien empfindliche Filme heikler, sagt mir das Internet, und natürlich seien Filme problematisch, die nicht gekühlt aufbewahrt wurden. Meiner ist 200 ISO, das spricht für ihn, und wurde bei Zimmertemperatur gelagert, das spricht gegen ihn. Es ist ein Farbfilm, auch eher schlecht. Wobei ich aus Farbe jederzeit Schwarzweiss machen kann. Ich bin ja ein digitaler Analogfotograf.

Ich versuche es einfach mal und kombiniere das mit anderen experimentellen Dingen. Kann ich mein Blitzgerät mit dieser Kamera verwenden? Ja, ich kann. Nicht drahtlos, aber aufgesteckt funktioniert es. Der Fernauslöser dagegen bewirkt nichts. Dafür ist der Selbstauslöser praktischer als bei modernen Kameras. Selbstauslöse-Taste und Rädchen drehen = Vorlaufzeit einstellen. Selbstauslöse-Taste und Auslöser = Aufnahme mit entsprechender Vorlaufzeit starten.

Ich kann jedes meiner Nikon-Objektive anschliessen, aber bei den DX-Objektiven bleiben die Ecken und Ränder schwarz.

Der Rocker von heute trägt Adiletten
Der Rocker von heute trägt Adiletten

Mein Tele ist fürs Vollformat geeignet, hat aber keinen Blendenring. Solange ich im S- oder im P-Modus bin, funktioniert dieses Objektiv tadellos. Nur: jetzt im Winter ist es nie genug hell, um mit 200 ISO «den Vogel abzuschiessen».

Mit dem obigen Bild habe ich es bereits vorweg genommen: Der schätzungsweise 15 Jahre alte Film ist noch einigermassen zu gebrauchen. Man erkennt, was drauf ist, und die Farben stimmen auch so ungefähr, mit einer leichten Tendenz zum Rotstich. Das mit den Farben ist eh so eine Sache. Sie werden ja durch meine Scan-Software automatisch korrigiert, ich würde deshalb vielleicht Verfälschungen gar nicht bemerken. Allerdings hat der Film für 200 ISO ein sehr starkes Korn. Vielleicht kommt dieses Rauschen daher, dass die Scan-Software mehr korrigeren muss.

Das Rauschen bringe ich softwaremässig ebenfalls gut weg. Jetzt kann ich es ja sagen: Das Foto oben, das die Packung mit dem Ablaufdatum zeigt, habe ich mit dem Film aus dieser Packung geschossen. Nicht übel, oder?

Ich habe alle Fotos eine Stufe länger belichtet. Das wurde in diversen Webforen bei alten Filmen empfohlen. Klar, Top-Bildqualität sieht anders aus. Aber darum gehts ja auch nicht. Wer wirklich Wert darauf legt, sollte heutzutage eh digital fotografieren.

Schwer erklärbare Faszination

Spätestens hier fragst du dich wohl, was das alles soll. Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Rein vom technischen Standpunkt her halte ich Filmfotografie heutzutage für komplett sinnfrei. Viele Künstler fotografieren trotzdem analog. Es ist riskanter, schräger, anders. Kunst darf und soll sich ja über die totale Herrschaft der Vernunft hinwegsetzen. Womit ich nicht gesagt haben will, dass meine Spielereien Kunst sind. Es geht nur darum, herauszufinden, was eigentlich der Witz ist an der Filmfotografie.

Trotz (oder wegen?) aller Umständlichkeit fasziniert es mich, mit Film zu fotografieren. Sicher hat es damit zu tun, dass ich gerne schräge Dinge ausprobiere, um meine Neugier zu befriedigen. Ausserdem freut es mich immer, wenn jahrzehntealte Geräte noch tiptop funktionieren.

Ein weiterer Punkt: Was begrenzt verfügbar ist, ist kostbar. Was kostbar ist, das mag man. Ein simpler Effekt. Aber er funktioniert.

Wie alles Analoge ist Filmfotografie sinnlich und konkret. Diese farbigen Verpackungen der Filme lösen eine ähnliche Muss-Haben-Gier aus wie Smarties. Dann die Filmrolle, der Film selbst, die entwickelten Streifen. Die Abzüge. Der Scan. Das ist alles konkret und sinnlich wahrnehmbar, ganz anders als digital. Je weiter du es treibst, desto sinnlicher wird es, bis zum Selbstentwickeln und dem Gestank der Chemikalien.

Zugleich wird mir aber auch klar: ich möchte nicht ständig analog fotografieren und schon gar nicht das Digitale aufgeben. Auf die Dauer sehe ich keinen wirklichen Vorteil. Zu stark ist digital mittlerweile in Sachen Bildqualität und Effizienz.

Wie immer bei Retro-Technik: das macht mir erst Spass, wenn ich es nutzen kann, aber nicht muss. Ich habe als junger Erwachsener nicht analog fotografiert, weil ich das gut fand, sondern weil es nichts anderes gab. Natürlich war ich dann froh über die Vorteile, die das Digitale brachte. Das ist so wie bei den selbst aufgenommenen Musikkassetten. Als es noch nichts anderes gab, war niemand wirklich begeistert davon. Aber sobald man auch CDs brennen oder MP3s herunterladen konnte, wurde es zum nostalgisch verklärten Hipster-Kult-Ding und ultracool.

Der Lerneffekt von Analog-Fotografie

Es wird oft behauptet, dass man durch die Film-Fotografie bewusster ans Werk geht, statt gedankenlos abzudrücken. Und dass man dadurch auch Fortschritte macht. Ich kann das nachvollziehen, aber analog allein macht dich noch nicht zum guten Fotografen. Kurz zusammengefasst ist meine Erkenntnis:

Das «Wie» lerne ich viel besser digital. Das «Was» lerne ich besser analog.

Mit einer Digitalkamera finde ich viel schneller heraus, wie ich eine Idee handwerklich richtig umsetze. Ich sehe sofort auf dem Bildschirm, wie sich bestimmte Einstellungen und Lichtverhältnisse auswirken und kann gezielt nachkorrigieren. Auch bei längst geschossenen Fotos habe ich alle Aufnahmedaten wie Blende, Belichtungszeit oder Kamera-Modus und kann so meine Lehren daraus ziehen. Fehler kosten nichts, im Gegenteil. Sie bringen mich weiter.

Diese Vorteile der Digitalfotografie sind gleichzeitig ihre Nachteile. Ich laufe Gefahr, mich zu stark mit dem «Wie» zu beschäftigen und zu wenig mit dem «Was». Ich habe mir viel zu wenig Gedanken darüber gemacht, was überhaupt fotografierenswert ist. Die Folge davon: tonnenweise Fotos, die noch ganz nett und hübsch sind, aber letztlich Fotos, die die Welt nicht braucht. Diese Welt wird ja von Bildern überflutet. Wenn ich sehe, wie viele tolle Landschaftsfotos jeden Tag auf Instagram hochgeladen werden – muss ich da wirklich noch weitere hinzufügen? Wo sie doch eindeutig weniger gut sind als die besten?

Ganz nett, aber ohne Erinnerungswert und darum eigentlich unnötig

Ich würde keinem Anfänger empfehlen, direkt und ausschliesslich mit Film zu starten. Zuerst muss er oder sie das Handwerk lernen. Dazu gehört auch, dass die Person weiss, wann sie gar nicht erst die Kamera hervorholen und abdrücken muss. Weil das Licht nicht stimmt, weil die Szene zu weit weg ist oder weil alles zu schnell geht. So verringert sie den Ausschuss auch mit digitaler Fotografie. Aber eben, parallel dazu braucht es auch die Beschäftigung mit dem Inhalt, und da ist Film eine gute Disziplinierungsmassnahme.

Ein Foto muss nicht perfekt sein, um einen Wert zu haben. Trotz Unschärfe fängt dieses Bild die Ferienstimmung ganz gut ein und weckt schöne Erinnerungen.

Und was ist nun fotografierenswert? Schwierige Frage! Hier nur so viel: Fotos, die einen Erinnerungswert besitzen, etwa von Freunden oder Verwandten, sind auf jeden Fall wertvoll, sie müssen dafür nicht technisch perfekt sein. Ferienfotos müssen nicht die Landschaft ultrahochauflösend und spektakulär abbilden, sie können auch dazu dienen, an einen bestimmten Moment zu erinnern. Das Festhalten eines vergänglichen Moments ist wichtig. Eine perfekt fotografierte Blume interessiert dagegen in 20 Jahren kaum noch. Weil das immer gleich aussieht und weil man das in 20 Jahren wohl noch besser fotografieren kann.

Als nächstes möchte ich einen Schwarzweissfilm ausprobieren und später auch mal einen Diafilm.

Titelbild: Ich schaue aus Gewohnheit dort hin, wo es nichts zu sehen gibt

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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