Wo ist hier Paris? Hinter den Kulissen von PSG
Hintergrund

Wo ist hier Paris? Hinter den Kulissen von PSG

Paris Saint-Germain ist das schillerndste Projekt des Weltfussballs. Hier gibt es grosse Meister, Öl und Farben, die den Prinzenpark zur Pilgerstätte machen. Selbst dann, wenn gar kein Spiel läuft.

Paris ist grau, Paris ist bunt. Bindfadenregen wäscht die Farben aus der Stadt und lenkt den Blick auf nassen Asphalt, in den Pfützen spiegeln sich die Zweckbauten von St. Germain. Am Rande der Autobahn ist eine Tür, die von Männern in schwarzen Anzügen bewacht wird. Hinter dieser Tür explodieren die Farben und wummern die Bässe. Willkommen im Fanshop von PSG, in den es mich samt Familie gespült hat. Reizüberflutung. Die Rettung.

Willkommen, Konsumenten! Kylian Mbappé schwebt über den Dingen.
Willkommen, Konsumenten! Kylian Mbappé schwebt über den Dingen.

Ich stehe vor einem SUP mit PSG-Logo, über mir flackert Kylian Mbappé über den Videowürfel, darunter glitzern die Augen. Der Nachwuchs hat sich schon einen Trikotsatz in seiner Grösse gekrallt. Es ist der letzte, der Laden ist voll und eine Mutter erkundigt sich, ob wir es wirklich kaufen werden oder abgeben können. Begleitet von wütendem Geschrei geben wir die heisse Ware wieder frei. Denn wir sind nicht hier, um ein Kindertrikot für 50 Euro zu kaufen. In den Fanshop treibt uns nur der Regen. Wir sind hier, um ein leeres Stadion zu sehen. Für 80 Euro.

Ein verregnetes Wochenende in Paris ist mit Kindern nicht immer ein Spass. Der Eiffelturm ist abgehakt, die Aussicht auf einen Besuch im Louvre sorgt für lange Gesichter. Zum Glück ist da noch der heisseste Scheiss des Weltfussballs. Oder sein Verein gewordenes Problem. Je nach Sichtweise. Jedenfalls ist die Stadiontour der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns an diesem Tag einigen.

Der Parc des Princes, die Heimat von PSG.
Der Parc des Princes, die Heimat von PSG.

Während mich die Aussicht quält, Geld in katarische Kassen zu spülen, ist mein sechsjähriger Sohn im Märchenland der Sportmoderne. Messi. Neymar. Mbappé. Für ihn beginnt die Fussballgeschichte jetzt und die Welt ist, wie sie ist. Es kommt mir dämlich vor, seiner Begeisterung mit Kapitalismuskritik zu begegnen. Er ist ein Kind seiner Zeit.

Seit Längerem beobachten Marktforscher den Trend, dass junge Fußballkonsumenten sich mehr für Stars als für Vereine interessieren. Sie wollen die Besten der Besten spielen sehen, deren Tricks nachmachen. Den Torjubel von Ronaldo imitieren. Wie die Klubs heißen, für die die Idole auflaufen, ist fast egal.
Der Spiegel 40/2021

Paris ist Popkultur

Da die Besten der Besten für gewöhnlich dort auflaufen, wo die grössten Geldquellen sprudeln, hat der Qatar Investment Fonds aus Business-Sicht alles richtig gemacht. Mit gefühlt 4628 Fantastilliarden ist er reicher als Dagobert Duck und seit 2011 die Geldschleuder von PSG. Seither läuft es fast wie geschmiert. Die grössten Namen wurden mit noch grösseren Summen nach Paris gelockt, die Marke mit Nikes Jordan Brand zur coolsten auf dem Pausenplatz aufgeblasen. PSG ist Popkultur und Blaupause für alle Vereine, die auf weltweite Aufmerksamkeit aus sind. Da schadet es nicht, die Ikonen durcheinander zu würfeln. Jordan hier, Eiffelturm da, Neymar dort. Egal. Hauptsache, weltberühmt. Dann braucht es nicht mal einen Champions-League-Titel, damit das Stadion an spielfreien Tagen zur Pilgerstätte wird.

Laut Forbes-Rangliste hat PSG den Markenwert in zwei Jahren um 129 Prozent gesteigert.
Laut Forbes-Rangliste hat PSG den Markenwert in zwei Jahren um 129 Prozent gesteigert.

Paris ist grün

Alle 30 Minuten beginnt eine neue «Stadium Tour». Der Regen lässt nach und sämtliche Stars sind da. Leider nur auf Bildschirmen. Draussen zieren sie Hausfassaden und schweben über der Stadt, sind omnipräsent und doch nicht greifbar. Nur digital wird ein Gefühl von Nähe erzeugt. Sinnbild für den real existierenden Egalismus ist der Greenscreen im Eingangsbereich. Für ein paar Euro extra kann man sich mit Fanschal fotografieren und zu seinen Helden ins Bild montieren lassen. Sie sind moderne Märchenfiguren, die nur an Spieltagen leibhaftig im Prinzenpark auftauchen.

PSG wurde erst 1970 gegründet und gehörte vor den Kataris unter anderem dem französischen Fernsehsender Canal+ und den Amerikanern von Colony Capital. Tradition hat nur dieses alte Stadion im Westen der Stadt. 1897 als Radrennbahn gebaut, endete hier bis 1967 die Tour de France. Fussball wird seit 1899 gespielt, sechs Europapokalfinals hat es gesehen.

Seine Geschichte rettet den Parc des Princes. Verglichen mit modernen Arenen hat er ein wenig Staub angesetzt, steht aber unter Denkmalschutz. Deshalb wurde bislang nur aufpoliert, was möglich war: Schicke Lounges, Gold und Glas schmücken die historisch wertvolle Schüssel mit ihren 46 000 Sitzplätzen. Eine vergleichsweise kleine Bühne für die grossen Stars, weshalb Präsident Nasser Al-Khelaifi von einem Ausbau auf 80 000 Plätze träumt und dabei vergisst, dass die Stadt Paris Eigentümerin ist. Kein Selbstläufer, dieser Plan. Im Gegensatz zur Stadiontour, zu der es nur einen Audioguide in der App und gelegentlich ein paar Erklärungen vor Ort gibt.

Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Der gähnend leere Pressesaal.
Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Der gähnend leere Pressesaal.

Paris ist absurd

Wir sind uns selbst überlassen, dürfen uns entlang der vorgegebenen Route bewegen und verschwinden in den Katakomben von Paris. Denen des Stadions. Die echten, geschichtsträchtigen Katakomben der Stadt hätten wir für zehn Euro weniger besichtigen können. Statt zwischen den Gebeinen mehrerer Millionen Pariser stehen wir nun dort, wo millionenschwere Fussballerbeine gesalbt oder Phrasen gedroschen werden. Im Presseraum und vor den Physio-Liegen, abgesperrt mit rotem Band und diskret bewacht von Menschen in schwarzen Anzügen. Irgendwie absurd. Als ob zwischen gerahmten Trikots die Mona Lisa hängen würde.

Da hängt aber nichts. Nicht einmal Schweiss oder teures Parfüm in der Luft. Dabei sind wir in der Kabine, dem Allerheiligsten jeder Mannschaft. In der Mitte ein überdimensionaler Holztisch, der aus vier Teilen besteht und das Vereinslogo trägt. Ein Tisch, an dem, gemessen an der Optik, Weltpolitik gemacht werden oder ein Bond-Bösewicht seine Pläne aushecken könnte. Doch die Wirklichkeit ist viel banaler. Hier stellen die Stars ihre Becher ab oder greifen sich eine Banane, bevor sie erschöpft in die Kinosessel vor ihren Schränken plumpsen. Seit keine Kabine von Spitzenclubs mehr vor Amazon-Prime-Dokus sicher ist, muss optisch mehr Hollywood rein.

Paris ist Kulisse

PSG wirkt im Prinzenpark wie eine Kulisse, die dem geschichtsträchtigen Stadion übergestülpt wurde. Auf blauem Teppich geht es durch den Spielertunnel Richtung Rasen. Um sich und der ganzen Welt zu versichern, hier richtig zu sein, grüssen die leeren Ränge mit «Ici c’est Paris». Dem Wahlspruch, dessen Markenrechte lange bei den Fans lagen, gegen die der Verein vor Gericht zog und stolze 2000 Euro bot.

Hier ist also Paris. Wirklich? Stimmt natürlich, rein geografisch gesehen. Doch irgendwie bleibt das Gefühl zurück, dass PSG überall und nirgends ist. Auf jedem Shirt, jeder Tasse und jedem Schuh. Auf tausenden Dingen, grell und trotzdem nicht wirklich greifbar. Wir haben für 80 Euro hinter die Kulissen geguckt und nichts gesehen. Das graue Paris gefällt mir besser, denke ich, als wir auf regennassen Strassen zur Metro laufen. Mein Sohn sieht das anders.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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