Wird Musik immer eintöniger? Teil 1: Die Songtexte
Ratgeber

Wird Musik immer eintöniger? Teil 1: Die Songtexte

David Lee
14.10.2019

Seit Jahrzehnten wird das sinkende Niveau in der Unterhaltungsmusik beklagt. Und sowieso: Früher war alles besser! Leider könnten die Pessimisten dieses Mal recht haben. Ich gehe der Sache auf den Grund.

Es klingt alles gleich. Die Musik wird immer simpler und monotoner. Es gibt kaum noch Originalität und Innovation. Dies höre ich immer wieder – und wenn ich mir die Charts auf Spotify reinziehe, habe auch ich diesen Eindruck.
Natürlich: Abseits der Charts finden sich immer noch – oder sogar mehr denn je – spannende Dinge. Der Eindruck bezieht sich also vor allem auf den Mainstream.

Stimmt der Eindruck? Wird Mainstream-Musik wirklich immer eintöniger, immer langweiliger, kurz: ein Einheitsbrei? Wie lässt sich so etwas überhaupt messen? Und falls es stimmt, woran liegt es?

Diesen Fragen gehe ich in einer mehrteiligen Serie nach. Der erste Teil widmet sich den Songtexten.

Lollipop lollipop. Oh lolli lolli lolli, lollipop, lollipop. Oh lolli lolli lolli, lollipop, lollipop. Oh lolli lolli lolli, lollipop.
The Chordettes, 1958

Wiederholungen innerhalb eines Songtexts

Der Songtext ist nicht der wichtigste Faktor, wenn es um die Analyse von Musik geht. Ohnehin ist sein Stellenwert stark vom Genre abhängig. Jazz und Klassik kommen oft ganz ohne Lyrik aus, im Funk oder EDM spielt sie eine untergeordnete Rolle – wer tanzt, will sich nicht auf den Text konzentrieren. Hip-Hop-Stücke dagegen haben von Haus aus lange und relativ komplexe Lyrics.

Na-na-na, come on. Na-na-na, come on. Na-na-na-na-na, come on. Na-na-na, come on, come on, come on.
Rihanna, 2011

Der Grund, warum ich mit den Texten beginne: Ihre Analyse ist vergleichsweise einfach. Die Komplexität eines Songtextes lässt sich mit einer simplen Methode automatisch messen – und zwar so, dass die Resultate aussagekräftig sind.
Das Ganze funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie wenn du eine Datei «zippst», also komprimierst. Es gibt verschiedene solche Komprimierungsalgorithmen, sie funktionieren im Prinzip aber immer gleich: Der Algorithmus untersucht den Text nach Wiederholungen und vergibt jeder sich wiederholenden Zeichenkette einen Zahlencode. Bei jedem Auftreten wird dann nur noch ihr Code verwendet. Dadurch wird der gesamte Text kürzer.

Je öfter sich etwas wiederholt und je länger die sich wiederholenden Zeichenketten sind, desto mehr Platz lässt sich mit der Komprimierung sparen. Die Angabe in Prozent, wieviel Platz gespart wurde, gibt also auch an, wie repetitiv ein Text ist.
Mit dieser Methode hat der Entwickler Colin Morris die amerikanische Hitparade von 50 Jahren ausgewertet. Das Material umfasst 15 000 Songs zwischen 1958 und 2017. Das Resultat lässt keinen Zweifel: Die Songtexte werden ständig repetitiver, und es ist kein Ende abzusehen.

Interessant ist, dass die Top 10 zu jeder Zeit mehr Wiederholungen haben als der Durchschnitt. Offenbar mögen die Leute Wiederholungen. Den Repetitititititiv-Award gewinnt mit grossem Abstand Rihanna.

Es gibt zu jeder Zeit vereinzelte Songs, die extrem repetitiv sind. «Around the World» von Daft Punk zum Beispiel besteht aus 144 Mal «Around the World» und sonst nichts. Die Datenkompression spart in diesem Fall 98 Prozent Platz. Ein durchschnittlicher Songtext kommt auf etwa 50 Prozent.

Morris hat die 20 extremsten Songtexte von seiner Auswertung ausgeklammert; daher wird die Statistik nicht durch Ausreisser verzerrt.

In seinem Bericht sind die Daten schön aufbereitet und interaktiv visualisiert. Du kannst dort die Werte der einzelnen Künstler anschauen und siehst, wie gross die Spannweite der verschiedenen Jahrzehnte war. Die Webseite zeigt dir sogar, wie repetitiv die einzelnen Songs eines von dir ausgewählten Künstlers sind.

Es scheint aber vereinzelt Fehler in den Resultaten zu haben. «Surfin» von den Beach Boys hat angeblich eine Kompressionsrate von nur 5 Prozent. Demnach müsste er extrem wenig Wiederholungen aufweisen, noch weniger als ein Zeitungstext. Doch der Songtext ist sehr repetitiv. Ich gehe mal davon aus, dass dies ein Einzelfall ist.

Die Studie untersucht nur jeden Text für sich und vergleicht nicht die Texte untereinander. Zwar nehme ich an, dass die Vielfalt auch insgesamt geringer ist, wenn die einzelnen Songs simpler werden. Es wäre aber auch denkbar, dass die Vielfalt über alle Texte hinweg erhalten bleibt.

Um zu wissen, wie stark sich die Texte untereinander ähneln, wären wahrscheinlich linguistische Untersuchungen nötig, die nicht von einem simplen Programm ausgeführt werden können. Das betrifft Fragen wie:

  • Wie oft handeln die Songs von ähnlichen oder gleichen Themen, heute und früher?
  • In welcher Sprache wird gesungen/gerappt?
  • Werden immer wieder die gleichen Phrasen und Ausdrücke verwendet?

Um dennoch eine simple, automatisierbare Methode zu haben, könnte man den gesamten Wortschatz aller Chart-Songtexte über die Jahre vergleichen. Dazu müssten in jedem Jahr gleich viele Songs untersucht werden, zum Beispiel die 200 erfolgreichsten. Eine solche Studie kenne ich aber nicht.

Repetitiv versus dumm

Wenn Leute den Einheitsbrei oder die ständigen Wiederholungen beklagen, geht das oft einher mit der Forderung nach intelligenteren Songs. Doch repetitiv ist nicht dasselbe wie dumm. Ein Merkmal eines guten Popsongs ist, dass er etwas Kompliziertes, zum Beispiel die Liebe, in wenige Zeilen eindampft – die während drei bis fünf Minuten mehrfach wiederholt werden. Der Refrain gehört zur Form dazu und ist per Definition Wiederholung.

Andererseits kann ein Rap-Text jede Menge Gelaber ohne Wiederholung beinhalten, ohne dass der geistige Gehalt dadurch ansteigt.

Kann man von der Textwiederholung auf die musikalische Struktur eines Songs schliessen? In Extremfällen wahrscheinlich schon. Wenn ein Text aus nichts als 144 Mal «Around the World» besteht, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass auch die musikalische Songstruktur nicht sehr komplex ist.

Das Intro besteht aus 16 Mal dem gleichen Bass-Riff, bestehend aus nur einem Takt. Danach kommt ein Muster aus 4 Takten, das sich den ganzen restlichen Song wiederholt. Allerdings wird dieses Muster immer wieder abgewandelt: Mal mit Gesang, mal ohne, mal mit Bass, mal ohne, mal mit sehr komplexem Bass. Am Ende wird der Gesang durch einen Synthesizer imitiert. Es gibt musikalisch kaum zwei Teile, die komplett identisch sind, aber ein Groove, der sich durch alles durchzieht.

Vom Text lässt sich nur sehr bedingt auf die musikalische Komplexität schliessen. Diese zu messen, ist allerdings komplizierter. Darum folgt dazu ein separater Teil dieser Serie. Klick unten auf «Autor folgen», dann bekommst du ein Mail, wenn ein neuer Beitrag von mir online geht.

Titelbild: Videoausschnitt «Like a princess» der Band Double Take. Ihr Song «Hot problems» wurde von ABC News zum schlechtesten Stück aller Zeiten erkoren.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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