
Kritik
«Mad Heidi» ist ein Gaudi, das Laktoseintolerante diskriminiert
von Livia Gamper
Chris Blaser ist VFX Supervisor, unter anderem beim Schweizer Film «Mad Heidi». Ich habe ihn getroffen und mit ihm darüber gesprochen, wie er zu diesem Job kam und wie die Hütte von Alpöhi in die Luft gesprengt wurde.
«Ich war in einer Crew als VFX Supervisor am Film», schreibt Chris Blaser in die Kommentarspalte meines «Mad Heidi» Reviews. Chris war beim Schweizer Film verantwortlich für explodierende Hütten, Fondue-Zombies und sonstige Splatter-Effekte.
VFX bedeutet visuelle Effekte, genauer: die digitalen Effekt eines Films, die in der Postbearbeitung hinzugefügt werden. In «Mad Heidi» kommen viele davon vor: Sei es bei Fondue-Boarding – Waterboarding, aber mit heissem Käse, oder wenn Geissenpeter auf dem Dorfplatz das Gesicht weggeschossen wird.
Ich treffe Chris in seiner Wohnung, wo er sein Büro zum Studio umfunktioniert hat. Er erzählt von seinem Weg zum VFX Supervisor, wie er zu «Mad Heidi» kam und wieso die Crew drei Wochen vor Filmstart einen neuen Geissenpeter suchen musste.
Dass Chris von Filmen fasziniert ist, ist einfach zu erkennen, wenn man in seiner Wohnung ist: Sieben Regale voller DVDs zieren seine Wohnzimmerwand. «Seit ich zehn Jahre alt bin, habe ich diese Leidenschaft», erzählt er. Besonders die Star-Wars-Saga habe es ihm angetan. Und als er die Effekte aus der weit, weit entfernten Galaxis das erste Mal sah, war für ihn klar: Das will ich auch machen.
Am Computer des Vaters hat Chris die ersten Versuche gemacht, das mit den VFX blieb aber ein Traum. Chris absolviert zuerst eine Lehre als Fahrzeugschlosser. Nebenbei macht er Webdesign, Grafiken und Flyers für die Jugenddisco.
Ein Studium im Filmbereich lag nicht drin. Es gab schlicht keinen Studiengang in Visual Effects, auf die Unterstützung der Eltern konnte Chris auch nicht zählen. Trotzdem blieb er an seinem Traum dran. Er verschlang Bücher, schaute Making-Ofs von Filmen und erarbeitete sein Wissen autodidaktisch.
Schliesslich absolvierte Chris den Lehrgang «Multimedia Producer» am SAE. Der Allrounder-Lehrgang im Filmbereich verhalf ihm zu Nebenjobs in der Branche. Nebenbei gründete er eine Firma für 3D Renderings und Animationen. Ohne 3D gibt es heute keine visuellen Effekte im Film, und Talente in diesem Bereich waren damals, 2003, gefragt. Swisscom, Apple oder HP brachten Aufträge.
Etwas später studierte Chris doch noch: Multimedia Producer am SAE Institut in Zürich. Und gleichzeitig hielt er sich mit vielen verschiedenen Jobs über Wasser: Bei kleinen Filmen und Videoproduktionen war er in fast allen Bereichen tätig. Über Kameraführung bis Regie war alles dabei – von dort holte er das Know-how, um heute am Filmset als VFX Supervisor zu arbeiten.
Die Anerkennung der Eltern fehlte weiter. «Meine Eltern konnten lange nicht verstehen, was ich mache.» Die kreative Arbeit wurde damals als brotlos angesehen, was es für seine Eltern um so schwieriger machte. Doch lukrative Aufträge im Parfum-Business brachten den Durchbruch für seine Firma und dann das Ansehen bei den Eltern. «Es war ein hartes Pflaster, wo sehr schnell gearbeitet werden muss», so Chris. Die Parfümwerbungen, für die Chris 3D-Videos erstellte, waren von den Unternehmen jahrelang geplant, die Grafiken sollten aber in nur drei Tagen erstellt werden.
Doch auf Umwegen ist Chris dort gelandet, wo er immer hin wollte. Beim Film. Beim «Missen Massaker» baute er das Daten-Backup-System, für homegateTV das Studio und 2016 stiess er schliesslich zum Projekt «Mad Heidi».
«Mit ‘Mad Heidi’ haben wir ein Stück Schweizer Filmgeschichte geschrieben», sagt Chris stolz. Filme, welche mittels eigenem Crowdfunding finanziert wurden und es damit ins Kino schafften, gab es in der Schweiz bislang nicht. Das bedeutet, dass Filmfans sich Anteile an «Mad Heidi» erwerben konnten und so zu Mitproduzenten wurden. Erzielt der Film genügend Einnahmen, zahlt sich das Investment für die Fans sogar aus, dann erhalten sie einen Anteil am Gewinn zurück.
Trotz Crowdfunding und Crowd Investment war das Budget bei «Mad Heidi» knapp. Chris lacht, als er von den Dreharbeiten erzählt. «Am Set haben alle einfach gemacht, was sie konnten». Zum Teil war das chaotisch, die Stimmung sei aber immer gut gewesen. Insgesamt wurde der Film an 27 Tagen gedreht – normal wären etwa 35 Tage, erklärt Chris, aber «das Budget war halt knapp.» Work hard, play hard: «Auch nach anstrengenden Drehtagen sind wir oft mit der Crew Bier trinken gegangen.»
Dass nicht alles immer rund lief, zeigt das Engagement von Kel Matsena aus Wales und Simbabwe. Er ist nicht nur der erste Geissenpeter, der von einer Person of Color gespielt wird. Er war auch nur die dritte Wahl. Zuvor hatten zwei Schauspieler abgesagt, einer davon drei Wochen vor dem Dreh. «Sie sind wegen der Nacktszenen abgesprungen», erzählt Chris. «Und Kel gefiel es sogar so gut in der Schweiz, dass er nach dem Dreh gleich blieb und Ferien machte», fügt Chris lachend an.
Bevor die Dreharbeiten überhaupt begonnen hatten, erhielten die Macherinnen und Macher von «Mad Heidi» wegen des Trailers einige Briefe mit Bedenken. «Unter anderem vom Heidiland und einigen christlichen Vereinen. Nachdem der Trailer erschien, ging zudem die Klage eines Schweizer Sackmesser-Herstellers ein. Dieser fand es nicht lustig, dass ein Taschenmesser als Waffe gezeigt wurde», erzählt Chris. «Es sind einfach allerhand Schweizer Klischees, die auf die Schippe genommen wurden.» Zudem verlor einer der Co-Autoren wegen des Trailers seinen Job bei der Polizei.
Zum Schluss wechseln Chris und ich vom Wohnzimmer ins Büro. Es ist kalt hier. Die Lüftung läuft, damit der Computer mit der riesigen Grafikkarte nicht überhitzt. Der Laptop, mit dem er am Set von «Mad Heidi» gearbeitet hat, steht im Regal. Eigentlich ist es mehr ein Akkukoffer, in dem ein Laptop ist: Am Filmset musste der Laptop den ganzen Tag Höchstleistungen bringen, ohne Netzanschluss.
Chris hatte am Set die Verantwortung dafür, dass die Visual Effects später im Film so zu sehen sind, wie sie sein sollen. «Dafür rannte ich beispielsweise mit einem Tennisball an einem Stock herum», erklärt er. Anstelle des Tennisballs kommt in der Postproduktion dann eine Hellebarde – mit einer echten zu hantieren wäre nicht nur zu gefährlich für die Schauspielenden gewesen, sondern auch zu kostspielig in der Anschaffung. Chris koordinierte diese Arbeiten, schickte die Aufnahmen weiter zur Postproduktion an eine externe Firma oder bearbeitete die einfachen Effekte selbst.
Noch aufwendiger waren die Szenen mit Zombies. Diese sollten im Film halbtot und voller Käse herumlaufen. Dazu machte Chris am Set mit speziellen Kamerafiltern 3D-Scans der Schauspieler. In der Nachbearbeitung wurden daraus die bewegten Zombies am Computer erstellt und mit Effekten der letzte Schliff verpasst.
Ein anderes Beispiel ist Alpöhis Hütte, die im Film in die Luft fliegt. «Die Hütte existiert in echt, sie befindet sich im Berner Oberland. Um sie von oben nach unten scannen zu können, musste ich mit einem sechs Meter hohen Stativ vor Ort und alles einscannen», erklärt Chris. In nur einer halben Stunde hatte er die ganze Hütte im Kasten. Pardon, Laptop.
Insgesamt 185 solcher Spezialeffekte gibt’s in «Mad Heidi» zu sehen. Für alle trug Chris die Verantwortung. Damit ist er ein Einzelfall. Für die Meisten reicht es nämlich oft nur bis zum VFX Artist. Das ist jemand, der «nur» die Effekte erstellt, aber dabei keine Führungsposition mit Verantwortung (oft auch über andere VFX-Artists) innehält. «In der Schweiz gibt’s nur sehr wenige VFX Supervisors. Die Branche ist schlichtweg zu klein, da gibt es andere, einfachere Karrierewege. Viele Filmproduktionen arbeiten deshalb mit Supervisoren aus dem Ausland zusammen», sagt Chris nicht ohne Stolz.
Die Hartnäckigkeit, mit der er seine Karriere verfolgt, hat sich für Chris gelohnt. Chris hat trotz der anfangs schwierigen Umstände seinen Traum verwirklicht und macht heute das, was er liebt. Und seine Eltern: «Heute sind sie natürlich stolz auf mich.»
Der Film «Mad Heidi» läuft derzeit noch in einigen Kinos oder kann unter madheidi.com für 15 Franken gestreamt werden
Titelfoto: Christian WalkerExperimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival.