
Wie weit sind wir von der Oasis aus «Ready Player One» entfernt?

Steht uns eine VR-beherrschte Zukunft wie in «Ready Player One» und der Oasis bevor? Falls ja, wann? In 10, 20 oder 50 Jahren? Die dystopische Zukunft ist vielleicht näher als wir denken.
Im aktuellen Kinofilm «Ready Player One» verbringt die Weltbevölkerung die meiste Zeit in einem virtuellen Universum namens Oasis. Mit Headsets, Handschuhen und Laufband ausgerüstet, können sich die Menschen darin frei bewegen und praktisch alles tun, was sie wollen. Zocken, in die Schule gehen, arbeiten, Liebesdienste in Anspruch nehmen, ferne Länder besuchen, die Liste ist unendlich. Wie weit sind wir von dieser Fantasie entfernt?
Trotz Verkaufserfolgen von PS VR, HTC Vive und Co. ist der Grossteil der Menschen noch nicht dem VR-Hype verfallen. Dennoch sind die meisten Voraussetzungen für die Oasis bereits gegeben. Ich sage euch, was ihr braucht, um das nächstbeste Oasis-Erlebnis zu schaffen und frage einen Experten, wie lange wir noch auf die Vollversion warten müssen.
VR-Brille

Das wichtigste Utensil, um die virtuelle Welt zu erleben, ist das Headset. Im Film, beziehungsweise der Buchvorlage, kommen unterschiedlichste Exemplare zum Einsatz. Für die volle Immersion ist entscheidend, dass die Auflösung des Headsets hoch genug ist, dass keine einzelnen Pixel mehr wahrgenommen werden können. Ein 4K-Headset würde das erreichen. Dass es das Bild per Laser auf die Augen projizieren muss, um das Sichtfeld zu 100 Prozent abzudecken, lassen wir mal aussen vor. Die HTC Vive Pro hat von den verbreiteten Headsets mit 2880×1600 Pixeln die bisher höchste Auflösung. Ganz Oasis-reif ist sie damit noch nicht. Auch sind heutige Geräte noch deutlich klobiger und nur mit Adaptern kabellos. Die Grundvoraussetzung ist aber gegeben.
Anzug
Diejenigen, die es sich in der Welt von «Ready Player One» leisten können, besitzen den Shaptic Bootsuit. Im Buch als Exoskeleton beschrieben, das Bewegungen des Trägers erkennt und sie ins Spiel überträgt. Umgekehrt spürt der Träger jegliche Berührungen, die ihm im Spiel widerfahren. Wenn ihr also von einem Projektil getroffen werdet, eine Waffe abfeuert oder einen Stoss abkriegt, dann fühlt ihr das auch in echt.
Der Synesthesia Suit, der für «Rez Infinity» entwickelt wurde, deckt zumindest den zweiten Teil ab. Mittels 26 integrierter Vibratoren spürt ihr den Klang der verschiedenen Instrumente des Spiels.
Vollständiger soll der Teslasuit sein, der haptisches Feedback, Bewegungstracking und sogar biometrisches Feedback beherrscht. Der Anzug soll bereits nächstes Jahr in den Handel kommen.
Laufband/Sitz
Laufbänder übertragen deine Beinbewegung ins Spiel: Rennen, springen, schleichen. Sie gleichen einem klassischen Trainingslaufband, womit ihr euch an Ort und Stelle bewegen könnt. Ein Gerät, das diesem Bild aktuell am nächsten kommt, ist der KAT Walk mini. Ihr steht dabei in einer runden, nach innen gewölbten Fläche. Ein daran befestigter Hüftgurt sorgt dafür, dass ihr nicht umfällt und an der gleichen Stelle bleibt. Das Kabelproblem löst sich mit dem KAT Walk mini auch gleich. Ganz so frei wie in der Vorlage bewegt ihr euch damit zwar noch nicht, aber es ist nahe dran.
Auch interessant ist das Infinadeck, das fast gleich aussieht wie das Laufband, das Hauptfigur Wade im Film benutzt. Ganz so hektische Bewegungen sind damit allerdings noch nicht möglich.
Im Buch wird als Nonplusultra ein Sitz (Shaptic Technologies HC5000) beschrieben, der an zwei Roboterarmen befestigt ist und so selbst Kopfüberbewegungen ermöglicht oder Fallen simulieren kann. Auch haptisches Feedback beherrscht dieser fiktive Sessel.
In diese Richtung geht der Axon VR Exosuit, der 2016 vorgestellt wurde. Auch hier werdet ihr von zwei Roboterarmen gehalten, so dass ihr eure Beine frei bewegen könnt. Saltos sind damit noch nicht möglich. Haptisches Feedback und sogar Hitze auf Arme, Körper etc. werden durch eine stoffartige Hülle simuliert, die den Körper bedecken. Der Axon-Suit befindet sich allerdings wie viele andere ähnliche Projekte noch in den Kinderschuhen. Die Firma nennt sich mittlerweile HaptX und hat sich in der Zwischenzeit ein etwas moderateres Zwischenziel gesteckt, wie der nächste Abschnitt zeigt.
Handschuhe
Gehen wir einen Schritt zurück. In «Ready Player One» hat schliesslich auch nicht jeder eine teure Highend-Ausrüstung rumstehen. Nebst der Brille zum Standardequipment gehören Daten-Handschuhe. Die heutigen VR-Lösungen setzen noch auf traditionelle Controller. Allerdings sind schon einige vielversprechende Alternativen in Entwicklung mit unterschiedlicher Marktreife.
Noch ein bisschen an eine Terminator-Mörderhand erinnern die HaptX Gloves, die das Gefühl von Greifen, Drücken und Berührungen simulieren können. Ermöglicht wird dies durch über 100 Druckpunkte und bis zu 2.5 kg Widerstand pro Finger. Natürlich werden damit auch einzelne Fingerbewegungen erkannt und ins Spiel übertragen.
Software
Die beste Hardware ist nichts ohne ihr Software-Gegenstück. Aktuell existiert keine VR-App, die Games, Unterhaltung und virtuellen Lebensraum so vereint wie die Oasis. Es müsste ein weltumspannendes MMO sein, mit verschiedenen Welten, die keine Fantasie auslassen. Wohl am nächsten käme dem eine VR-Version von Facebook. Nirgends sonst gibt es so viele gemeinsame User und verschiedene Möglichkeiten zur Unterhaltung. «Second Life» ginge auch schon in die richtige Richtung.
Beschränken wir uns auf den Game-Part, dann kommen mir Spiele wie «Star Citizen» oder «Worlds Adrift» in den Sinn. Sie wollen möglichst viele Spieler gleichzeitig ein Universum bewohnen und diese dort frei wirken lassen. An die Millionen gleichzeitiger User wie in «Ready Player One» und die komplexen Interaktionsmöglichkeiten kommen sie aber längst nicht ran. Auch die Grafik ist noch nicht soweit, dass wir Spiele nicht von der Realität unterscheiden könnten.
«VRChat» oder auch «Altspace» dürfen nicht unerwähnt bleiben. Beide haben eigene kleine VR-Welten geschaffen, in welchen Menschen miteinander interagieren können. «Altspace» bot sogar richtige Jobs an.
Und wie lange müssen wir noch auf den Spass warten?
Die Technik und die Software sind also in unterschiedlichen Graden bereits vorhanden. Wie lange dauert es nun aber noch, bis es dem Niveau des Buches entspricht? Um diese Frage zu klären, habe ich Fabian Freund, Mitgründer und CTO des Zürcher Unternehmens True VR Systems, kontaktiert. Die Firma ist verantwortlich für die Technik in der Fusion Arena im Letzipark sowie im eigenen VR-Center in Dietlikon. Er hat zwar weder den Film gesehen noch das Buch gelesen, aber genug gehört, um sich ein Bild der fiktionalen Zukunft machen zu können.
«Das grösste Problem ist die Kompatibilität», findet Fabian. Solange Hersteller nicht eng miteinander zusammenarbeiten, ist die Vorstellung der Oasis unrealistisch. Heute existiert noch keine einheitliche Plattform. Alle machen ihr eigenes Ding. In den nächsten Jahren wird Exklusivität weiterhin ein Thema sein, ist Fabian überzeugt. «Ausserdem ist noch alles extrem teuer und kompliziert zu implementieren», sagt Fabian und nennt als Beispiel die Striker VR. Die Striker VR ist ein Sci-Fi-Gewehr, das für VR-Arenen entwickelt wurde und weit weg von Plug ‘n’ Play sei. Allerdings schreite die Technik mit grossen Schritten voran. «In 30 Jahren (die Geschichte spielt 2044) sind wir wesentlich weiter als in «Ready Player One». Die Technik aus dem Trailer sieht teilweise sogar für heutige Verhältnisse antiquiert aus». Bis Haptik und Auflösung auf dem Level des Sci-Fi-Romans sind, dauere es garantiert nicht so lange, prognostiziert Fabian. «Unser VR-System haben wir in gerade mal zwei Jahren entwickelt und davor gab es nichts Vergleichbares.»
Der Knackpunkt wird die eigentliche Oasis
Kritischer sieht Fabian die Software. Wer soll ein so riesiges Konstrukt entwickeln? Wer bewältigt die immensen Rechen- und Datenleistungen. Anders als in «Ready Player One» werden wir in Zukunft kaum eine lokale Konsole brauchen, um in die virtuelle Welt abzutauchen. Das erledigt ein Rechenzentrum irgendwo auf der Welt. Fabian kommen hier Google und Facebook in den Sinn, die am ehesten ein solches Parallel-Universum schaffen könnten. Beide forschen eifrig daran und haben auch eigene VR-Hardware im Angebot.
Ansätze solcher Parallel-Welten sind wie erwähnt beispielsweise «VRChat» oder «Altspace». Ein Platz primär für Nerds. Um den Massenmarkt zu durchdringen, muss erst das Gamer-Stigma abgeschüttelt werden können, findet Fabian. «Der soziale Aspekt ist noch viel zu schwach. Solange wir nicht wie in echt mit unseren Freunden interagieren können, wird es die Realität niemals ablösen.» Wenn jedoch künftige Generationen mit einer VR-Welt aufwachsen, sind für sie soziale Interaktionen auf diese Weise möglicherweise so normal, dass sie «echte» Begegnungen gar nicht vermissen. Dass Jobs gerade aus dem IT-Bereich in VR abwandern, hält er dafür für äusserst plausibel. Die Zukunft bleibt spannend. Geniessen wir also noch die Zeit, wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht anschnauzen und die gegenseitigen Ausdünstungen im ÖV geniessen können. Letzteres wird in VR wohl niemand vermissen.


Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.