Venom 2 macht, was es soll: Spass – mehr nicht
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Venom 2 macht, was es soll: Spass – mehr nicht

Luca Fontana
19.10.2021

So plump es klingen mag: Wer «Venom» mochte, wird «Venom: Let there be Carnage» lieben. Wer mit dem ersten Teil schon nicht warm wurde, wird’s mit Teil zwei erst recht nicht.

Eines vorweg: In dieser Filmkritik liest du keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Carnage. Gemetzel. Blutbad. Der Filmtitel verheisst ja mal «Gutes». Nicht, weil er exzessive Gewalt verspricht. Carnage ist ein Name. In den Comics ein Symbiont aus dem All. Und einer der berüchtigsten Marvel-Bösewichter überhaupt.

Beste Voraussetzungen für den Film. Könnte man meinen.

Darum geht’s

Investigativ-Journalist Eddie Brock (Tom Hardy) hat sein Leben noch immer nicht im Griff. Auch nicht – oder gerade weil –, seit Teil 1 ein Symbiont aus dem All sich seinen Körper mit ihm teilt: Venom (auch Tom Hardy). Denn Venom muss zum Überleben Gehirne fressen. Geht natürlich nicht. Eddie ist ja kein Bösewicht. Ausser, er benimmt sich gerade wie ein Arschloch. Was ziemlich oft passiert. Das sorgt für… Spannungen.

Ablenkung kommt da gerade Recht. Berüchtigter Serienmörder und Gefängnisinsasse Cletus Kasady (Woody Harrelson), bekannt für seinen Wahnsinn, will weder mit der Polizei, noch mit anderen Journalisten reden. Nur mit Brock. Er würde seine «Geschichte» mit ihm teilen, wenn Eddie im Gegenzug dafür sein Freund würde – oder steckt mehr dahinter? Eddie und Venom, eine grosse Story witternd, tricksen Kasady stattdessen aus und entlocken ihm wertvolle Beweise.

Eddie gelingt damit der Sprung zurück ins Rampenlicht. Aber die offengelegten Beweise sind für Kasady, mächtig angepisst, ein Todesurteil. Bei Eddies letzten Besuch vor Kasadys Hinrichtung kommt’s schliesslich zum Handgemenge. Zur Übertragung. Zur Infizierung. Ein Teil von Venom lebt nun in Kasady: Carnage (auch Woody Harrelson) wird geboren.

Das Gemetzel beginnt.

Naja – Die meisten Charaktere sind ziemlich naja

Das Beste an «Venom: Let there be Carnage» ist, dass der Film den Anstand hat, nach 98 Minuten zu enden. Nein, so furchtbar schlecht ist er nicht. Es ist vielmehr so, dass die hauchdünne Story gar nicht mehr hergegeben hätte. Tatsächlich ist Gollum-Darsteller und «Venom 2»-Regisseur Andy Serkis clever genug, gar nicht erst zu versuchen, auf Biegen und Brechen mehr aus der seichten Vorlage holen zu wollen, als da ist.

Die gute Nachricht: Dadurch ist der Film extrem kurzweilig. Kaum hat er begonnen, steuert er schon auf sein actionreiches Schlussfurioso zu. Keine Sekunde ist langweilig. Keine Szene unnötig in die Länge gezogen. Die schlechte Nachricht: Es bleibt das Gefühl, dass mit einem anderen Drehbuch deutlich mehr drin gelegen hätte. Mehr Fleisch am Knochen.

Symbionten mögen Menschen zum Fressen gern.
Symbionten mögen Menschen zum Fressen gern.
Quelle: Sony Pictures

Schliesslich darf sich der Film mit der Crème de la Crème Hollywoods schmücken. Etwa mit Charakterdarsteller Stephen Graham. Oder mit Woody Harrelson, Michelle Williams und Naomie Harris. Allesamt oscarnominiert. Wirklich viel zu machen gibt ihnen das Drehbuch, das von Kelly Marcel, Tom Hardy und Todd McFarlane geschrieben worden ist, aber nicht. Sie sind bloss da, um bestenfalls den Plot voranzutreiben. Wenn überhaupt.

Graham zum Beispiel spielt Mulligan, einen Cop, der die von Naomie Harris gespielte Shriek im Prolog des Films ins Gefängnis gebracht hat. Das motiviert Shriek dazu, sich später mit Kasady/Carnage zusammenzutun, um sich an Mulligan zu rächen. Shriek selber ist aber nur im Film, weil ihre Fähigkeit, besonders laut zu schreien, die Symbionten schwächt. Wäre sonst schwierig für den Film, einen Bösewicht ohne Achillesferse zu haben.

Das führt immer wieder (etwa drei Mal) zu folgender absurder Situation: Die Guten tauchen auf. Shriek will sie zu Tode schreien. Carnage aber nur so: «He, das ist mir zu laut. Halt deine Fresse». Und Shriek: «Ok». Der Film geht weiter.

Was zum…?

Naomie Harris als Shriek
Naomie Harris als Shriek
Quelle: Sony Pictures

Wozu sich so grossartige Namen ins Boot holen, wenn ihnen ständig im wahrsten Sinne des Wortes der Mund verboten wird!? Ihre Szenen hätten genauso gut auch durchschnittlich talentierte Schauspieler:innen geschauspielert gekriegt.

Selbiges gilt für Michelle Williams, die erneut Eddie Brocks Ex-Freundin Anne Weying spielt. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sie Eddie Brock hasst. Zu Recht. Brock ist nicht nur ein Arschloch, sondern auch unfähig: Der Film will ihn als gescheiterten, aber an sich grossartigen Investigativ-Journalisten verkaufen, gleichzeitig kriegt er ohne Venoms Hilfe nicht mal die einfachsten Beweise zusammengesetzt. Wer winkt sowas durch?

Und Weying, mittlerweile mit einem Arzt verlobt, hilft ihm auch noch ständig und unter Einsatz ihres Lebens von Plotpunkt zu Plotpunkt. Das ergibt nicht nur keinen Sinn, sondern ist auch noch so offensichtlich, dass es mich ständig aus dem Film reisst.

Venom vs. Carnage – auch das funktioniert nur so halb

Noch enttäuschender ist die fehlende Interaktion zwischen Venom und Carnage, den beiden titelgebenden Symbionten. Das sorgt für eine komische Beziehung: Carnage hat da einfach einen abgrundtiefen Hass auf Venom, weil Venom sowas wie sein Vater ist. Warum? Darum. Charakterzeichnung fertig.

Immerhin etwas funktioniert: Serienmörder Cletus Kasady. Der ist super. Harrelson spielt ihn so seltsam ungezwungen und durchgeknallt wie Harrelson immer spielt. Irgendwo zwischen unschuldiger Höflichkeit und schurkischem Wahnsinn. Sicher, es gibt Momente, in denen der Psycho seiner Wut freien Lauf lässt und schreiend gegen Wände schlägt, bis die Knöchel bluten. Aber Harrelsons Kasady ist dann am bedrohlichsten, wenn er einfach nur sein schiefes Grinsen aufsetzt und sich das lässige Kiffergelaber zum gruseligen Singsang wandelt.

Das ist der Cletus Kasady, auf den wir Fans gehofft haben.

An Woody Harrelson als Cletus Kasady habe ich absolut nichts auszusetzen.
An Woody Harrelson als Cletus Kasady habe ich absolut nichts auszusetzen.
Quelle: Sony Pictures

Aber Carnage? Nichts. Nada. Ein zugegebenermassen optisch gruselig designtes Viech. Komplimente an die CGI-Abteilung. Aber Carnage ist kaum eine Figur. Vielleicht auch, weil der Charakter Carnage so gut wie nie vorkommt. Es ist meistens Kasady, der redet. Carnage kommt nur dann hervor, wenn’s ums Metzeln geht – FSK-12-taugliches Metzeln. Warum Carnage so eine irre Wut auf Venom verspürt, ist unklar. Und Venom bekämpft Carnage auch nur deshalb, weil die Story das gerade so will. Böse gegen noch böser. Richtig stringent ist das nicht.

Dass es anders geht, zeigt Tom Hardy. Immerhin ihm und seinem Brock/Venom gibt das Drehbuch mehr zu tun. Überrascht nicht; Hardy hat’s ja mitgeschrieben.

Im Westen nichts Neues: Venom mag immer noch Gehirne.
Im Westen nichts Neues: Venom mag immer noch Gehirne.
Quelle: Sony Pictures

Denn Brock und Venom haben das Heu noch immer nicht auf derselben Bühne. Das sorgt für herrlich witzige innere Dialoge, Streits und absurde Debatten. Du könntest die beiden genauso gut 90 Minuten lang auf ein Sofa setzen und darüber einen Film machen – ich würde ihn schauen und lieben.

Mich stört dabei nicht mal, dass Brocks und Venoms Konflikt noch genau derselbe geblieben ist wie im ersten Film: Ist Venom nun ein Böser, weil er Gehirne fressen will? Oder ein Guter, weil er nur den Bösen die Gehirne auslutschen will?

«Venom, lethal protector» – tödlicher Beschützer, sagen die da immer.

Das tut dem Film gut. Denn eigentlich müssten ja beide von einer Symbiose profitieren: Venom überlebt ausserhalb eines Wirtes nicht, und Brock hat Superkräfte, die er für ein besseres Leben einsetzen könnte. Stattdessen machen sie sich das Leben gegenseitig schwer. Konflikt, Charakterisierung, super! Die Auflösung – ohne zu viel zu spoilern – ist aber genauso plump wie der Rest des Films: Irgendwann deklariert Venom einfach, dass er und Brock gut «matchen», und Brock, dass sie jetzt Carnage bekämpfen müssen. Gähn.

Warum so lieblos?

Schlussendlich kommt ein Film zusammen, der in seinen Actionszenen von Serkis zwar grundsolide inszeniert und während der Brock-Venom-Interaktionen unschlagbar witzig ist, aber ansonsten enttäuschend lieblos zusammengeschustert wirkt.

Brock und Kasady .
Brock und Kasady .
Quelle: Sony Pictures

Dabei wäre mit etwas mehr Mühe ein viel besserer Film dringelgen. Brock könnte durch die Ereignisse des ersten Venom-Films traumatisiert sein. Verzweifelt würde er versuchen, Venom davon abzuhalten, noch mehr Menschen zu fressen. Venom würde ihm indes ins Ohr flüstern, dass wenn er ihn nur die bösesten aller Bösen fressen liesse, das sowas wie ein Dienst an die Menschheit wäre. Moralisch nicht ganz sauber. Aber kontrollierbar. Bis auf einmal Kasady und Carnage auf den Plan treten, die aus Spass an der Freude töten – die Manifestation dessen, was passieren könnte, wenn Brock Venom tatsächlich die volle Kontrolle überliesse.

Kein Shriek. Kein Mulligan. Keine nervige Ex-Freundin. Dafür genug Raum für etwas mehr Carnage, etwas mehr Charakter- und Konfliktentwicklung und immer noch ganz viel Action und Witz.

Fazit: Nicht ganz mein Fall

Vielleicht bin ich es, der einfach zu nüchtern an «Venom: Let there be Carnage» herangegangen ist. Zugegeben: Der Film hat mir deutlich mehr Spass gemacht, als die obigen Zeilen vermuten lassen. Vor allem dann, wenn Brock und Venom die verbalen Keulen auspacken und miteinander streiten wie ein altes Ehepaar. Gefühlt sind das etwa 70 Prozent des Films. Zum Glück.

Enttäuschung macht sich erst dann breit, wenn ich darüber nachdenke, wie viel Potenzial da gerade verspielt worden ist. Vor allem mit dem Carnage-Charakter, weniger mit Cletus Kasady. Wenn dann hochkarätige Grössen wie Michelle Williams, Naomie Harris und Stephen Graham nichts als nerven, fasse ich mir an den Kopf: keine schlechte Leistung, Drehbuch. Das hätte echt besser sein dürfen. Nicht, weil ich bei einem «Venom»-Film ein literarisches Meisterwerk mit komplexen Charakteren und tiefgründigen Handlungsmotivationen erwarten würde. Aber etwas mehr… Logik vielleicht?

Mein Rat: Hirn aus, Film an, dann umgehend alles Gesehene vergessen. Oder zumindest nicht hinterfragen. Bezeichnend, dass es die Post-Credit-Szene ist, die mehr zu reden geben wird als der ganze Film davor.


«Venom: Let there be Carnage» läuft ab dem 21. Oktober im Kino. Laufzeit: 98 Minuten.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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