

Demokratie im Stall: Wie ein Kinderbuch Orwells Warnung neu erzählt
Wie erklärt man Kindern Demokratie, ohne zu langweilen? Ganz einfach: mit einer Prise Orwell. Das Buch «Wer bestimmt auf unserem Hof?» zeigt meisterhaft, wie aus Chaos Mitbestimmung wächst. Ein wichtiger Buchtipp für mehr Gerechtigkeit im Kinderzimmer, der unter jeden Weihnachtsbaum gehört.
Der Bauer ist tot, es lebe die Freiheit!
Ganz so einfach ist es leider nicht. Als Bauer Günter eines Tages stirbt, bleiben die Tiere alleine auf dem Hof zurück. Was zunächst wie das Paradies wirkt – endlich niemand mehr da, der sie zur Arbeit zwingt –, kippt schnell ins Chaos. Das Machtvakuum auf dem Hof führt zunächst zu reiner Anarchie. Die Pferde erobern das Schlafzimmer und tauschen Stroh gegen Daunenbetten, während die Schweinefamilie rücksichtslos in der Küche nach Essbarem wühlt und die Gänse kurzerhand den Hühnerstall übernehmen.
Schnell wird klar: Wenn alle einfach machen, was sie wollen, bestimmen die Starken über die Schwachen.
Das kommt dir bekannt vor? Genau: Das Buch ist eine Anlehnung an George Orwells «Farm der Tiere». Doch diesmal ist es keine düstere Dystopie. Vielmehr erzählt Autor Ruprecht Polenz eine Geschichte mit positiver Wendung, die kindgerecht vermittelt, wie Demokratie entstehen kann.
Die Suche nach einer neuen Ordnung
Spätestens hier sind die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer hellwach und voller Sorge: «Wie sollen die Tiere das nur lösen?» Das fragen sich auch Hofhund Joscha und die kleine weiße Ziege Kimmi. Die Freunde bemerken schnell, dass es ohne Regeln nicht klappen wird.
Jeder will bestimmen und die Stärkeren setzen sich rücksichtslos durch. So macht es keinen Spaß, frei zu sein.

Da erinnert sich Joscha an einen anderen Hof, der allein von Tieren geführt wurde: die Farm der Tiere. Und wie es der Zufall will, lebt eines der Tiere von damals, der alte Esel Benjamin, ganz in der Nähe. Er wird zur Brücke zwischen der literarischen Vorlage und der neuen Kindergeschichte.

Bloß kein neuer Chef
Benjamin berichtet den versammelten Tieren von jener anderen Farm, auf der die Schweine einst die Macht an sich rissen. Seine Warnung ist eindringlich:
Wer die Freiheit will, darf sie nicht einem einzigen Anführer überlassen.
Tauscht man nur den Bauern gegen einen neuen Bestimmer, bleibt die Unterdrückung gleich – sie trägt nur einen anderen Namen. Für Kimmi und Joscha ist der Fall klar: Es braucht Regeln, die für alle gelten, egal ob sie Hörner, Schnäbel oder Pfoten haben.
Was folgt, ist der wohl schwierigste Teil jeder Demokratisierung, den das Buch mit viel Fingerspitzengefühl beschreibt. Die Tiere müssen lernen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, ohne dem Nachbarn gleich ins Bein zu beißen. Es wird diskutiert, gestritten und verhandelt. In einer großen Tierkonferenz im Stall wird schließlich abgestimmt – ein schwieriger Prozess, der vermittelt, wie anstrengend Einigung sein kann.

Visuelle Wärme statt düsterer Dystopie
Dass diese komplexe staatstheoretische Lektion nicht trocken wirkt, ist auch den Illustrationen von Sidney von Veh zu verdanken. Mit warmen Farben und ausdrucksstarker Mimik fängt sie sowohl das anfängliche Chaos als auch die spätere Ordnung ein. Die Bilder erden die politische Thematik kindgerecht und geben ihr eine fast gemütliche Atmosphäre.
Fazit
Ein Buch, das alle mal gelesen haben sollten
«Wer bestimmt auf unserem Hof?» ist weit mehr als eine Vorlesegeschichte. Es verdeutlicht kindgerecht verständlich den Wert von Demokratie. Und es ist ein Gesprächsangebot. Warum darf der Stärkere nicht alles bestimmen? Warum müssen wir uns an Regeln halten? Der perfekte Anlass, um mit Kindern über Fairness und Gerechtigkeit zu sprechen.
Das Buch endet übrigens nicht mit einem perfekten Utopia, sondern mit einem funktionierenden Kompromiss. Es zeigt, dass Demokratie nie fertig ist, sondern jeden Tag im Stall – oder im Klassenzimmer, am Esstisch und auf dem Spielplatz – neu verhandelt werden muss. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit.
Pro
- Das Buch vermittelt kindgerecht politische Prozesse.
- Statt düsterer Dystopie von Orwell positive Wendung mit gutem Ausgang.
- Eine Einladung mit Kindern über Fairness, Gerechtigkeit und gesellschaftliche Regeln zu sprechen.
Contra
- Für Fünfjährige eventuell noch etwas zu komplexe Thematik.
Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.
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