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Kann ein Laufschuh zu schnell sein?
von Patrick Bardelli
Wenn nach 42,195 Kilometern ein Zentimeter entscheidend ist, sorgt das für Aufregung. So geschehen beim Vienna City Marathon, den der Äthiopier Derara Hurisa als Erster beendete. Leider in den falschen Schuhen.
Dumm gelaufen: Als Derara Hurisa beim Marathon in Wien am vergangenen Sonntag nach 2:09:22 Stunden als Erster über die Ziellinie lief, hatte er drei Sekunden Vorsprung auf den Kenianer Leonard Langat. Doch kurz darauf wurde der Sieger disqualifiziert. Nicht, weil er gedopt, geschubst oder abgekürzt hätte. Nein, seine Schuhsohle war einen Zentimeter zu dick. Seit Brands wie Nike oder Adidas mit reaktiven Carbonplatten in der Zwischensohle und anderen technischen Innovationen Leistungssprünge ermöglichen, tut sich im Regelwerk etwas.
Der Leichtathletik-Dachverband war am Zug und sah sich genötigt, dem Fortschritt Grenzen zu setzen. Man wolle nicht den Sportschuhmarkt regulieren, betonte World-Athletics-Präsident Sebastian Coe. Aber man sei verpflichtet sicherzustellen, dass Spitzenathlet:innen im Wettkampf keinen unfairen Vorteil durch ihre Schuhe hätten.
Also wurde im vergangenen Jahr beschlossen, dass die Zwischensohle von Laufschuhen bei Strassenrennen nicht höher als 40 Millimeter sein und nur eine federnde Platte enthalten darf. Der Adizero Prime X (oben im Bild), den Hurisa in Wien trug, kommt auf 50 Millimeter und kostete ihn deshalb den Sieg. Ein Blick auf die aktuelle Liste zugelassener Modelle hätte genügt, um festzustellen, dass sein Trainingsschuh im Wettkampf nicht erlaubt ist.
Ursprünglich hatte World Athletics zusätzlich verfügt, dass nur im Handel erhältliche Modelle getragen werden dürfen. Damit waren die Hersteller nicht glücklich, die das Feedback (und wahrscheinlich auch den Marketing-Effekt) ihrer Athlet:innen in der finalen Testphase brauchen. Deshalb landen inzwischen auch den Regeln entsprechende «Development Shoes» für maximal zwölf Monate auf der Liste, die sich der eine oder andere vor dem Wettkampf künftig genauer anschauen dürfte. Derara Hurisa ganz sicher.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.