Produkttest

Warum gibt es eigentlich noch MP3-Player?

Eine Werbung lässt aufhorchen: MP3-Player gibt es noch. Aber warum? Sind die noch nicht ausgestorben? Was kann so ein Gerät? Wir haben uns eines angeschaut und entdeckt, dass der iPod von anno dazumal nur noch wenig mit den MP3-Playern von heute gemein hat.

MP3-Player scheinen ein Relikt aus alter Zeit zu sein. Wer braucht sowas? Ich kann mich noch gut an die Zeit der halbsmarten Phones erinnern, bevor das iPhone kam und alles verändert hat. Da hattest du im Hosensack oder der Handtasche ein Handy – meist von Nokia – und einen MP3-Player – meist von Apple. Dann kamen die Worte Steve Jobs: «One more thing» und innerhalb von etwa zwei Jahren fanden MP3s ihren Weg aufs Smartphone und die MP3-Player blieben auf der Strecke.

«Hey, Man, hast du das schon gesehen», fragt mich Video Producer Linus Konetschnig in lapidar-jugendlichem Slang. Er zeigt mir eine Werbung, die aktuell gerade auf digitec läuft. Werbung interessiert mich als Redaktor generell eher weniger, weswegen ich sie bisher mehr oder weniger ignoriert habe.

«Warum zur Hölle braucht irgendwer noch so ein Teil?» frage ich.

«Keine Ahnung. Finden wir das doch raus», schlägt Linus vor.

Gute Idee. Weniger als 24 Stunden später liegt mir der Fiio x7 Mark II auf dem Tisch. Ich lache über das komische Gerät auf dem Tisch, das extrem anachronistisch wirkt. Ein Relikt einer sterbenden Industrie, das sich noch in den letzten Atemzügen befindet?

Mitnichten. Der Fiio x7 Mark II ist ein erstaunliches kleines Gerät, das ich vorstellen könnte, als ob etwas völlig neues wäre. Also, so als ob es noch nie einen MP3-Player gegeben hätte. Denn im Vergleich zu meinem letzten iPod ist das eine komplett andere Maschine.

Ein Smartphone minus Telefon

Der Fiio x7 Mark II läuft auf Android, weswegen mir die Benutzeroberfläche sofort bekannt vorkommt. Ein Blick in die Systemeinstellungen zeigt, dass der Hersteller nicht auf die neueste Version setzt, sondern auf Version 5, im Volksmund als Lollipop bekannt. Dies weil Fiio recht massive Einschnitte in die Software gemacht hat, damit der x7ii auf Musik getrimmt werden kann.

Das ist übrigens, wenn ich mir einen kurzen Exkurs erlauben darf, das Konzept Androids. Es handelt sich bei Android eher um eine Plattform als um ein fertiges Betriebssystem. Es ist auf Kommunikation ausgelegt, aber auch auf den versatilen Einsatz in Industrie und im Privatleben. Daher passt das Betriebssystem sich extrem gut an Use-Cases an, die weit über ein Smartphone hinausgehen.

So, fertig Exkurs, zurück zum x7ii. Das Teil liegt schwer in der Hand, wiegt etwas über 200 Gramm, was für ein Smartphone der aktuellen Flaggschiff-Generation ein Kill-Argument wäre. Denn der x7ii ist laut Produktmanagement das Flaggschiff der MP3-Player. Das plus Android wie auch der Formfaktor des Geräts lassen den Vergleich umgehend in den Kopf springen.

Zeit, damit Musik zu hören. Ich lade mir einfach mal Spotify runter und höre etwas Arch Enemy, weil das grade das letzte war, das ich gehört habe. Ich stelle jetzt nicht so den grossen Unterschied zum Sound auf dem Smartphone fest.

Ich mache etwas falsch.

Ein Gerät für Musiker und Liebhaber

Klar, du kannst auf dem x7ii easy Spotify hören und hast stundenlange Musikgenuss und alles. Aber du wirst dem Gerät nicht gerecht. Die wahre Stärke des Geräts liegt in der lokalen Musik.

Der x7ii hat zwei Speicherkartenslots für MicroSD-Karten. Das sind die ganz kleinen, die du auch in deinem Smartphone hast. Aber anders als mach ein Smartphone hat der x7ii 64 GB interner Speicher und kann auf bis zu 512 GB erweitert werden, was für ganz viel lokale Musik spricht.

Was also bringt das im Zeitalter von Spotify? Viel, denn was Spotify zu Redaktionsschluss und so weit feststellbar nicht kann, ist höher aufgelöste Musik abspielen. Der x7ii aber spielt nicht nur mit dem Free Lossless Audio Codec (FLAC) kompilierte Daten ab, sondern auch dessen proprietärer Bruder, den Apple Lossless Audio Codec (ALAC). Hier horchen Musikliebhaber mit teuren Kopfhörern auf, denn bei ihnen gilt vor allem FLAC als der Musikstandard der Zukunft. Oder der Gegenwart. Kommt drauf an, wen du fragst.

Feintuning des Sounds geht nur mit lokalen Audio Files

Die Einstellungen erlauben dir etwas Feintuning des Sounds. Also mehr Bass, Balance und noch ein paar andere grundlegende Features. Diese kannst du über die Standard-Einstellungen Androids vornehmen und hauen nun wirklich keinen vom Hocker. Aber da Fiio die Software speziell für ihre Player und für Audiophile abgeändert hat, sollte dein Hauptaugenmerk bald weg von Spotify und Google Play Music gehen und auf die App Fiio Music fallen. Auf meinem Player ist die Version 3.3.4 installiert. Sie erlaubt in der Grobübersicht 13 Feineinstellungen, die von Playback bis hin zum Gain und Dingen reichen, die ich persönlich nicht mehr gesehen habe seit ich anno 1998 (oder so) einen DJ-Verstärker mit meinem damaligen PC verbunden habe um zu sehen, was passiert. Spoiler: Musik kommt raus.

Ja, aber Sie … macht die Hardware das mit?

Damit der FLAC-Klang auch schön via teure Kopfhörer in deinen Gehörgang kommt, hat der x7ii einen Verstärker mit verbaut. In der Verpackung ist ein Schraubenzieher mitgeliefert. Wofür der ist, ist mir auf Anhieb nicht klar, bis ich an der Seite des Geräts zwei Schrauben entdecke, die zum Schraubenzieher passen. Ein auswechselbarer Akku?

Ich schraube drauf los.

Am Ende sehe ich einen recht freaky aussehenden Connector, was ich wirklich nicht jeden Tag zu Gesicht bekomme. Und jetzt wirds etwas nerdig. Das ganze Modul kann abgetrennt werden und wird vom Hersteller als AM3A-Amp verkauft. Darin steckt ein Analog Devices AD8620, ein Verstärker, der nicht nur klein, sondern auch stark ist. Ich verstehe von Verstärkern relativ wenig, was mich dazu bringt, unseren resident audiophile, Fabio Endrich, zu fragen, was den Verstärker ausmacht. Er liest sich kurz in die technischen Daten ein.

Der Fiio x7 Mark II hat einen abnehmbaren Verstärker und wird mit Schraubenzieher geliefert

«Einfach ausgedrückt hat der Verstärker im Fiio geringe Verzerrung und stabile Verstärkung», sagt er.

Zudem ist der Amp auswechselbar, was vor allem Enthusiasten recht gut gefällt, denn online finden sich Berichte von Menschen mit Lötkolben, die den Verstärker in Eigenbau ausgetauscht haben.

Weiter hast du einen 3.5mm-Jack, einen 11.5mm-Jack und einen Line/Coax/AUX-Out. Alles fix verbaut. Schön, oder?

Ein ganz anderes Biest

Wie der Fiio x7 klingt, kann ich dir nicht sagen. Will ich auch nicht. Weil wenn du die Feineinstellungen so vornimmst, wie du sie magst, ist der Sound vielleicht etwas basslastiger, vielleicht etwas klarer in den Höhen. Aber alles in allem lässt sich sagen, dass der MP3-Player nach wie vor eine Existenzberechtigung in unserer Welt hat. Und das ist auch gut so, weil das Gerät zeigt, dass Musik unterwegs nicht nur reine Konsumentensache ist.

Definitiv cool. Ein MP3-Player der neuesten Generation

Mit dem x7ii kannst du deinen Sound so hören, wie du willst, dran rumschrauben und wenn dir das zu blöd wird, kannst du in Sekundenschnelle den Fallback auf Spotify machen. Soll ja auch ganz okay sein, habe ich gehört. Denn Fiio nimmt dich als Kunden ernst, gibt dir sogar Werkzeug mit, damit du dein Gerät auseinandernehmen kannst. Ich kenne aktuell kein Produkt aus dem Bereich der Consumer Electronics, die dir explizit erlauben, dran rumzuschrauben oder dich sogar dazu ermutigen. Daher: Lob an Fiio. Das ist echt cool von euch.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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