

Was die Webcam mit Kaffee zu tun hat

Was passiert, wenn ein paar Studenten wissen wollen, ob der Kaffeekrug voll ist, aber zu faul sind, um selber nachzuschauen? Richtig, die Webcam wird geboren!
Computer-Peripherie wie Tastatur, Maus, Lautsprecher oder Webcam nehmen wir heute als selbstverständlich hin. Gerade letztere hat aber eine interessante Entstehungsgeschichte, die vor allem eines zeigt: Faulheit macht erfinderisch.
Denn lange vor Homeoffice und Videocalls wurde die PC-Kamera ursprünglich für einen ganz anderen Zweck erfunden. Doch von vorn:
Kaffee für die Studenten
Wir schreiben das Jahr 1991, Paul Jardetzky und Quentin Stafford-Fraser studieren an der britischen University of Cambridge. Neben ihrem gemeinsamen Interesse am Coding teilen die beiden auch die Vorliebe für frischen Kaffee. Das Problem? Die gemeinsame Kaffeemaschine im «Trojan Room» des alten Rechenlabors befindet sich am anderen Ende des Campus.

Quelle: Wikipedia / Cmglee
Jedes Mal den langen Weg auf sich zu nehmen und dann schlimmstenfalls einen leeren Kaffeekrug anzutreffen, ist selbstredend sehr frustrierend. Die Lösung? Die beiden angehenden Softwareingenieure montieren eine kleine, digitale Schwarz-Weiss-Kamera mit Blick auf die Maschine im «Trojan Room». Noch etwas selbstgebastelte Hardware und Software dazu, et voilà: Die erste «Webcam» war geboren.
Ab sofort können alle Studierenden der University of Cambridge übers lokale Netz auf die Kamera zugreifen und den Kaffeebestand überprüfen, bevor sie den langen Weg auf sich nehmen.

Quelle: Quentin Stafford-Fraser
Tatsächlich ans World Wide Web angebunden – daher der Name – wird die Kamera aber erst zwei Jahre später von Daniel Gordon und Martyn Johnson. Ab November 1993 kann so auch die ganze restliche Welt in den Kaffeekrug starren.
Vom Studentenstreich zur Sensation
In den kommenden Jahren sollte die Webcam aus Cambridge Geschichte schreiben. Die Live-Ansicht des Kaffeekrugs wird zum stark frequentierten Hotspot des frühen Internets, denn sie «demonstriert gleichermassen den Sinn und die Banalität des neuen World Wide Web». So steht es auf Wikipedia.

Quelle: Quentin Stafford-Fraser
Ganze zehn Jahre ist die Webcam in Betrieb, bevor sie am 22. August 2001 um 09:54 UTC abgeschaltet und vom Netz genommen wird. Auch dieser Anlass sorgt für Aufregung und Schlagzeilen. Schlussendlich wird zumindest die inzwischen berühmte Kaffeemaschine auf eBay an die Nachrichtenplattform «Spiegel Online» versteigert. Kostenpunkt: 10 452,70 Deutsche Mark. Umgerechnet und inflationsbereinigt entspricht das heute grob 6000 Franken.
Übrigens: Die erste kommerziell erhältliche Webcam war nicht diejenige aus Cambridge, sondern eine QuickCam, damals noch aus dem Hause Connectix. Dort wurde das allererste Modell 1994 entwickelt, das ursprünglich nicht einmal als «Webcam» bezeichnet wurde. Das kam erst später, als die Marke 1998 von Logitech aufgekauft wurde. Spätestens ab dann dürfte die heute archaische QuickCam auch den meisten von uns ein Begriff sein.
Aus Sicht der Webcam
Die «Coffee-Cam» war definitiv ein Vorreiter im Internet. Bis heute gehenWebcam-Livestreams von den irrwitzigsten Sujets viral. Zu meinen Favoriten gehört etwa die letzte McDonald’s-Bestellung aus Island, nachdem der Fast-Food-Gigant dort 2009 seine letzte Filiale geschlossen hatte. Spannend war auch der Salatkopf, der sich tatsächlich länger im Stream halten konnte, als die ehemalige britische Premierministerin Liz Truss im Amt.

Quelle: Daily Star
Auf der anderen Seite findet man Webcams heute natürlich auch an jedem Touristen-Hotspot rund um den Globus.
In gewisser Weise könnte man den Kaffeekrug aus Cambridge sogar als Urgrossvater aller Twitch-Streamer betrachten, die heute täglich ein Millionenpublikum erreichen. Oder eben einfach nur als kurioses Stück Internetkultur und Geburtsstunde der Webcam.


Praktisch seit ich denken kann fasziniert mich alles, was Tasten, Displays und Lautsprecher hat. Als Journalist mit Fokus auf Technik und Gesellschaft schaffe ich Ordnung im Dschungel aus Tech-Jargon und unübersichtlichen Spec-Sheets.