Die Steine der alten Weisen
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Die Steine der alten Weisen

Backgammon, eines der ältesten Spiele der Welt, hat mein Herz erobert. Mehr sogar: Ich habe bereits eine leichte Spielsucht entwickelt. Und das alles nur wegen ein paar alten Männern.

Ich bin keine grosse Spielerin. Meist habe ich keine Lust, die Karten oder das Brett überhaupt hervorzuholen. Wenn ich es doch tue, wird mir das Ganze nach ein oder zwei Runden schon zu öde. Oder ich nehme das Spiel zu ernst, verliere dann aber die Partie, meine Contenance und verstaue die Demütigung in der hintersten Ecke eines Kastens. Aber dann gibt’s Momente, in denen es mich packt und ich eine leichte Sucht entwickle. So geschehen bei Backgammon.

Zigarette, Tee und Backgammon

Als ich vor ein paar Monaten Südostanatolien bereiste, sassen überall an Strassenrändern, in Parks oder in Cafés alte Männer mit einer Tasse Çay und spielten das alte Brettspiel. Zwei spielten, etwa vier schauten zu und alle rauchten Kette. Dabei trugen sie feinen Zwirn und eine passende Schiebermütze oder sonstige Kopfbedeckung. Weise verschoben die Spieler die Steine, andächtig verfolgten die Zuschauer die Züge. Ich verstand nichts, weder Sprache noch Spiel, und doch faszinierte mich die Stimmung.

Zwar ohne Backgammon, aber so in etwa kannst du dir die Männer vorstellen.
Zwar ohne Backgammon, aber so in etwa kannst du dir die Männer vorstellen.

Diese Faszination teilte ich meinem Reisepartner immer wieder verbal mit oder blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen, wenn ich wieder eine Gruppe erblickte. Die Botschaft scheint bei ihm angekommen zu sein. Zu Weihnachten enthüllte ich eine handgemachte Version aus Griechenland. Schon nur die schön geschliffenen Hölzer liessen mein Herz höher schlagen. Nach diversen Familienbesuchen war es dann endlich Zeit, die Spielsteine zu platzieren.

Dafür benötigte ich am Anfang einige Minuten. Die Anleitung verwirrte mich. Mein Gegenspieler verwirrte mich. Doch irgendwann lagen sie richtig aufgereiht vor mir. Es begann vielversprechend. Mein weisser Würfel zeigte eine höhere Augenzahl als der schwarze meines Gegners. Ich zog los. Nicht aber, ohne vorher jegliche Würfelkombinationen mit den Fingern abzuzählen. Teilweise auch dreimal hintereinander, da ich meinen Zählkünsten nicht vertraute oder mein Siebhirn nach einer Sekunde wieder vergass, wo mein Stein landen würde. Immerhin erging es meinem Gegner nicht besser.

Wo bleibt die Contenance?

So zog sich die erste Partie in die Länge. Mein Gegner würfelte einen Pasch nach dem anderen und durfte die doppelte Augenzahl fahren. Ich hingegen musste mich mit Einern, Zweiern oder, wenn ich Glück hatte, Dreiern begnügen. Am Ende lagen noch vier Steine in meinem Heimfeld, die meines Gegners waren alle abgetragen. Ich verlor. Und ich verlor auch die zweite Partie. Und die dritte. Ärger stieg in mir auf. Ich verlor den Respekt vor dem Spiel und vor allem den Respekt vor meinem Gegner. Stampfend und wortlos verliess ich den Spielplatz am Esstisch. Zu der Wut gesellten sich Selbstzweifel. Ist die Mischung aus Strategie- und Glücksspiel nichts für mich? Denke ich zu wenig nach? Nein, wahrscheinlich hat mein Gegner einfach Glück, dieser Hund. Meine Stimmung liess sich nur durch eine ordentliche Portion Schlaf verbessern.

Ich nach einer Niederlage.
Ich nach einer Niederlage.

Am nächsten Tag wollte ich es erneut probieren. Die Gedanken an die alten türkischen Männer, die Vorstellung, irgendwann in deren Mitte spielen zu dürfen, motivierten mich. Ich wollte Backgammon nicht so einfach den Rücken kehren. Angespannt baute ich das Spiel auf. Das klappte schon viel schneller. Ich verlor das Auswürfeln am Anfang. Ein Lichtblick, hatte ich doch gestern stets die Partien eröffnet und dann verloren. Dafür bewegte ich meine Steine in die falsche Richtung. Ich spielte auf einmal mit schwarz, was mich irritierte. Ay, Konzentration jetzt, zum Teufel(berger). Ich gewann. Und dann nochmals. Dann verlor ich knapp. Dann gewann ich wieder. Das Kräfteverhältnis war nun ausgeglichen. Und die theoretische Liebe zu Backgammon begann sich in der Praxis zu festigen.

Unterdessen baue ich das Spiel täglich auf. Meistens als Verdauungssequenz nach dem Mittag- oder Abendessen. Bis vor Kurzem hätte ich so etwas nicht für möglich gehalten: Ich entwickle eine kleine Spielsucht. Backgammon hat es geschafft. Weil das Spiel optisch schön aussieht und ruhig in meinem Sichtfeld gelagert werden darf. Weil es (unterdessen) schnell aufgebaut ist. Weil Form und Ziel des Spiels so einfach sind, die Ausführung aber dennoch komplex ist.

Ich brauche Hilfe

Abzählen muss ich noch immer, nur bei den Sechsern habe ich es langsam raus. Wenn ich verliere, dann bis jetzt meistens, weil ich zu riskant spiele. Weil ich meine Steine nicht durch doppelte Platzbelegung schütze, sondern ein paar einzeln verteile. Ich will schnell vorwärts kommen oder meinen Gegner raushauen. Aber am Ende muss ich meine Steine wieder reinwürfeln. An meinem Kalkül muss ich noch arbeiten. Oder meinen Gegner dazu bringen, noch riskantere Spielzüge zu tätigen. Und es würde wahrscheinlich helfen, wenn mir jemand von euch Backgammon-Profis diese zwei Fragen beantworten würde.

1. Was sind meine Zieh-Möglichkeiten bei einem Pasch und wie muss ich dabei zwischenhalten können?

2. Kann mein Gegner, sofern er das Spiel nicht eröffnet hat, am Ende nachziehen und so ein Unentschieden erreichen?

3. Kann ich mit einem Stein einen gegnerischen raushauen und dann mit demselben Stein weiterfahren?

Was muss ich hier beachten?
Was muss ich hier beachten?

Ich danke schon im Voraus. Bis im Frühling muss ich meinen Laienstatus abgelegt haben, denn ich habe einen Spielertraum. In dem schwelge ich immer wieder in ruhigen Momenten. Ich träume von wärmeren Temperaturen, denke an grüne Bäume und blühende Blumen, während sich ein kühler Schauder über meinen Körper legt. Die Heizkörper müssten entlüftet werden. Doch deswegen träume ich nicht vom Frühling. Ich träume von ihm, weil ich dann mein Backgammon unter den Arm klemmen und damit raus in den Park oder ein Café kann. So wie die alten weisen Männer in der Türkei.

Nicht das Spiel, das ich habe, aber auch schön und hochwertig.

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Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.


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