

I, Tonya: «Those bitches didn’t even know what hit’em.»
Die Eishexe kommt ins Kino: Eine irrwitzig wahre Geschichte und viel schwarzer Humor erzählen, wie aus Tonya Harding die meistgehasste Person der letzten zwanzig Jahre wurde.
Tonya Harding (Margot Robbie) ist kein Naturtalent im Eiskunstlauf. Zudem ist die fluchende, kettenrauchende Amerikanerin aus armen Verhältnissen so ziemlich das Gegenteil der Eisprinzessin, wie sie gerne im Sport dargestellt wird. Dennoch ist sie 1987, gerade mal 17jährig, die erste Amerikanerin, die den dreifachen Axel unter Wettbewerbsbedingungen steht. Ihre grosse Rivalin: Landsfrau Nancy Kerrigan (Caitlin Carver). Elegant, grazil, und der Liebling der Nation.
Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Kurz vor den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer, als sich der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Sportlerinnen zuspitzt, wird Kerrigan angegriffen. Mit einer Eisenstange wird ihr ins Knie geschlagen. Der Täter? Unbekannt. Aber Tonya Harding geht als Schurkin des grössten Skandals der Eiskunstlauf-Geschichte ein, und der Mythos der «Eishexe» wird geboren.
Zurück auf Anfang, wo das Übel herkam
Eine einfache Aufgabe haben sich die Filmmacher bestimmt nicht ausgesucht. Schliesslich wird vom Zuschauer verlangt, sich mit der Eishexe wenigstens ein Stück weit zu verbünden. Das gelingt, indem Regisseur Craig Gillespie und Drehbuchautor Steve Rogers zunächst zu den Anfängen zurückkehren.
So ist «I, Tonya» nicht die Geschichte zweier Konkurrenten, die sich bis zum bitteren Ende bekämpfen. Es ist vielmehr die Geschichte der kleinen Tonya, die von Kindesbeinen gedrillt und von Mutter LaVona Harding (Allison Janney) brutal misshandelt wird.
«Dann fährst du eben nass weiter», schimpft LaVona, als Tonya, gerade mal vierjährig, im Training der Urin die Strumpfhose runterläuft, weil ihre Mutter sie nicht auf die Toilette gehen lässt. Misslungene Küren auf dem Eis bestraft sie mit harten Schlägen. Und als Tonya versucht, Freundschaften mit anderen Mädchen zu schliessen, schreitet die Mutter sofort ein: «Tonya, was machst du da? Sie ist deine Feindin.»
Als Harding mit fünfzehn ihren ersten Freund und späteren Ehemann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) trifft, scheint ihr das Leben endlich etwas Glück zu gönnen. Ein Trugschluss. Die ständigen Schläge ihres Mannes – der in puncto Gewalt der Mutter in nichts nachsteht – vergiften sie genauso sehr wie der ätzende Rauch von LaVonas Zigaretten.
Das eine, alles vergiftende Gefühl
Eine Aussage, die emotional ins Schwarze trifft.
Denn ausser Mobbing, Drill und Gewalt kennt Harding nichts in ihrem Leben. Sie war schon vor «dem Vorfall» der Abschaum der Szene, den man nur ungerne beim Siegen zusah.
Und Harding hat früh gelernt, dass die Welt es auf sie abgesehen hat. Jeden einzelnen, verdammten Tag.
Der dreifache Axel
Sie mag zwar kein Naturtalent sein, aber das Handwerk – das beherrscht sie dank ihres muskulösen Körperbaus perfekt. In ihrem Gefühl bestärkt sieht sie sich allein ab der Tatsache, dass sie die erste Amerikanerin ist, die den dreifachen Axel unter Wettbewerbsbedingungen steht. Ein Sprung so unglaublich schwer, dass er bis heute von nur sechs weiteren Frauen gestanden wurde.
Und doch erlangt Harding nie die Anerkennung, die sie verdient hätte. Angefangen bei der fluchenden und schlagenden Mutter, des ausnutzenden und nicht minder gewalttätigen Ehemannes bis hin zu den Preisrichtern am Rande der Eisfläche.
«Alle diese Menschen, die behaupteten, ich könne es nicht schaffen… nun, fickt euch! Ich habe es geschafft», sagt Tonya Harding aus dem Off.
Das gefällt Amerika gar nicht.
Aftermath – willst du den Film sehen?
Bis heute sind die Umstände, die zu Kerrigans zertrümmerten Kniescheibe führten, nicht hundertprozentig geklärt. Zur Frage, inwiefern Tonya in die Pläne von Ehemann Gillooly und Bodyguard Eckhardt eingeweiht war, vertritt der Film eine klare Meinung.
Gillespie spielt gekonnt mit dem Bild der schönen Prinzessin auf der einen, und der eifersüchtigen Erzrivalin auf der anderen Seite. Das Problem: Die Schauspieler sind besser als der Film selber. Ausgerechnet in der zweiten Hälfte, nach dem Vorfall, geht «I, Tonya» die Puste aus. Unnötige Längen schleichen sich ein, und lassen den Film langatmiger erscheinen, als es seine zwei Stunden Laufzeit eigentlich zulassen.
Zudem müssen sich Gillespie und Rogers den Vorwurf gefallen lassen, sich zu sehr auf die Seite Hardings geschlagen zu haben. Exemplarisch dafür ist die Tatsache, dass Rivalin Nancy Kerrigan kein einziges Wort im Film zu sagen kriegt – abgesehen von den wehleidigen Klagerufen nach dem Attentat.
So ist «I, Tonya» eine gewagte Charakter-Studie geworden, die vor allem schauspielerisch, dafür weniger inhaltlich überzeugen kann, weil der Spannungsbogen nicht bis zum Schluss hält. Das soll keineswegs bedeuten, der Film sei nicht sehenswert – im Gegenteil. Er schafft es gar, unerwartete Sympathien für eine Frau zu schaffen, die von den Medien üblicherweise als das Böse in Person dargestellt wird.
An die Perfektion eines fehlerfrei ausgeführten dreifachen Axel, gefolgt von einem doppelten Toe-Loop, ist er aber ein ganzes Stück entfernt. Nichtsdestotrotz: Go, see it!
Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.
Vom neuen iPhone bis zur Auferstehung der Mode aus den 80er-Jahren. Die Redaktion ordnet ein.
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