
Hintergrund
Meine Restliebe zum Analogen
von Reto Hunziker
In der täglichen Flut von Fotos verspürst du vielleicht das Bedürfnis, dich vom Mainstream zu unterscheiden. Unverwechselbar zu sein. Oder du möchtest einfach herausfinden, was dir am besten entspricht. Wie gelingt das?
Das Thema «persönlicher Bildstil» geistert mir schon lange im Kopf herum. Einen solchen zu entwickeln oder sogar schon zu haben, das klingt toll. Das klingt nach hoher Schule, nach Kunst sogar. Doch die Schwierigkeiten fangen schon beim Begriff an: Was ist das überhaupt – Stil?
Auf Instagram, 500px oder jeder anderen Plattform findest du Profile, deren Bilder wie aus einem Guss erscheinen. Sie sind oft auf ein mehr oder weniger enges Thema begrenzt, zum Beispiel Landschaftsfotografie oder gar nur Sonnenuntergänge in den Bergen. Vielfach ist auch formale Einheitlichkeit zu sehen, zum Beispiel die Bilder, die alle in weichem Licht oder in hartem Schwarzweiss daherkommen.
Das vermittelt uns das Gefühl, dass der Fotograf nicht nach dem Zufalls- oder Lustprinzip vorgeht, sondern einen Plan hat. Ein Konzept. Aber wenn du aus Prinzip nur Katzen auf Staubsaugerrobotern zeigst oder prinzipiell nur mit offener Blende oder mit einer bestimmten Farbgebung (zum Beispiel durch einen Analogfilm) fotografierst, ist das noch kein persönlicher Stil. Es ist einfach eine Beschränkung auf ein Thema oder ein formales Mittel.
Ist das ein Problem? Nein. Denn wahrscheinlich ist das genau das, wonach du suchst. Mit anderen Worten: Ein eigener Stil ist gar nicht nötig. Es reicht schon ein eigenes Konzept.
Wenn du origineller und weniger beliebig sein willst, gibt es ein sehr einfaches Mittel: Starte ein Projekt. Damit schränkst du dich auf ein bestimmtes Thema ein und/oder auf einen formalen Aspekt. Projekt klingt nach Organisationsaufwand, aber es kann ganz einfach sein. Zum Beispiel: Ich fotografiere nur metallische Gegenstände aus Wohnungen in bläulichem Monochrom.
Immer noch zu beliebig? Dann schränke ich mich noch weiter ein: Immer der gleiche Kaffeekocher, immer frontal. Selbst dann gibts noch genug Spielraum für Kreativität.
Die inhaltliche Aussage dieses Projekts ist natürlich nicht besonders gehaltvoll, aber darum geht's jetzt nicht. Der Punkt ist: Projekte ermöglichen dir, alles Mögliche auszuprobieren und trotzdem konsistent zu bleiben. Denn das Projekt gibt dir einen klaren Rahmen vor, inhaltlich wie formal. Wenn du etwas anderes ausprobieren willst, starte einfach ein neues Projekt.
Ein Projekt braucht ein Konzept. Und aus jedem Konzept kann ein Projekt werden. Fang einfach an. Es gibt nur eine Regel: Schränke dich ein. Je stärker du dich einschränkst, desto mehr zwingst du dich zur Kreativität. Dabei kann es schon passieren, dass dich deine eigene Idee langweilt. Doch Langeweile ist eine gute Voraussetzung, um kreativ zu werden.
Kleiner Tipp am Rande: Beginne zuerst die Serie, ohne etwas zu veröffentlichen oder gar einen eigenen Instagram-Account einzurichten. Erst wenn du merkst, dass das Konzept funktioniert und dass es dich genug interessiert, ist der Zeitpunkt für erste Veröffentlichungen gekommen.
Das Endergebnis einer Fotoserie kann auch ein Video sein. So kannst du Zeitverläufe eindrücklich darstellen. Das kommt besonders gut bei Fotos, die sehr zahlreich und alle nach dem genau gleichen Muster gemacht sind. Klassiker: Über Jahre hinweg jeden Tag ein Selfie.
Nehmen wir an, du hast schon einige Projekte begonnen und ausprobiert. Nun merkst du: Einige dieser Projekte hängen dir schnell zum Hals raus; du kannst die Langeweile beim besten Willen nicht in Kreativität umwandeln. Anderes dagegen kannst du ewig weiterverfolgen. Möglicherweise entdeckst du irgendwann bei einem Projekt: Das ist genau mein Ding! Dann hast du erreicht, was du wolltest. Einen persönlichen Stil musst du dafür gar nicht haben. Ob in jedem deiner Fotos eine Handschrift zu erkennen ist oder nicht, ist nicht so wichtig. Nenn es Stil, Konzept, Plan oder Interesse – Hauptsache, du merkst, was dir besonders gut liegt.
Von einem persönlichen Stil würde ich erst sprechen, wenn du weiterhin verschiedene Dinge tust – aber alles auf eine bestimmte, für dich typische Art. Stil ist der Ausdruck meiner Persönlichkeit, meiner Interessen und meiner Herangehensweise. Dein Stil entwickelt sich von selbst, unbewusst. Originell sein nach Anleitung ist ein Widerspruch in sich.
Das heisst aber nicht, dass jedes theoretische Wissen nutzlos ist für die Stilfindung. Im Gegenteil, du solltest möglichst viel darüber wissen, welche Gestaltungsmittel wie wirken. Damit kannst du deine Ideen viel besser umsetzen.
Dazu eine ganz simple Übung. Ich erhebe mich von meinem Arbeitsplatz und schaue mich um. Nun gebe ich mir den Auftrag, von meiner unmittelbaren Umgebung zwei Fotos mit möglichst unterschiedlichem Stil zu machen: Einmal möglichst auffällig, schrill, frech, konfrontativ. Einmal möglichst harmonisch, freundlich, lieb. Um die Wirkung zu verstärken, unterstütze ich die jeweilige Motivwahl mit diversen Mitteln der Bildsprache.
Auffällig: Die rosa Maus (oben links im Bild) sticht mir sofort ins Auge. Mit ihrem kantigen Design spricht sie mich nicht an. Sie schreit mich an.
Vor dunklem Hintergrund sticht das Rosa noch mehr heraus. Ich erhöhte die Sättigung und den Kontrast, damit es richtig knallt. Ausserdem wähle ich das Hochformat, das wirkt dynamischer, ich stelle die Maus auf den Kopf und schneide den oberen Teil ab, weil dort die Maus abgerundet ist. Hier darf nichts rund sein. Rund ist nett und harmonisch. Das will ich hier nicht.
Jetzt das Kontrastprogramm: freundlich, harmonisch. Ich entscheide mich für das schmucke Kaffeeglas, das du im Bürobild oben ebenfalls siehst. Hier wähle ich das Querformat und unterstütze dies noch durch den horizontal liegenden Löffel. Zudem entscheide ich mich für harmonische Proportionen in der Bildaufteilung, für einen hellen Hintergrund und generell für helle Farben mit mittlerem Kontrast.
Der Aufwand für diese beiden Bilder war minimal. Gerade weil das Beispiel so popelig, so banal ist, zeigt es, dass das Prinzip immer, überall und bei jeder Person funktioniert. Die beiden Fotos wurden zur gleichen Zeit am gleichen Ort und mit der gleichen Kamera gemacht, beide zeigen einen Gegenstand aus dem Büro. Sie unterscheiden sich also hauptsächlich durch den Stil.
Vielleicht hast du bereits so etwas wie einen Stil, aber du weisst es noch nicht. Daher ist nun mal eine kritische Betrachtung der eigenen Fotos angesagt.
Ich selbst bin ein gutes Beispiel: Ich habe keinen richtigen Stil und keine klar eingegrenzten Interessen. Mein Instagram-Account ist ein wirres Gemisch aus allem Möglichen. Was hauptsächlich daran liegt, dass ich rein nach dem Lustprinzip vorgehe und mich nicht einschränken will. Auch beim Anschauen fremder Fotos. Ausserdem habe ich keine Ambitionen, mich auf Instagram auf eine bestimmte Art zu profilieren.
Aber vielleicht habe ich ja trotzdem eine Vorliebe für bestimmte Bilder, ohne es bislang gemerkt zu haben. Ich schaue mir also mal meine eigenen Fotos an, um darin so etwas wie eine Gesetzmässigkeit zu erkennen.
Erste Erkenntnis: Ich mag es gerne bunt. Das war mir schon länger klar. Nur gerade zwei meiner Instagram-Bilder sind schwarzweiss. Zweite Erkenntnis: Durch das quadratische Format habe ich viele Sujets hochgeladen, die einen Kreis oder einen Mittelpunkt mit «Strahlen» bilden.
An Sonnenstrahlen und sonstigen Lichtstrahlen habe ich anscheinend eh den Narren gefressen. Der Hobbypsychiater in mir diagnostiziert die sogenannte Photo-Photographose: die zwanghafte Neigung, Lichtstrahlen zu fotografieren.
Wenn ich nicht nur meine eigenen Fotos anschaue, sondern meine «Likes», bestätigt sich das. Farbig bis zum Kitsch, auffallend viele Sonnenstrahlen. Ausserdem mag ich klare, strenge Geometrien, aber auch die Natur.
Was mache ich jetzt mit diesen Erkenntnissen? Zuerst habe ich ein Projekt begonnen, das einen Kreis im Quadrat zeigt: meine leergetrunkene Kaffeetasse von oben. Das kann ich jeden Tag ohne Aufwand machen und es sieht nie genau gleich aus. Die Idee fand ich aber nach kurzer Zeit so langweilig, dass ich aufgegeben habe.
Ich bin also weiterhin auf der Suche nach einem geeigneten Projekt. Bis dahin habe ich halt keinen eindeutigen Stil. Das ist auch okay. Es ist gut, sich Zeit zu lassen und nichts mit der Brechstange zu erzwingen.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.