Wer hat's erfunden? Design-Ikonen und ihre Kopien
Ratgeber

Wer hat's erfunden? Design-Ikonen und ihre Kopien

Pia Seidel
19.2.2024
Bilder: Pia Seidel

Weil es schwer, und selten sinnstiftend ist, das Rad neu zu erfinden, wird im Design oft und gern zitiert. Ich finde es gut, zu wissen, wann das passiert. Eine Beitragsreihe über Möbelklassiker und die von ihnen inspirierten Nachfolger aus unserem Sortiment.

«Ideen sind alle frei» – das müssen die Studierenden von Takeshi Sunaga unterschreiben, wenn sie seinen Unterricht besuchen(*). Der japanische Informationsdesign-Professor unterrichtet an der Tama University of the Arts (TAU) in Tokyo. Er ist davon überzeugt, dass im kreativen Prozess Ideen aufgenommen und weiterentwickelt werden können und dürfen. Nur dreistes Copy-Paste ist dabei verboten.

Genauso sehe ich es mit dem Produktdesign. Es ist legitim, einen Grundgedanken für einen neuen Entwurf aufzunehmen und weiterzuspinnen. Denn selbst so manche Möbelikonen aus dem 20. Jahrhundert ist bereits ein Redesign eines Vorgängers. Ich habe genau hingeschaut und fasse in dieser Beitragsreihe die Steckbriefe bekannter Designikonen sowie ihre Nachahmungen aus unserem Sortiment zusammen. So weisst du bei deinem nächsten Kauf, woher die Inspiration gewisser Möbel und Lampen stammt und kannst dich bewusst für oder gegen die Kopie entscheiden.

1. «S 32»

  • Designer: Marcel Breuer
  • Hersteller: Thonet
  • Entstehungsjahr: 1929/30
  • Made in: Deutschland
  • Wert: ca. 900 Euro
Coole Kombi: Der Stahlrohr-Klassiker verbindet ein natürliches Material mit einem industriellen.
Coole Kombi: Der Stahlrohr-Klassiker verbindet ein natürliches Material mit einem industriellen.
Quelle: Pia Seidel

Eigentlich hat Marcel Breuer den «S 32»-Stuhl aus verchromtem Stahlrohr 1928 entworfen. Produziert wurde er jedoch erst 1930 vom deutschen Familienunternehmen Thonet. Das Design galt als innovativ, weil es Stahlrohr mit der typischen Thonet-Herstellung von Bugholzmöbeln kombinierte. Die Sitz- und Rückenlehne aus Massivholz und Rohrgeflecht verkörperten Tradition, das Gestell Gegenwart und Zukunft. Auch die Idee für die Stuhlform war revolutionär. Sie stammte allerdings von Ludwig Mies van der Rohe, der 1927 für die Stuhlmodelle «MR 10 und MR 20» das erste Freischwinger-Patent erhielt. Mit dem Entwurf «S 32» verbesserte Marcel Breuer lediglich die Elastizität. Aus diesem Grund und wegen des kontrastreichen Looks wird der Stuhl seit Jahren zahlreich zitiert. So hat aktuell auch die Möbelmarke Pfister ein ähnliches Modell im Sortiment. Wer genau hinschaut, sieht die Unterschiede: Anders als beim Original wurden die Schrauben nicht so elegant und unsichtbar versenkt.

2. «Stool 60»

  • Designer: Alvar Aalto
  • Hersteller: Artek
  • Entstehungsjahr: 1932-33
  • Made in: Finnland
  • Wert: ca. 250 Euro
Schön und praktisch: Dank der gebogenen Holzbeine sticht «Stool 60» aus der Masse hervor.
Schön und praktisch: Dank der gebogenen Holzbeine sticht «Stool 60» aus der Masse hervor.
Quelle: Pia Seidel

Alvar Aaltos «Stool 60» wird seit 1933 kontinuierlich und fast unverändert produziert. Der Hocker eignet sich als Sitzgelegenheit, Tisch oder Ablagefläche und zeichnet sich durch seine gekrümmten Beine aus. Sie machen ihn zum Hingucker und stapelbar. Der Originalentwurf von «Stool 60» ist aus Birkenholz. Mittlerweile gibt es ihn mit diversen Sitzflächenausführungen aus Lederpolstern oder Linoleum. Der Entwurf «Tap» von Normann Copenhagen sieht der Linoleum-Version verdächtig ähnlich. Nur sind die Beine statt mit der Unterseite wie beim Original, mit den Seiten der Sitzfläche verbunden.

3. B.K.F. Chair / Hardoy Chair, Butterfly Chair

  • Designer: Antonio Bonet, Juan Kurchan und Jorge Ferrari-Hardoy
  • Hersteller: Knoll
  • Entstehungsjahr: 1938
  • Made in: Ursprünglich Argentinien
  • Wert: ca. 670 Euro
Tragbares Design: Der «Butterfly Chair» ist kompakt, leicht und aus langlebigen Stahlstangen gefertigt.
Tragbares Design: Der «Butterfly Chair» ist kompakt, leicht und aus langlebigen Stahlstangen gefertigt.

Der «B.K.F. Chair / Hardoy Chair, Butterfly Chair» besteht aus zwei gebogenen, sich kreuzenden Stahlschlaufen, die miteinander verschweisst sind, sowie einem schmetterlingsförmigen Lederstück. Zusammengefaltet nimmt der Stuhl kaum Platz ein, aufgefaltet bietet er den Komfort eines Sessels, der dich wie ein Kokon einschliesst. Sein etwas langer Name geht auf die Initialen der Erfinder-Nachnamen zurück: Antonio Bonet, Juan Kurchan und Jorge Ferrari-Hardoy, die 1938 gemeinsam die Grupo Austral in Buenos Aires gründeten. Der Faltstuhl ist ihr offizieller Vorschlag für ein Redesign des hölzernen Klappstuhls aus dem späten 19. Jahrhundert, der laut Vitra zunächst nur «für militärische Zwecke, Camping und Wanderzirkusse in England und den Vereinigten Staaten» genutzt wurde. Ursprünglich wurde der «Butterfly Chair» in Argentinien hergestellt. Heute bieten ihn offiziell weitere Einrichtungsunternehmen wie Knoll an, die in Deutschland produzieren. VidalXL ist zwar nicht offizieller Hersteller, führt aber ein ähnliches Faltstuhl-Design im Angebot. Es hat allerdings etwas dickere Metallstangen als die erste «Butterfly Chair»-Ausführung.

4. Le Klint 101 Lantern

  • Designer: Kaare Klint
  • Hersteller: Klint
  • Entstehungsjahr: 1944
  • Made in: Dänemark
  • Wert: ca. 500 Euro
Faltkunst: Der Detailreichtum macht die Pendelleuchte «Le Klint 101 Latern» zum Blickfang.
Faltkunst: Der Detailreichtum macht die Pendelleuchte «Le Klint 101 Latern» zum Blickfang.
Quelle: Pia Seidel

Die Lampe «Le Klint 101 Latern» vom Designer Kaare Klint ist eine perfekte Kombination aus Design, Technologie und Handwerkskunst. Sie besteht bis heute neben Papier aus einer filigranen Leuchtenfolie aus recycelbarem PVC-Kunststoff, die ohne schädigende Weichmacher auskommt. «Le Klint 101 Latern» sorgt für blendfreies Licht, weil der Lampenschirm geschlossen und das Material halbtransparent ist. Deshalb ist sie wie dafür gemacht, hoch zu hängen. Bekannt wurde die Pendelleuchte in erster Linie durch ihre formschönen Falten, die sie zur beliebten Requisite in Filmen machte. So war sie zum Beispiel im Film «Let's Make Love» mit Marilyn Monroe in einem Schlafzimmer zu sehen. Unterdessen ist «Le Klint 101 Latern» auch als Tisch- oder Stehlampe und in abgewandelter Form von anderen nordischen Marken wie Nordlux erhältlich.

5. Sacco

  • Designer: Gatti, Paolini und Teodoro
  • Hersteller: Zanotta
  • Entstehungsjahr: 1968
  • Made in: Italien
  • Wert: ca. 370
Zum Zerknautschen: Das Sitzobjekt «Sacco» ist ein stilbildendes und flexibles Möbelstück.
Zum Zerknautschen: Das Sitzobjekt «Sacco» ist ein stilbildendes und flexibles Möbelstück.
Quelle: Pia Seidel

Die drei jungen italienischen Architekten Piero Gatti, Cesare Paolini und Franco Teodoro wollten ein Sitzmöbel entwerfen, das sich wie Schnee an Körperformen anpasst. Entwickelt haben sie einen Sitzsack, der gefüllt mit Styroporkügelchen ist. «Sacco» gilt als der «erste Sitzsack der Welt» und wurde schnell ein Erfolg, weil er leicht und flexibel ist. Er kann Sofa-Ecken ergänzen oder wegen seines skulpturalen Charakters für sich allein stehen – drinnen und draussen. Deshalb wird das Multitalent von Marken wie Atelier del Sofa mit angepasster Silhouette und anderem Inhalt zitiert. Wer das Original möchte, findet es, wie seit seiner Lancierung, beim italienischen Traditionshaus Zanotta. Es hat mittlerweile ein Update erhalten: Das Innere aus Polystyrol (EPS) wurde durch einen biobasierten Polyester (PLA) ersetzt. Die Hülle ist aus Econyl, einem recycelten Kunststoff.

6. Ultrafragola

  • Designer: Ettore Sottsass
  • Hersteller: Poltronova
  • Entstehungsjahr: 1970
  • Made in: Italien
  • Wert: ca. 10.000 Euro
Zwei-In-Eins: Der skurrile Standspiegel «Ultrafragola» ist auch eine Lampe.
Zwei-In-Eins: Der skurrile Standspiegel «Ultrafragola» ist auch eine Lampe.
Quelle: Pia Seidel

Obwohl sie kaum neu ist, feiert sie eine Rennaissance: «Ultrafragola» ist eine Spiegellampe von Ettore Sottsass, die bis heute von der italienischen Marke Poltronova produziert wird. Ausgeschaltet erscheint der Rahmen opal-weiss. Sobald das Licht an ist, leuchtet er neon-pink. Der dekorativer Charakter hat die Spiegellampe seit der Pandemie auf zahlreiche Mirror-Selfies auf Instagram katapultiert, unter anderem von Promis wie Bella Hadid oder Frank Ocean. Das Comeback hat womöglich mit dem erneuten Interesse am Memphis-Design zu tun. Sottsass gründete 1981 das Designerkollektiv «Memphis Group», das für seine verschnörkelten, abstrakten Formen bekannt wurde. Der Standspiegel entstand zwar früher, passt mit seinem Rahmen, der langem, gewelltem Haar gleichen soll, aber zur Ästhetik des Kollektivs. Heute wird «Ultrafragola» statt mit Neonröhren mit LEDs angeboten und selten eins zu eins kopiert. Nur der Rahmen wird oft zur Inspirationsquelle für eklektische Spiegel, wie zum Beispiel dem Beliani-Modell «Lacs» oder dem «Curvy Mirror» von Gustav Westman.

7. Atollo 233

  • Designer: Vico Magistretti
  • Hersteller: Oluce
  • Entstehungsjahr: 1977
  • Made in: Italien
  • Wert: ca. 800 Euro
Lichtskulptur: Die pilzförmige Tischleuchte besticht mit zeitlosen geometrischen Formen.
Lichtskulptur: Die pilzförmige Tischleuchte besticht mit zeitlosen geometrischen Formen.
Quelle: Pia Seidel

Die dimmbare Oluce-Tischlampe «Atollo 233» von Vico Magistretti hat sich im Laufe der Jahre zum Archetypus der Tischleuchte entwickelt. Sie setzt sich aus einfachen, geometrischen Formen – Zylinder, Kegel, Halbkugel – zusammen. Trotzdem ist sie äusserst dekorativ und darum wieder aktuell. Denn ihre Silhouette erinnert an Pilze oder mit etwas Fantasie an Quallen, die laut Pinterest 2024 im Trend liegen. Der Originalentwurf ist in mehreren Varianten verfügbar: in weissem und schwarzem Murano-Glas, in satinierter Bronze und in Messing. Zum Verwechseln ähnlich sieht ihr das Modell «Corello» vom Brand Venture Home, das aus braunem Sprühstein besteht.

Mehr zu Möbel-Dupes:

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    Alternativen zum Togo: Diese Sofas gleichen Design-Klassikern aus den Siebzigern

    von Pia Seidel

(*) Gehört bei Ingmar Thies in Sven Saros Podcast namens «Ohne den Hype».

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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