
«MLB The Show 18»: Mehr Spektakel geht nicht

Baseball ist in den USA Kult, aber in unseren Breitengraden kaum eine Randnotiz Wert. Packender, authentischer und epischer denn je wagt «MLB The Show 18» den virtuellen Sprung über den grossen Teich. Zurecht, denn die Sport-Simulation der Sony San Diego Studios ist ein Homerun.
Während meiner dreiwöchigen Rundreise im Westen der Staaten sitze ich an einem sonnigen Nachmittag auf dem zweitobersten Rang im Dodger Stadium und blicke ins weite Rund. Die Faszination dieser Sportart spüre ich bis in die Fingerspitzen.
Doch das war nicht immer so: Davor kannte ich diese Art des Ballsports nur aus der Glotze – ungefähr fünf Minuten am Stück hielt ich es aus, dann musste ich den Kanal wechseln. Die Regeln waren mir fremd und die Übertragungen deshalb unverständlich. Weshalb Baseball bei uns im Osten nicht dieselbe Popularität geniesst, sah ich ein. Ein Sport, zur Langeweile verdammt – die Einleitung des Wikipedia-Eintrags unterstreicht dies. Dass ein Videospiel daran je etwas ändern könnte, hielt ich für unmöglich.
Aber an jenem Tag, nördlich von Downtown Los Angeles, im 56'000 Plätze fassenden Stadion der einheimischen Dodgers, ist alles anders. Ich kenne die Regeln, habe mich mit dem Sport vertraut gemacht und ihn lieben gelernt. Sekunden vor dem ersten Pitch ist die Spannung greifbar, die Stimmung nahe am Siedepunkt.

Der erste Wurf: Strike! Sagen die Umpires... die Fans sehen es logischerweise anders. James Loney, First Baseman des Heimteams, lässt sich davon nicht beirren, wirft einen bösen Blick in Richtung Schiedsrichter, zupft sein Trikot zurecht und haut den nächsten Ball aus dem Stadion.
Die Meute tobt, blau-weiss-rote Feuerwerkskörper werden gezündet und der muskulöse Hitter lässt sich beim Umrunden der Bases frenetisch feiern.
Welcome to the show!

Ein steiniger Weg
Kurz zu meiner «MLB The Show»-Vorgeschichte: Die letzten beiden Games der MLB-Reihe (16 und 17) habe ich bewusst ausgelassen. Die Verbesserungen und Upgrades der 15er-Version im Vergleich zum Vorjahr waren schlichtweg zu gering. Als Sportspiel-Aficionado ahnte ich Böses und befürchtete dasselbe Fiasko wie bei EAs NHL-Serie. Daher gönnte ich mir eine zweijährige Auszeit.
Mein Supporter-Herz schlägt für die Boston Red Sox und ich verfolge seit meinem ersten USA-Trip regelmässig deren Spiele oder schaue zumindest die Recaps. Auf einem Online-Werbebanner wurde bei einem solchen Check der Scores dann auch die neueste Version des Baseball-Games angepriesen. Jeder hat eine zweite Chance verdient, dachte ich. Also los, let's give it a try – die beste Entscheidung meines Lebens.
Mir ist bewusst, dass ich – da ich den Vorgänger nicht gespielt habe – nicht objektiv sagen kann, wie sehr sich das Spiel seit der letzten Ausgabe verbessert oder verändert hat. Ich kann jedoch sehr wohl beurteilen, wie sich der neueste Wurf spielt und was sich seit 2015 getan hat. Spoiler-Alarm: verdammt viel.
Identisch, aber viel besser
Wenn's um die Spielmodi und Inhalte geht, ist «MLB The Show 18» mit «FIFA 18» zu vergleichen: Die beliebtesten Inhalte werden übernommen, aber dennoch fortlaufend verbessert und ausgebaut. Ein erster innerlicher Freudensprung, denn die Baisse aus den Jahren 2014 und 2015 scheint überwunden.
Klassiker wie das Homerun-Derby oder der Franchise Mode gehören nach wie vor zum Repertoire. Homerun-Derby, fragst du dich? It's as simple as it sounds: die Kugel möglichst oft aus dem Stadion befördern. Im Franchise Mode übernimmst du die Kontrolle eines der 30 Teams der Major League Baseball und führst sie via Playoffs (hoffentlich) zum World-Series-Titel.
Hinzu kommen der spassige Retro Mode und das ultimative Duell. Im Retro-Modus feierst du eine Baseball-Party mit deinen Freunden, egal, ob sie den Begriff zum ersten Mal hören oder absolute Profis sind. Der Spass steht im Vordergrund – trotzdem können dadurch auch die dicksten Freundschaften ein jähes Ende nehmen. Wenn du denkst, «Mario Kart» ist das Spiel um Leben und Tod schlechthin, hast du noch nie im letzten Inning einen Grand Slam fressen müssen. Hä, Grand was? Du verstehst nur Bahnhof? Stell dir vor, die doofe Prinzessin Peach jagt dir gefühlte 3 Zentimeter vor dem Ziel einen roten Panzer in den Hintern, während du auf einer Bananenschale ausrutschst.

Im Ultimate Duel überleben nur die ganz Grossen – survival of the fittest. Epische Showdowns zwischen rivalisierenden Teams, eine umkämpfte Playoff-Serie, bei der jedes Out gefeiert wird, oder unmögliche Comebacks lassen Herzen höherschlagen und strapazieren deine Nerven. Hier spielst du Situationen, in denen es um alles geht. Go hard or go home, sozusagen.
Der von mir bisher nie gespielte Diamond-Dynasty-Modus bietet die Möglichkeit, ein eigenes Team zu erstellen und gegen die Legenden des Baseballs antreten zu können. Von den Shirts übers Logo bis hin zur Schuhsohlen-Farbe kannst du alles selbst wählen und dir so deine Traumtruppe zusammenstellen. Dieser Mode spielt sich ähnlich wie FIFA Ultimate: Mit dem Erfolg kommt auch der Zaster beziehungsweise die Punkte. Damit kannst du dir dann bessere Spieler, schönere Trikots und grössere Stadien unter den Nagel reissen.
Ganz grosses Kino: Road to the show
Das eigentlich Prunkstück des Spiels ist (und bleibt – denn das war schon bei «MLB The Show 15» so) aber der Karriere-Modus mit dem klingenden Namen «Road to the show». Dort erstellst du einen Spieler und arbeitest dich vom AA-Niveau über die AAA Minor League hoch in die prestigeträchtige Major League. Das Prinzip ist simpel, die Umsetzung schlichtweg grandios.
Ich mochte den Karriere-Modus schon in der NHL-Reihe. Auch FIFAs Pendant hat mich überzeugt. Mit «The Journey» und Alex Hunter zementierte EA vor zwei Jahren den vermeintlichen Leaderthron. «MLB The Show 18» kratzt nicht nur an ebenjenem Betonpodest, sondern zerstört es eindrücklich.

Die Demontage beginnt bereits bei der Spielererstellung. Sage und schreibe über 40 Minuten habe ich mir Zeit gelassen, einen Spieler nach meinem Ebenbild zu erschaffen. Dank Finetuning-Möglichkeiten, die bis hin zur Länge und Tiefe der Lachfalten in der Mundregion reichen, ist dies auch problemlos möglich. Es gibt nichts, was es nicht zu bearbeiten gibt. Du kannst sogar die passende Sprachausgabe deines Vor- und Nachnamen wählen, um vom Stadionspeaker angemessen angekündigt werden zu können. «Next up: Raphael Knight [Anm. d. Red.: Knecht gibt's leider nicht zur Auswahl, aber Knight ist ja auch nicht so schlecht], third baseman and leader in RBIs.» Klingt halt schon viel geiler, als wenn nur deine Rückennummer ausgerufen wird. Chapeau, Sony!
Danach musst du dich für einen Archetypen entscheiden. Bist du Mister Zuverlässig, der beinahe jedes Ding ins Feld haut, oder siehst du dich eher in der Rolle des Homerun Hitters, der zwar einen tieferen Batting Average hat, aber dafür die Big Hits auspackt? Hier sind die Auswahlmöglichkeiten eingeschränkt, was aber nicht weiter schlimm ist. Je nach dem, wofür du dich entscheidest, limitierst du im weiteren Verlauf deiner Baseball-Karriere die Obergrenze deiner Fähigkeiten. Ein Base Runner wird beispielsweise niemals Top-Werte bei den Power-Schlägen erreichen können, während ein Big Batter auch mit viel Training nie zum Speedy Gonzales werden wird.
Deine Fähigkeiten verbesserst du (bis zum Erreichen des Caps) fortwährend: Gelingt dir ein guter Schlag, erhältst du Pluspunkte für Kontakt und Flugweite des Balles, Abzüge gibt's zum Beispiel bei Strikeouts oder beim Versagen im entscheidenden Moment. Ausserdem kannst du an Ruhetagen gewisse Attribute oder Caps trainieren und verbessern. 2015 konntest du die gewonnenen Erfahrungspunkte noch jedem beliebigen Attribut zuschreiben, das du pushen wolltest. Die jetzige Version gefällt mir besser, sie ist realistischer.

Hast du deinen Charakter geformt, steht der erste Test an: Im Batting Cage kannst du deine Schläge üben, bevor's dann in einer kurzen Session vor den Scouts darum geht, den Lederball so richtig zu vermöbeln. Anschliessend musst du dich auch noch auf dem Feld, also in der Defense, beweisen. Zu guter Letzt darfst du dich dann live in zwei Exhibition Matches präsentieren. Danach steht der Draft an und du erfährst, für welches AA-Team du zu deinem ersten At-Bat antreten wirst. Und schon bist du ready für den ersten von vielen grossen Schritten, die hoffentlich folgen werden.
Baseball, wie du ihn liebst
Die Jungs und Mädels der Sony San Diego Studios haben an alles gedacht. Selten habe ich ein Spiel gezockt, bei dem die Entwickler ihre Hausaufgaben derart sorgfältig erledigt und die Möglichkeiten optimal ausgeschöpft haben. Sei es der First Base Coach, der dir via Controller-Lautsprecher Tipps zuruft, oder nervenaufreibende Vibrationen, die dich, wenn du mit Schlagen an der Reihe bist, dein Team einen Run zurückliegt und die Bases voll sind, noch nervöser machen – «MLB The Show 18» schafft es, dich von der ersten Sekunde an in seinen Bann zu ziehen und lässt dich nicht mehr los.
Das Wetter ist eigentlich nur Nebensache, hat sich bei mir aber trotzdem in den Vordergrund gespielt. Startest du ein Abendspiel vor dem Sonnenuntergang, kannst du miterleben, wie der heisse Feuerball langsam hinter dem Horizont verschwindet und die Nacht Einzug hält. Ebenso verhält es sich mit der Bewölkung: Dein erster At-Bat findet unter wolkigem Himmel statt, beim dritten oder vierten Mal tröpfelt es bereits und die Extra-Innings gehen im Regen zu Ende. Es sind solche Feinheiten, die «MLB The Show 18» komplett erscheinen lassen.

Einen weiteren Meilenstein setzt das Game in Sachen Steuerung. Als Base Runner oder Fielder hast du verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl. Egal, wofür du dich entscheidest: Es gibt keine einfache Lösung. Was hier den Reiz des Spiels ausmacht, ist die Mischung. Der Mix zwischen den einfachen, initialen Befehlen (mit dem X-Button wirfst du beispielsweise zur Home Base) und der folgenden, fordernden Ausführung (der Wurf kommt nur dann schnell und präzis genug an, wenn du mit dem rechten Analogstick dein Wurf-Visier rechtzeitig in den Zielkreis des Catchers bugsierst) ist so sonst nirgends zu finden.
Aber auch in der Offense ist das Leben kein Ponyhof: Als Batter hast du die Wahl, ob du auf Kontakt (Kreis), mit Power (Viereck) oder normal (Kreuz) schlagen möchtest. Oder aber du entscheidest dich, nur mit den Sticks zu arbeiten. Auch eine Kombination aus beiden Elementen ist möglich. Zusätzlich kannst du die Art des Pitchs erraten, was dir einen Bonus verschafft, wenn du richtigliegst. Und «MLB The Show 18» wäre nicht «MLB The Show 18», wenn es keinen Abzug gäbe, solltest du falsch liegen. Schliesslich hat – wie im echten Leben – auch das Timing sowie die Confidence des Pitchers einen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg eines jeden Schlages.

(Fast) fehlerlos
Die Fehleranalyse gestaltet sich bei diesem Spiel ebenso herausfordernd, wie es zu meistern. Das Ganze gleicht einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Bei FIFA werden die oft eintönigen und langweiligen Kommentatoren kritisiert. In «MLB The Show 18» kann ich nicht genug kriegen vom Unfug, den Matt Vasgersian, Dan Plesac und Mark DeRosa an ihren Mikrofonen treiben. Hast du jedoch bereits einige Partien gespielt und die Saison neigt sich dem Ende zu, lassen sich auch die drei Herren dann und wann zu sich wiederholenden Sprüchen hinreissen.
Grafisch kann die Sport-Simulation mit Branchenführern wie «God of War» oder «Uncharted» nicht ganz mithalten. Das tut dem Spielspass aber überhaupt keinen Abbruch. Denn auch hier ist es den Sony-Entwicklern gelungen, eine Atmosphäre zu schaffen, die dich derart fesselt, dass solche Details kaum auffallen. Im Rahmen dieser Review habe ich explizit darauf geachtet, gestört hat es mich jedoch nicht. Das Gameplay und die Präsentation, gepaart mit einer fetten Portion Amerika, sorgen dafür, dass du kleinere Bugs mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nimmst und gleich wieder vergisst.

Ob das Spiel auch für blutige Anfänger geeignet ist? Vor drei Jahren hätte ich hier mit einem klaren «Ja» geantwortet. «MLB The Show 18» hingegen legt die Latte bereits für Einsteiger ziemlich hoch. Hast du aber Lust, Zeit und den Willen, dich reinzubeissen, zahlen sich die anfänglichen Frustmomente aus.
Fazit: Mehr als nur Baseball
Wenn du nicht schon eine PS4 gekauft hast, als es dir Philipp in seinem «God of War»-Review nahegelegt hat, dann ist es spätestens jetzt an der Zeit, dies nachzuholen. Der Titel ist nämlich exklusiv für die PS4 und nur als US-Version erhältlich sowie für die PS4 Pro optimiert. Auch all jene Spieler, die sich konsequent gegen Sport-Simulationen wehren, kommen an «MLB The Show 18» nicht ohne schlechtes Gewissen vorbei.

Für Amis ist das Ding sowieso ein Must-have, aber auch allen anderen lege ich den Kauf mehr als nur nahe. Kaum ein anderes Videospiel wird dich derart tief ins Geschehen eintauchen, deinen unbändigen Siegeswillen in dir emporsteigen und dich bei einem irregulären Strikeout verzweifeln lassen. Schlägst du deinen ersten Homerun, reckst du stolz die geballte Faust gen Himmel – ob du willst oder nicht.
Gut, besser, Baseball: «MLB The Show 18» ist das Beste, was diesem Sport widerfahren konnte. Du wirst Baseball mit jeder Faser deines Körpers spüren und spielen wollen. Denn die Sony San Diego Studios haben einer hierzulande zu Unrecht ignorierten Sportart eine Bühne gegeben, die sie verdient. Und ein Spiel, das dir alles abverlangt.
Dank diesem Meisterwerk ist spätestens beim ersten At-Bat das langweilige Image, das in Europa seit jeher auf der legendären US-Ballsportart lastet, Geschichte.


Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.