Wie entsteht eigentlich ein Spiel? Zu Gast beim Wiener Spieleverlag Piatnik
Hintergrund

Wie entsteht eigentlich ein Spiel? Zu Gast beim Wiener Spieleverlag Piatnik

Piatnik steht für Spielespaß seit 1824: Ein Blick hinter die Kulissen des Wiener Karten- und Brettspieleverlags zeigt zwei Jahrhunderte Unternehmensgeschichte und wie man sich in Zeiten der Digitalisierung mit analogen Spielideen weiterhin behaupten kann.

Handy, PC, Konsole, na und? Bei Piatnik spielt man seit beinahe 200 Jahren analog – den Erschütterungen der Welt zum Trotz: Industrialisierung, Kriege, Wirtschaftskrisen, fünf verschiedene Währungen, der Mauerfall und nicht zuletzt die Digitalisierung hat Piatnik, Österreichs bekanntester Spielehersteller, überlebt. «Wir haben Glück gehabt, was ja auch notwendig ist, wenn man bedenkt, was in 200 Jahren alles passiert ist. Da hätten auch mal Bomben auf das Gebäude fallen können», sagt Dieter Strehl, Inhaber des Traditionsunternehmens in fünfter Generation.

Die Fabrik circa 1900. Bild: Piatnik
Die Fabrik circa 1900. Bild: Piatnik

Was seine Familie in den letzten zwei Jahrhunderten aufgebaut hat, beschreibt er als «große Leistung früherer Generationen.» Seit 38 Jahren arbeitet er selbst im Unternehmen, doch das war nicht immer klar: «Während meiner Studienzeit war ich bei Mercedes am Fließband und danach habe ich in einer Bank gearbeitet. Erst später habe ich befunden: So ein Spieleverlag mit den vielen Exportkontakten ist eigentlich etwas sehr Interessantes.»

Von der Kartenmalerei zum Spielehersteller

Ursprünglich war Piatnik ein Handwerksbetrieb. Der gelernte Kartenmaler Ferdinand Piatnik übernimmt die 1824 von Anton Moser gegründete Kartenmalerei im siebten Wiener Gemeindebezirk. Hier werden handbemalte Kartenspiele hergestellt, bis sich die Produktion 1891 mit der Antriebskraft neuer Generationen und der Industrialisierung zunehmend mechanisiert. Später, im Zuge des Zweiten Weltkrieges, durch den Verlust osteuropäischer Märkte, muss sich das Unternehmen neu kalibrieren: Es folgt die Expansion nach England, Skandinavien und in die Schweiz. Ab 1945 erweitert sich das Angebot um Brettspiele und später Puzzles.

Ferdinand Piatniks Gesellenbrief. Bild: Piatnik
Ferdinand Piatniks Gesellenbrief. Bild: Piatnik

Heute ist Piatnik keine Kartenmalerei mehr, sondern ein Spieleverlag, der seine Spiele in 72 Länder exportiert und millionenfach verkauft. 25 neue Karten- und Brettspiele werden pro Jahr herausgebracht, bis zu 85 Prozent der Produktion liegen in Wien und in angrenzenden EU-Ländern. Aber woher stammen die Inspirationen für zwei Jahrhunderte Spielespaß?

Zu Beginn braucht es eine zündende Idee – die kommt von einem Autor, einer Autorin oder von einem befreundeten Verlag. «Sie müssen sich das vorstellen wie einen Buchverlag. Da gibt es auch jemanden, der sich ein Manuskript zuerst durchliest», erklärt Dieter Strehl. Spielideen werden zum Beispiel auf Spielemessen präsentiert, meistens aber werden Einsendungen von Autorinnen und Autoren in großer Gruppe gesichtet und mehrfach getestet.

Ein Neigungs- und Talentberuf: Die Spieleredaktion

«Spieleredakteur ist kein Beruf, den du studieren oder lernen kannst. Eigentlich ist das ein Neigungs- und Talentberuf», sagt Strehl. Das hat auch Florian Mayerhofer erkannt, der seine Leidenschaft für Spieleentwicklung zum Beruf gemacht hat: «Die kreative Auseinandersetzung mit dem Medium Spiel erfüllt mich.»

Der Schrank hinter Florian ist voll mit selbst gemachten Spiele-Prototypen und auch davor stapeln sich handgefertigte Kartonspielbretter, liebevoll bemalte Karten oder selbst gebastelte Spielfiguren. Florian sichtet im Jahr etwa eintausend Einsendungen von Agenturen, Autor:innen oder Spielebegeisterten. Nach einem E-Mail-Kontakt wird ein Prototyp angefordert, der dann ausgiebig im Redaktionsteam und mit externen Tester:innen durchgespielt wird. Etwa 95 Prozent der Spielideen werden dabei wieder aussortiert, nur der kleinste Teil schafft es in die engere Auswahl. Ein gutes Spiel muss vor allem zwei Kriterien erfüllen: «Es sollte möglichst einfach und zugänglich sein und dabei etwas herauskitzeln, sodass man es unbedingt nochmal spielen möchte», so der Spiele-Redakteur.

Von der Idee zum fertigen Spiel

Ist die Spielidee einmal gefunden, beginnt die Produktion. Es werden Spielanleitungen geschrieben, Übersetzungen erstellt, Illustrator:innen beauftragt und die entsprechenden Bestandteile eingekauft. Der Großteil der Produktion liegt bei Piatnik selbst. Auf drei Stockwerken und in vier Abteilungen werden die einzelnen Bestandteile zum fertigen Spiel: Egal ob DKT, Tick Tack Bumm oder Activity – Verkaufsschlager seit 30 Jahren.

In der Druckbogenkontrolle wird genau hingeschaut.
In der Druckbogenkontrolle wird genau hingeschaut.

Erste Station ist die Druckvorstufe. Hier werden die fertigen Designs für den Druck freigegeben, aber auch individuelle Kartendesigns bestellt. Auf dem Bildschirm eines Mitarbeiters wird gerade ein junger Mann mit seinem Fahrrad in Doppeldeutsche Schnapskarten retuschiert. Sind die Designs freigegeben, gehen die Spielkarten im Nebenraum in Druck: Ganz automatisch werden große Druckbögen durch gewaltige Druckwalzen gezogen und verlassen die raumgroße Maschine am anderen Ende mit dem passenden Design. Die Karten werden im Anschluss aus dem Druckbogen gestanzt, bekommen ihre klassisch abgerundeten Ecken und werden in Plastik geschweißt.

Die Kartenschneidmaschine.
Die Kartenschneidmaschine.

Die nächste Station ist die Spielefertigung. Hier kommen alle Einzelteile der Karten- und Brettspiele zusammen und werden in die passende Kartonage eingelegt und verschlossen. Hier sitzt auch die Spielplanung, die den Überblick über den gesamten Prozess behält. Bis zu 10 000 Spiele laufen hier im Durchschnitt pro Tag über die Fließbänder: «Es ist wie Puzzle spielen – wir sammeln aus allen Abteilungen die passenden Einzelteile zusammen und teilen sie dem richtigen Spiel zu», erklärt eine Mitarbeiterin. Die fertig verpackten Spiele kommen schließlich ins Lager, die letzte Station, wo der Versand vorbereitet und koordiniert wird.

Hier kommt alles zusammen.
Hier kommt alles zusammen.

Warum sich analoges Spielen nach wie vor durchsetzt

In 200 Jahren Unternehmensgeschichte ist die Digitalisierung auch nur eine Veränderung unter vielen. Die Digitalisierung der Spieleindustrie mit Playstation, Switch und Co. kann das analoge Spielen nicht vom Markt verdrängen, so Dieter Strehl. «Man braucht das Digitale nicht. Es lenkt ab. Es braucht eine Stromquelle, ein Update, alle müssen auf irgendeinen Bildschirm schauen, der den kommunikativen Prozess stört, der das Spielespielen ausmacht.» Und tatsächlich sind alle Hybridspiele mit Tablet und Smartphone bisher gefloppt: «Das wollen die Leute nicht. Sie wollen das Analoge.»

Ob digital oder analog – ein Geheimrezept für das perfekte Spiel gibt es nicht, sagt Dieter Strehl. «Was ich im Laufe der Jahre gelernt habe, ist demütig und gelassener zu sein. Einige der Spiele, die eingeschlagen haben wie eine Bombe, an die habe ich am Anfang nicht geglaubt.» Ein Beispiel: Vor zehn Jahren stellt ein Autoren-Duo ihre Idee für das Quizspiel «Smart 10» vor. Die Idee wird vom Spieleverlag abgelehnt: «Quizspiele? Das wird sicher kein Erfolg, hab‘ ich mir gedacht». Als das Spiel schließlich von einem finnischen Verlag herausgebracht und «Spiel des Jahres» in Dänemark und Schweden wird, bringt Piatnik das Quizspiel auch auf Deutsch und Ungarisch heraus. «Smart 10» gewinnt auch in Deutschland und Österreich Preise und wird schließlich auch als Fernsehshow adaptiert, die mehrmals die Woche im Österreichischen Rundfunk ausgestrahlt wird.

Fotos: Hanna Haböck

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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