Google Sidewalk: Suchmaschine baut Stadt
Hintergrund

Google Sidewalk: Suchmaschine baut Stadt

Google baut einen Stadtteil Torontos um. Der Konzern will da eine Stadt bauen, die supermodern und durch Datenmanagement kontrolliert ist. Die Alarmglocken von Privatsphären-Besorgten schrillen. Ein Blick auf ein kontroverses und wohl zukunftsweisendes Projekt.

«Wir designen ein Quartier in Torontos Eastern Waterfront um den Herausforderungen des Städtewachstums zu begegnen. Wir arbeiten in Partnerschaft mit der Tri-Government Agency Waterfront Toronto und der lokalen Gemeinschaft», schreibt Project Sidewalk auf ihrer Website.

Hinter dem harmlos klingenden Project Sidewalk steht Google. Der Suchmaschinengigant, der eigentlich so bitzli alles macht, weil er wohl gerade unendlich Geld und viele Ideen hat, dringt weitere in die echte Welt vor und hat viel vor.

Was ist Project Sidewalk

Google – eigentlich der Mutterkonzern Alphabet Inc. – will mit Project Sidewalk einen Stadtteil aufwerten. Dieser Stadtteil liegt in der kanadischen Grossstadt Toronto. Wo genau, sagt der Suchmaschinengigant nicht, ausser «Eastern Waterfront». Da es diesen Stadtteil noch nicht gibt, habe ich die Skizzen mit Google Maps korreliert. Es scheint so, als ob die Google-Stadt in der East Bayfront zu liegen kommen wird.

Die Skizze, auf der ich meine Suche basiert habe. Bemerke die Einbuchtung im Hafen und die Position des CN Towers

Googles Vision für den Stadtteil ist einfach umschrieben.

Sidewalk Toronto will blend people-centered urban design with cutting-edge technology to achieve new standards of sustainability, affordability, mobility, and economic opportunity.
Google Sidewalks – sidewalklabs.com

Übersetzung:

Sidewalk Toronto vereint menschenfokussiertes urbanes Design mit der neuesten Technologie um neue Standards in Nachhaltigkeit, Bezahlbarkeit, Mobilität und ökonomischen Möglichkeiten zu erreichen.
Google Sidewalks – sidewalklabs.com

Das klingt ja alles recht gut und würde – auf die Stadt Zürich angewendet – so ziemlich jedes Problem der Stadt lösen. Im Detail, so weit auf der Website Sidewalks ersichtlich, beschreibt Folgendes:

  • Keine oder nur wenige Privatautos
  • Selbstfahrende Autos und digitale Navigation
  • Anbindung an Fahrpläne des öffentlichen Verkehrs
  • «Effizientere Häuser und Liegenschaften», die durch ihre Effizienz bezahlbar werden
  • Neue Konstruktionsmethoden sollen Mischbauten und begehbare Nachbarschaften ermöglichen und die Kosten für Behausungen und Verkaufsflächen senken
  • Niedriger Energieverbrauch durch Innovationen im Design von Infrastrukturen
  • Weniger Abfall, weniger Kohlendioxidemissionen
  • Allwettertaugliche Infrastruktur und deren datenbasiertes Management sollen Parks und öffentliche Räume bequemer, belebter, sicherer machen
  • Die selbstfahrenden Autos sollen den Fussgängern den öffentlichen Raum zurückgeben
  • «Bessere Datenintegration» und besser zugängliche öffentliche Infrastruktur, die eine Vielzahl lokaler Services anbieten, sollen einen ganzheitlichen Zugang zu sozialen und gemeinschaftlichen Diensten leisten. Das soll «bessere Resultate» für weniger Geld bringen
  • Im Kern dieser Zukunftsstadt sei eine Schicht der digitalen Infrastruktur, die immerwährende Verbindung für alle bietet, neue Einsichten in die urbane Umwelt bietet und den Erfindergeist und die Kollaboration zur Lösung von lokalen Problemen fördert

Nicht die erste Smart City

Die Idee zur smarten und vernetzten Stadt ist nicht neu. Ein ganzes Genre der Nostalgie, der sogenannte Retrofuturismus beschäftigt sich ausschliesslich mit der Archivierung und Bewunderung von Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit.

Einige Jahre vor diesem Video hat sich der Filmstudiobesitzer Walt Disney mit der Zukunft der Städte auseinandergesetzt. Disney hatte viele Grosskinder und wollte sicherstellen, dass diese einen schönen Platz zum Leben haben. Das Resultat, ein unfertiger Entwurf, heisst Epcot. Eine Abkürzung für Experimental Prototype Community of Tomorrow, also experimenteller Prototyp der Gemeinschaft von Morgen.

Epcot, nach einer Vision von Robert McCall, 1982

Disney wollte Elemente seiner schönen, sauberen und glücklichen Vergnügungsparks in die verbrechensverseuchten und dreckigen Städte dieser Welt bringen. Da sowohl Disney World wie auch Städte recht viel Platz in Anspruch nehmen, hatte Disney Leute in seinem Unternehmen, die sich mit dem Städtebau auskennen. Projekt Epcot sollte also Disney-Idylle in die echte Welt bringen. Kurz vor seinem Tod hat Disney in Florida Land gekauft. Epcot wurde aber nie gebaut.

Aber in der Idylle Disney Worlds ist Epcot Realität. Jeder grössere Park der Welt hat ein Epcot Center, in der die Vision Disneys etwas weiterleben darf.

  • Barcelona hat unter anderem ein smartes Irrigationssystem in Parks verbaut
  • Dublin hat eine offene Datenplattform namens Dublinked, in der Bürger und Offizielle offen interagieren können
  • Andere Städte ziehen in Indien, England, Spanien, den Niederlanden und anderen Ländern der Welt nach

All den Initiativen zum Trotz ist Googles Sidwalk-Projekt die erste Stadt, die komplett und schon im Aufbau smart sein soll.

Der Alptraum für die Privatsphäre

Das alles ist recht vage, aber einige Punkte stechen heraus. Insbesondere die folgenden:

  • Immerwährende Datenkonnektivität
  • Selbstfahrende Fahrzeuge
  • Datenbasiertes Management

Um ein datenbasiertes Management zu haben, müssen Daten gesammelt werden. Google ist extrem gut darin, Daten zu sammeln. Wenn Google jetzt einen ganzen Stadtteil mit immerwährender Datenkonnektivität und datenbasiertem Management versehen darf, wenn das Unternehmen den Stadtteil nicht gleich ganz baut, dann können wir davon ausgehen, dass es mit der Privatsphäre nicht weit her ist.

Denn um Daten zu sammeln, müssen in der echten Welt Sensoren verwendet werden. Von Überwachungskameras will ich hier noch gar nicht reden, denn diese sind ineffizient, wenn du rohe Daten willst. RFID oder eine vergleichbare Technologie wäre hier praktischer. Du gehst in den Supermarkt? Der Chip in deiner Tasche wird am Eingang registriert. Zeig den Chip an der Kasse für Rabattpunkte und nicht nur weiss das Datenmanagement wann du wo gewesen bist, sondern auch was du gekauft hast. Mit nur wenig Datenkorrelation kann hier viel erreicht werden, ganz ohne Kameras.

Das Modell des Verkehrs. Individualverkehr über dem Boden, Lieferungen unter dem Boden

Nicht nur in Punkto Produktehandel müssen Daten gesammelt werden. Eine Skizze auf der Sidewalk Site zeigt, wie sich Google den Verkehr vorstellt. Selbstfahrende Autos über dem Boden, eine Art U-Bahn mit Lieferungen unten. Auch hier: um Dinge auszuliefern muss Google wissen, wer wann wo zu finden ist. RFID hilft. Die Fahrzeuge müssen zudem mit Sensoren ausgestattet sein, damit du in der Googlestadt nicht über den Haufen gekarrt wirst. Oder dass die Fahrzeuge nicht kollidieren.

Da wir hier von Google reden, können wir davon ausgehen, dass es mit diesen Sensoren alleine noch nicht getan sein wird. Aber es wird darauf hinauslaufen, dass der gläserne Mensch Realität wird.

Keine Sorge?

Vor allem bedenklich in diesem Kontext ist, dass ein gewinnorientierter Konzern – der sich immer mal wieder das Mäntelchen des Wohltäters anlegt – einfach so eine Stadt bauen darf. Denn in weiten Teilen der Welt ist es Sache der Regierung, eine Stadt zu bauen. Das ist nicht nur in einer Demokratie so, sondern auch in kommunistischen Staaten wie Nordkorea oder ehemaligen kommunistischen Staaten wie Russland.

Wenn aber dem Late Night Talker John Oliver geglaubt werden darf, dann scheitern die Regierungen auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Die Verantwortlichen haben laut Oliver das Personal zur Inspektion und amtlichen Wartung zusammengestrichen und vernachlässigen die Renovation und Neubauten von kritischer Infrastruktur. Natürlich wünschen sich Menschen sichere Strassen und Brücken, die halten, aber wenn die Regierung das nicht übernimmt, dann ist es offensichtlich, dass jemand anders früher oder später in die Bresche springt.

In der Schweiz können wir uns das nicht vorstellen, da die hiesige Regierung vergleichsweise grossartige Arbeit leistet. Klar, die ewigen Strassenbaustellen im Sommer nerven, aber stell dir mal vor, wenn wir sie nicht haben. Daher wird Google sich wohl die ärmeren Gegenden in der ersten Welt vornehmen.

Die East Bayfront in Toronto dürfte wohl sowas wie ein erster Test in der Realität werden, da die kanadische Grossstadt sicher und relativ gut gewartet ist. Einst war da ein Industriehafen, der aber nicht mehr genutzt wird. Jetzt wird das altindustrielle Gebiet umgenutzt und soll, auch ohne Googles Zutun, gemischt genutzt werden.

Die möglichen Folgen

Mit dem Einfall eines Unternehmens in einen öffentlichen Raum tun sich Fragen zu den geltenden Gesetzen und Regeln auf. Was darf wer? Wenn Google schon die ganze digitale Infrastruktur stellt, ergibt es dann nicht auch Sinn, wenn der Konzern auch gleich die Häuser baut und verwaltet? Wer regiert? Können Leute aus der Stadt entlassen werden?

Schwarzmaler stellen sich jetzt das Detroit aus den Robocop-Filmen vor. Im Film hat der Konzern Omni Consumer Products, oder OCP, die Stadt mehr oder weniger übernommen. Der Film beginnt, als OCP die Hütung des Gesetzes übernimmt und den Polizisten Alex Murphy (Peter Weller) als Unfreiwilligen für das Robocop-Projekt zum Roboter umbaut.

Oder einfach nur Detroit, denn die Stadt hat es im Moment schwer.

Es sind solche Orte, die von Google und deren Städtebauinitiative profitieren können. Denn wer will nicht in einer sicheren Nachbarschaft mit moderner Infrastruktur und all dem leben? Sobald aber ein Unternehmen den öffentlichen Raum übernimmt, muss die Regierung klare Regeln setzen. Dass das den Unternehmen, die den Job der Regierung zur Aufwertung übernehmen wollen, ist auch klar, was halt das eine oder andere Projekt versenken könnte.

Schade für die Bewohner, aber wenn ein Unternehmen sich nicht damit abfindet, im Namen der eigenen Wohltätigkeit etwas zu bauen, ohne die Kontrolle darüber zu haben, dann dürfte es mit der Wohltätigkeit nicht weit her sein. Denn Unternehmen wollen vor allem eines: Profit erwirtschaften.

Wer glaubt, dass Google aus reiner Gutherzigkeit agiert, ist naiv. Wer dem Unternehmen pure Boshaftigkeit unterstellt, auch. Denn mit Boshaftigkeit lässt sich kein Profit schlagen. Und irgendwo müssen wir ja alle Geld verdienen, oder?

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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