Trikots aus altem Kaffee für den «grünsten Club der Welt»
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Trikots aus altem Kaffee für den «grünsten Club der Welt»

Drei Tassen Kaffee, fünf recycelte Plastikflaschen, ein Trikot. Das neue Outfit des «grünsten Clubs der Welt» sorgt für Schlagzeilen – dabei ist der Textilrohstoff nur in der Fussballwelt neu.

Wenn ein Investor deinen maroden Lieblingsverein übernimmt, kannst du Glück oder Pech haben. Vielleicht wird er entkernt, auf Hochglanz poliert und mit Milliarden aus irgendeinem sympathischen Ölstaat in die europäische Spitzenklasse katapultiert. Vielleicht hast du aber auch Glück. So wie die Fans der Forest Green Rovers, die für mehr stehen wollen als «mia san mia», «més que un club», maximalen Erfolg. Der Viertligist aus Nailsworth im Westen Englands ist kein Scheichspielzeug, aber trotzdem Weltspitze: Er macht seit einigen Jahren Schlagzeilen als «grünster Club der Welt».

Dafür mussten weder Name noch Farben des 1889 gegründeten Traditionsvereins geändert werden. Nur die Einstellung. Seit Investor Dale Vince vor gut zehn Jahren die Pleitegeier vertrieb, hat er den Verein konsequent auf Nachhaltigkeit getrimmt. Der neueste Streich: Statt wie bisher auf Trikots auf Bambus-Basis zu setzen, bestehen die zukünftigen Shirts des Ausrüsters PlayerLayer aus Kaffesatz und recyceltem Plastik. Die Shirts sollen leichter und atmungsaktiver als das Vorgängermodell sein. Kein Marketing-Gag.

Natürlich wird alles, was der Vorzeigeverein anpackt, auch unter diesem Aspekt zu Gold: Es bringt sowohl dem Club als auch dem Thema Aufmerksamkeit. Die neuen Jerseys gehen als Novum im bezahlten Fussball um die Welt. Dabei sind Bohnenreste im Polyester gar nicht so neu.

Kaffeesatz als Textilrohstoff wird von S.Café gemeinsam mit Herstellern wie Vaude schon länger eingesetzt. Das 2009 nach vier Jahren Forschung gegründete Unternehmen mit dem Kaffee im Namen hat ein Verfahren entwickelt, um Naturprodukt und altes Plastik in neues Garn mit speziellen Vorzügen zu verwandeln. Fünf PET-Flaschen und drei Espresso-Pucks sollen ein Shirt ergeben.

Nach dem Genuss ist noch nicht Schluss: Kaffeesatz als wertvoller Rohstoff.
Nach dem Genuss ist noch nicht Schluss: Kaffeesatz als wertvoller Rohstoff.

Laut Ecoworldonline werden von den jährlich entstehenden 25 Milliarden Kilogramm Kaffeeresten bislang nur vier Prozent recycelt. Der Grossteil wandert in den Müll, setzt Methan und CO₂ frei. Es gäbe also Besseres damit zu tun. S.Cafe verbindet bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck das Naturprodukt mit dem Plastik. Zu Garn verarbeitet ist der Kaffeesatz nicht nur gut aufgehoben, sondern nimmt Gerüche auf, erhöht auf natürliche Weise den UV-Schutz und trocknet schnell. Der Rohstoff kommt auch bei Membranen wie Ceplex Green zum Einsatz. Zum Beispiel in dieser Velojacke.

Einerseits ist so ein Verfahren also kalter Kaffee, andererseits noch relativ unbekannt. Bislang interessierte sich die Sportwelt dafür nicht die Bohne. Kaum schlüpfen die Forest Green Rovers in entsprechende Trikots, ist das mediale Echo beachtlich. Daran ist nichts Schlechtes zu finden. Die Aufmerksamkeit ist im Sinne des Vereins, der alles dafür tut, um seinen ökologischen Fussabdruck zu verkleinern und andere mitzuziehen. Die Partnerschaft mit dem Textilunternehmen PlayerLayer aus Nottingham, das nach dem Motto «sport can drive change» langlebige und nachhaltige Kleidung entwickelt, besteht seit der Saison 2018/19. Erst half der Bambus-Anteil, um den Polyesterbedarf auf die Hälfte zu senken. Nun folgt der nächste Schritt mit den Kaffee-Shirts, dessen Anteil mit 35 Prozent angegeben wird.

Beim Heimspiel gegen Colchester United kam am vergangenen Samstag zunächst ein Trikot-Prototyp zum Einsatz, der anschliessend zugunsten lokaler Spitäler und One Tree Planted zu Geld gemacht wird. Der Gegner durfte sich beim 0:3 zumindest an den geruchsabsorbierenden Eigenschaften der Shirts erfreuen. Denn die Forest Green Rovers kombinieren nachhaltiges Denken mit sportlichem Erfolg. Momentan stehen sie mit zwei Spielen weniger auf Platz zwei der League Two und haben den Aufstieg im Blick.

Der Mann, der die Forest Green Rovers in die Zukunft geführt hat, kann Dinge bewegen und hat selbst eine bewegte Vergangenheit. Mit 15 geht Dale Vince von der Schule ab und lebt ein Aussteigerleben, bevor er die Windenergie, seinen Geschäftssinn und sein Lebensthema entdeckt. Ecotricity hat ihn reich gemacht, der Kampf gegen den Klimawandel rastlos. Mit dem grünen Fussballklub beweist er, was geht, wenn der Wille da ist. In einem Sport, der immer gerne auf seine angebliche Vorbildfunktion verweist und an der Spitze doch meistens nur mit Finanz- und anderen Exzessen von sich reden macht, sind die Forest Green Rovers eine absolute Ausnahme.

Alles im grünen Bereich

Seit 2015 ist der Club ebenso vegan wie der Chef. Keine Wurst, keine Burger, keine tierischen Produkte mehr für eingefleischte Fussballfans. Heikel. Aber erfolgreich. Das Essen wurde ausgezeichnet, die Einnahmen haben sich vervielfacht. Die Fans tragen den radikalen Wandel mit und der Verein findet weltweit neue Anhänger. Seit 2017 ist er der erste karbonneutrale Club und 2018 wurde er mit dem «Momentum for Change Award» der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Ökostrom, ein Rasen ohne chemische Dünger, der vom solargeladenen Roboter gemäht und mit Regenwasser befeuchtet wird, Ladestationen und Bio-Benzin aus recyceltem Frittieröl – der Verein lebt vor, wie es zukünftig gehen könnte.

Da passt es ins Bild, dass mit Héctor Bellerín vom FC Arsenal einer der spannenderen Fussballprofis Anteile gekauft hat. Einer, der sich nicht scheut, zu gesellschaftlichen Themen Position zu beziehen und deshalb schon so manchen Shitstorm über sich ergehen lassen musste.

Mit Ökostrom und Kaffee-Trikots ist bei den Forest Green Rovers noch lange nicht Schluss. Im nächsten Schritt soll im grünen Paradies ein neues Stadion aus recyceltem Holz entstehen. Das Büro der inzwischen verstorbenen Star-Architektin Zaha Hadid hat es entworfen. Und die vielleicht fragwürdigste Entscheidung der vergangenen Jahre haben bei den Forest Green Rovers die Fans getroffen. Bei einer Twitter-Umfrage zum neuen Stadionnamen entschieden sich, warum auch immer, stolze 81 Prozent für: Kevin. Ansonsten hat der kleine Verein die Fussballwelt nachhaltig beeindruckt.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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