«Wo gehört das hin?»
Hintergrund

«Wo gehört das hin?»

Rein, abladen, raus. Darauf beschränkt sich für uns die Zeit auf dem Recyclinghof. Was aber erleben Menschen, die ihren gesamten Tag dort verbringen?

Kurz nach Mittag ist noch wenig los auf dem Recyclinghof Hagenholz in Zürich-Seebach. Nur vereinzelt fahren Autos in die grosse Halle. Ich will herausfinden, ob die Kunden auch so unentspannt sind, wie der Typ im neuen Galaxus-Werbespot. «99 Prozent der Leute sind anständig. Es gibt aber immer wieder solche, die das Gefühl haben, dass sie sich nicht an die Regeln halten müssen», sagt Mitarbeiter Muje. Das äussert sich dann in Pöbeleien oder Wutanfällen. Ein solcher ist Muje in seinen 22 Jahren hier im Hagenholz besonders in Erinnerung geblieben. «Früher mussten Abfallsäcke separat bezahlt werden. Das konnte eine Frau nicht verkraften und fing an, herumzuschreien und ausfällig zu werden. Zum Glück konnte sie irgendwann von ihren zwei Begleitern beruhigt werden.»

Muje bei der Arbeit.
Muje bei der Arbeit.

Heute kann sich zumindest niemand mehr darüber beschweren. Denn seit Jahren bekommen alle Stadtzürcher Ende Jahr vier Coupons, mit denen sie je 100 Kilogramm gratis entsorgen können. Seit sechs Jahren beinhaltet dieses Angebot auch den normalen Hausmüll. Und das nehmen die Kunden gerne an. «Hausmüll gehört zusammen mit Holz, vor allem Möbel, zu den meist weggeworfenen Materialien», sagt Tafa. Er arbeitet nach eigener Aussage schon zu lange hier. Spass hat er an seiner Arbeit trotzdem: «Die Kollegen sind super!»

Vor allem rund um die Zügeltermine stehen Holzmöbel hoch im Kurs.
Vor allem rund um die Zügeltermine stehen Holzmöbel hoch im Kurs.

Geduld fürs eigene Wohl

Das bestätigen auch die anderen Mitarbeiter. Marc wirkt ruhig und überlegt. Er lässt sich nicht zu kleinen Anekdoten hinreissen. Geduldig erklärt er mir, welche Containerfarbe für welchen Inhalt steht, so wie er das tagein, tagaus für seine Kunden macht. Rot ist für Keramik, weiss ist für Eisen, grün für Eisenmischungen und blau für Elektroschrott. Diese Art muss in einem Job mit so viel Kundenkontakt Gold wert sein. Nicht nur für die Kunden, sondern vor allem für ihn selbst.

Marc lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Marc lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Diese Meinung teilt Giuseppe, ein langjähriger Kunde des Hagenholz. «Wozu sollte ich mich aufregen, wenn es einmal länger dauert? Damit schade ich doch nur mir selbst.» Zweimal pro Jahr kommt der Pensionär ins Hagenholz – und das nicht ohne Plan. «Ich lade mein Zeug schon in der richtigen Reihenfolge ins Auto ein. So komme ich in einem Schwung durch, ohne mühsames Hin- und Herlaufen», erzählt er. Viele Kunden sind nicht ganz so organisiert.

Für Giuseppe lohnt sich Ungeduld und Wut nicht.
Für Giuseppe lohnt sich Ungeduld und Wut nicht.

Keine Sonderbehandlung

«Viele Leute verstehen nicht auf Anhieb, was in welche Tonne gehört. Das habe ich ehrlich gesagt auch nicht gecheckt, bevor ich hier angefangen habe», gibt Tafa zu. Und auch ich muss eingestehen, dass ich ein paar Dinge falsch sortiert hätte. Dennoch habe ich das Gefühl, dass auch Faulheit einen Teil dazu beiträgt. Das bestätigt dann sogar Marc: «Einige Leute werfen die Sachen in den nächstbesten Container, weil es einfacher ist und sie wissen, dass wir ihren Fehler korrigieren.» Einen besonders prägenden Fall von Faulheit und Überheblichkeit hat Muje erlebt. «Ein Typ hat seinen Recyclingmüll ausgeladen und sich geweigert, ihn selbst zu sortieren. Seine Begründung: Ich bin Schweizer.» Bei so viel Arroganz klappt mir kurz die Kinnlade runter. «Egal, woher du kommst, deinen Müll musst du selbst entsorgen», fügt Muje hinzu.

Im Hagenholz wird selbst Hand angelegt.
Im Hagenholz wird selbst Hand angelegt.
Deshalb landen viele Dinge in der falschen Mulde.
Deshalb landen viele Dinge in der falschen Mulde.

Rigorose Prinzipien

Es gibt aber auch Menschen, die so korrekt sind, dass es schon wieder bizarr ist. Im Recyclinghof Hagenholz gibt es drei Spuren, in die sich die Autos einreihen können. Die Spuren sind mit durchgehend weissen Linien gekennzeichnet, die im Strassenverkehr als Sicherheitslinien bekannt sind. «Ein Autofahrer hat sich in die mittlere Spur eingereiht, links wurde aber frei. Ich habe den Kunden darauf hingewiesen, damit er schneller vorwärtskommt», sagt Muje. Darüber hätte sich wahrscheinlich jeder gefreut – ausser dieser Fahrer. «Er könne doch die Sicherheitslinie nicht überfahren, meinte der Typ ganz aufgeregt. Woraufhin ich ihm erklärt habe, dass das ein Privatgrundstück ist und hier nicht dieselben Regeln gelten. Doch er liess sich nicht überzeugen und wartete brav in seiner Spur.» Fehlende Prinzipientreue kann man dem Mann nicht vorwerfen.

Auch das Hagenholz hat seine Prinzipien. Eines davon ist, dass von Kunden nichts mitgenommen werden darf. «Wir wiegen die Autos bei der Ein- und Ausfahrt und berechnen so den Preis. Packt ein Kunde den Recyclingmüll anderer ein, funktioniert dieses System nicht mehr», erklärt mir Tafa. So musste leider auch eine makellose Menora im Eisenschrott bleiben, die ein Kunde so gerne gehabt hätte. Andere Dinge sind eher weniger begehrt aus zweiter Hand. So auch ein Vibrator, den Mike als kuriosesten Gegenstand während seiner drei Wochen Praktikum einstuft. «Immerhin landete der direkt im richtigen Container», sagt er.

Mike macht seine Lehre eigentlich woanders, wo zu wenig rezykliert wird. Deshalb ist er für drei Wochen im Hagenholz.
Mike macht seine Lehre eigentlich woanders, wo zu wenig rezykliert wird. Deshalb ist er für drei Wochen im Hagenholz.

Seitenhieb für digitec

Etwas mehr im Hintergrund begegne ich Leon, der hier seine Lehre macht. Er ist der Erste, von dem ich leise Kritik an der Arbeit höre. «Die Arbeit und Kollegen sind top, ich wünschte nur, dass es einen offiziellen Lehrplan gäbe. So wäre ich sicher, dass ich am Ende meiner Lehre auch wirklich alles gelernt habe.» Auch Matthias, der bis jetzt in der Krankabine sass, wartet mit Kritik auf mich. Die richtet sich aber nicht gegen seinen Betrieb, sondern gegen meinen. «Mich nervt die digitec Werbung auf Youtube, aber trotzdem oder genau deswegen bleibt sie mir.» Und jetzt rate mal, woher sein Huawei P20 kommt? Genau, von digitec. ;)

Leon beschäftigt sich bei der Arbeit am liebsten mit PET.
Leon beschäftigt sich bei der Arbeit am liebsten mit PET.
Matthias gönnt sich eine kurze Pause und plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen.
Matthias gönnt sich eine kurze Pause und plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen.

Bei all den Anekdoten und Geschichten ist mir gar nicht aufgefallen, wie gross der Andrang auf den Recyclinghof unterdessen ist. Transporter vollgestopft bis unters Dach reihen sich aneinander. Die Mitarbeiter werden mit der immer gleichen Frage konfrontiert: «Wo gehört das hin?» Geduldig und höflich weisen sie die Kunden zu den richtigen Containern. «Das ist nichts im Vergleich zu Ende Jahr, wenn die Coupons kurz vor dem Verfallsdatum stehen. Da können es an einem Tag auch mal 1000 Autos sein», sagt Muje. An so einem Tag müssen die Fragen nach dem richtigen Container in den unzählbaren Bereich ansteigen. Mir würde schon nach dem dritten Mal die Lust vergehen. Wenn ich dabei angepöbelt werden würde, noch schneller. Und genau deshalb habe ich einen Heidenrespekt vor der Gelassenheit dieser Männer.

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Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.


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