Nokia 3310 – die Legende lebt
Produkttest

Nokia 3310 – die Legende lebt

David Lee
28.9.2017

Kollege Dominik Bärlocher und ich haben gerade Phones getestet, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Dominik das Samsung Note 8 via Dex an seinen 40-Zoll-Bildschirm angeschlossen und damit produktiv gearbeitet hat (20 geöffnete Browser-Tabs), bin ich hier am anderen Ende der Leistungsskala: Ich feiere ein Dumbphone ab.

Nokia war eigentlich schon tot. 2013 verkaufte der finnische Konzern seine Mobile-Sparte an Microsoft. Drei Jahre später gab Microsoft dann selbst auf. Die Markenrechte liegen nun bei der ebenfalls finnischen Firma HMD Global – und die erweckt Nokia zu neuem Leben. Neben zeitgemässen Android-Smartphones ist darum auch eine Neuauflage des legendären Nokia 3310 erhältlich.

Wer will denn sowas?

Ich habe mich ja schon als Dumbphone-Fan geoutet und bin daher wohl die ideale Testperson. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass die klassischen Dumbphones (oder netter ausgedrückt: Feature Phones) nach wie vor ihre Vorteile und damit ihre Berechtigung haben. Sie können zwar viel weniger, machen aber auch weniger Ärger. Ein simples Handy verlangt nicht ständig nach Aufmerksamkeit. Du verbringst deine Zeit mit Schönerem als mit dem Updaten von System und Apps, mit Synchronisation und Datenübertragung. Du bist viel weniger auf dein Telefon fixiert.

  • Hintergrund

    Coming-out: Ich liebe Dumbphones

    von David Lee

Das alte, das neue und das ganz neue Nokia 3310

Das neue Nokia 3310 ist zwar an den Klassiker angelehnt, aber keine originalgetreue Nachbildung. Zum Glück, möchte ich anfügen. Denn selbst einem erklärtem Dumbphone-Liebhaber wie mir ist das alte 3310 ein bisschen gar zu doof. Zwar ist das Original natürlich «the real shit» und hatte schon lange vor dem iPhone 7 keinen Kopfhöreranschluss. Leider kann es aber ausser Telefonieren, SMS und Snake praktisch nichts. Keine Kamera, keine Musik, noch nicht mal ein Farbdisplay. Mit dem neuen Nokia 3310 kannst du immerhin per microSD den Speicher auf 32 GB erweitern und so zum Beispiel Musik hören. Es verwendet zum Laden und zur Datenübertragung einen ganz normalen microUSB-Anschluss. Ausserdem, was man in verklärter Nostalgie gerne vergisst: Die alten Knochen waren zwar klein, aber dafür auch dick. Das neue Handy ist nun auch einigermassen flach.

Das alte 3310 ist richtig dick, und das unten ist auch kein Kopfhöreranschluss, sondern für den Strom.
Das Design ist gelungen. Man erkennt die Verwandtschaft, aber viele Nachteile sind weg. Zum Beispiel sind jetzt die Tasten beleuchtet.

Ganz neu: auch in 3G. Die erste Version des «neuen» Nokia 3310 kann sich nur mit dem GSM-Netz (2G) verbinden. Dieses wird aber in der Schweiz Ende 2020 voraussichtlich abgeschaltet, womit das Telefon unbrauchbar würde. Ausserdem ist die Internetverbindung, falls man sie doch mal braucht, etwas gar langsam. Das superneue Nokia 3310 (Verkaufsstart: 16. Oktober, bestellen kannst du schon jetzt) beherrscht nun auch 3G. Ansonsten unterscheidet es sich nur in kleinen Details vom 2G, das ich hier ausprobiert habe. Unter anderem kann man die Benutzeroberfläche etwas freier gestalten – das 2G ist diesbezüglich sehr eingeschränkt.

Vergiss WhatsApp!

Bevor ich einfach so das Telefon wechsle, will ich wissen, ob mit dem neue Nokia 3310 WhatsApp funktioniert. Denn das ist eines der wenigen Smartphone-Features, die ich wirklich brauche. Leider. Antwort: Nein, WhatsApp kannst du auf diesem Gerät vergessen. Leider. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder ich halte eine pathetische Abschiedsrede in meinen wichtigsten WhatsApp-Gruppen, oder ich trage das Smartphone weiterhin mit mir rum und nutze es wann immer möglich mit WLAN. Da die Übung für mich nur temporär ist, entscheide ich mich für die zweite Variante.

Los gehts!

Das hätte ich mir eigentlich denken können: Das Nokia 3310 funktioniert nicht mit Nano-SIM, es braucht einen Adapter. Allerdings nicht für das grosse Original-SIM, sondern für Mini-SIM. Mir wird das erst klar, als ich die Karte bereits so weit in den Schacht hineingeschoben habe, dass ich sie kaum mehr herausbringe.

Einfach mal probieren, ob die SIM reinpasst – eine ganz dumme Idee

Nach einer chirurgischen Glanzleistung meinerseits ist das Telefon dann doch betriebsbereit. Sofort stellt sich ein wohliges Gefühl ein. Das Nokia-Signet zum Start. Der unverwechselbare Klingelton. Die übersichtliche Bildschirmdarstellung. Trotz der lächerlichen Auflösung von 320x240 Pixeln ist alles extrem gut lesbar. Was ja viele nicht kapieren: Die Bezeichnung «Senioren-Handy» ist ein Kompliment.

Das Telefonbuch vom Android-Smartphone zu übernehmen, funktioniert sehr einfach. An beiden Telefonen Bluetooth einschalten, koppeln, und in drei Sekunden sind die Kontakte auf dem Nokia. Top!

Verarbeitung

Die Verarbeitung ist keinesfalls hochwertig, aber das kannst du für den Preis auch nicht erwarten. Nokia-Bildschirme zerkratzten schon immer recht schnell, das ist auch hier nicht anders. Aber Kratzer sind immer noch besser als Scherben. Da das Gerät leicht ist, dürfte es Stürze besser überstehen als ein schweres, teures Smartphone.

Musik

Das Kabel ist mit Sicherheit genug lang (etwa 1,5 Meter). Aber die Kopfhörer haben keine Silikonaufsätze, nicht mal Schaumstoffpolster. Das sind einfach nur so Plastiktöggel, die weder im Ohr halten noch Lärm abschirmen. Ich tausche sie sofort gegen meine bisherigen Kopfhörer aus. Später dann probiere ich noch, ob auch Bluetooth funktioniert; mit dem «Bluetooth-Haarreif» Sony WI-H700, der bei Kollegin Cheryl gerade so herumliegt, klappts auf Anhieb.

Die mitgelieferten Kopfhörer sind ein bisschen gar spartanisch
Das Nokia kann auch Bluetooth. Mit diesem Kopfhörer von Sony klappte es auf Anhieb

Tatsächlich könnte ich mit der microSD-Karte theoretisch 32 GB Musik laden und hören. Allerdings nur MP3, nicht AAC. Und die Bedienung ist, um es mal nett zu sagen, nicht für so grosse Speicher ausgelegt. Es erscheinen sämtliche Titel in einer einzigen Liste. Via Menu kannst du zum nächsten Ordner springen. Viel Spass bei 100 Ordnern! Ob etwas ein Ordner (Albumname) oder ein Song ist, erkennst du einzig daran, dass bei den Ordnern der Befehl «Wdrgb.» (sic!) ausgegraut ist. Einzelne Stücke, die eher am Ende des Alphabets angesiedelt sind, erreichst du zwar auch über den Dateibrowser, aber dann kannst du nicht das ganze Album abspielen.

Fazit: Das könnte man echt besser machen, auch unter Symbian und auch bei einem Bilig-Handy.

Kamera

Die Kamera bietet LED-Blitz, Belichtungskorrektur, Selbstauslöser und die wahrscheinlich langsamste Serienbildfunktion der Welt. Sie ist so langsam, dass ich zuerst nicht merke, dass sie in Betrieb ist. Die Bildqualität ist so schlecht, dass es schon fast Kunst ist, ähnlich wie bei der Lomografie. Ein schnödes Foto vom Zürcher Kreis 5 wird zum impressionistischen Gemälde. Der interne Speicher reicht für etwa 7 Bilder. Mehr will ich aber auch nicht machen.

Eher Malerei als Fotografie: Aufnahme mit Nokia 3310
Zum Vergleich die auch nicht gerade tolle Kamera des Samsung Galaxy A3 (2015)

Du kannst mit diesem kleinen Wunderwerk der Technik auch Videos aufnehmen. Zum schlechten Bild gesellt sich da die unterirdisch saumässige Soundqualität. Der Nokia-Nostalgiker in mir sagt: Das muss alles genau so sein. Statt sich zu ärgern, heisst es: zurücklehnen und geniessen, am besten auf einer 3-Meter-Heimkinoleinwand.

Ich bin schon lange der Meinung, dass die Videoqualität von Nokia-Handys Kultpotenzial hat. Um die Soundqualität so richtig schön zur Geltung zu bringen, habe ich ein Musikvideo gemacht. Fun fact: Die Bildrate sank von 9 auf 4 Bilder pro Sekunde. Vermutlich, weil es etwas dunkler war.

Fazit: Die Kamera ist grotesk schlecht, und das ist absolut grossartig.

Dieses sogenannte Internet

Ich rufe die Digitec-Webseite auf. Es funktioniert. Krass! Ich teste ja noch die 2G-Version, und das dauert. Die Darstellung könnte auch ein bisschen superer sein. Aber hey, ich bin im Internet!

Dann werde ich gleich übermütig und lade im App Store (ja, den gibts, aber es ist ein Software-Friedhof) die Mail-App herunter, die 602 Kilobytes gross ist. Bei der Konfiguration des Mail-Accounts ist dann alles genau so wie früher. Das funktionierte bei mir ehrlich gesagt noch nie auf Anhieb und es klappt auch jetzt nicht. Ich kann keine Mails abrufen. Echtes Retro-Feeling! Neu ist nur, dass sich die Menu-Einträge gar nicht auswählen lassen, respektive man nicht sieht, ob man sie nun ausgewählt hat oder nicht. Die Mail-App ist unbrauchbar.

Akkulaufzeit

Dass man weniger häufig ans Stromnetz muss, gilt als der Vorteil von Dumbphones schlechthin. Das liegt zu einem Teil daran, dass man ein Smartphone einfach intensiver benutzt. Aber nicht nur. Das Nokia 3310 verbraucht im Standby so gut wie keinen Strom – laut Hersteller hält es so bis zu einem Monat. Ich habe nur eine Woche getestet und natürlich nicht nur im Standby, aber die Angabe könnte in etwa stimmen. Die Akkuanzeige verringerte sich eigentlich immer nur, wenn ich das Handy intensiv nutzte, beispielsweise wenn ich Musik über Bluetooth hörte. Nach einer Woche durchschnittlichen Gebrauchs war der Akku immer noch halb voll, wenn man der Anzeige vertrauen darf.

Snake

Der Game-Klassiker ist ebenfalls mit dabei. Das Spiel kommt nun sehr bunt daher statt Schwarz auf Grün – und ist auch sonst ziemlich anders. Da stehen Mauern im Weg, die sich bei fortschreitender Schwierigkeit zu bewegen beginnen, man scrollt durch Levels und spielt auf Zeit gegen eine andere Schlange. Ich finde das Spiel recht abwechslungsreich und gelungen. Puristen vermissen aber wohl die geniale Einfachheit des Original-Spiels.

Fazit

Schlecht ist das neue Gut – denn mit der Erklärung «das muss so schlecht sein, das ist voll retro!» lässt sich hier so ziemlich alles schönreden. Lustig ist es allemal. Wer die letzten Dumbphones (die gar nicht so dumb waren) der Nokia-Ära vor 2013 ernsthaft mochte, wird auch dieses Gerät mögen. Denn mit dem Nokia 3310 macht HMD Global letztlich genau da weiter, wo Nokia vor der Übernahme durch Microsoft aufgehört hat.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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