Die virtuellen Treppen Hong Kongs
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Die virtuellen Treppen Hong Kongs

Treppen. Hong Kong. VR. Ein eigenartiger Mix. Doch was eingangs seltsam klingt, erlaubt kleine Einblicke in die Kultur einer Stadt, die dicht besiedelt ist und wirtschaftlich steil aufwärts strebt. Hinter der Kamera: Nicolas Büchi. Ich habe mit ihm gesprochen.

«Ich war in Hong Kong und habe Treppen mit VR Equipment gefilmt», sagt Nicolas Büchi, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und Interaction Designer. Es gebe nun eine Serie 360-Grad-Videos, die das Leben auf Treppen in der autonomen Region der Volksrepublik China zeigen. Wie seltsam. Die Recherche ins Thema macht das Projekt nicht minder seltsam, aber eines ist unbestritten: Das Projekt Büchis ist faszinierend. Der technologische Aspekt ist einfach erklärt, das Resultat nicht.

Das Videoprojekt mit dem Namen «A Proximal Visit» ist auch nach den Dreharbeiten nicht weniger seltsam und faszinierend. «Die Aufnahmen sind von so grossem Wert, dass die Hong Kong Polytechnic University sie als Primärquelle aufgenommen hat».

Einer solchen Story muss ich auf den Grund gehen. Weil so viel Seltsames ist mir in einem Mail selten untergekommen.

Das Setup

Mit einer regulären 3D-Kamera war es für Büchi und sein Team während den Dreharbeiten im vergangenen Jahr nicht getan. Sie haben also keine Samsung Gear 360 oder Nikon KeyMission verwendet. Die Forscher der Universitäten Zürich und Hong Kong, die im Rahmen eines Projektes namens «Connecting Spaces» zusammengearbeitet haben, haben sich ihre 3D-Kamera mehr oder weniger selbst erfunden.

«Wir haben eine Art Würfel aus GoPros gebaut», sagt Nicolas. Die Erfindung mutet etwas komisch an, doch mit den Aufnahmen können sowohl Forscher wie auch Zuschauer zufrieden sein.

Ein GoPro-Würfel, mit dem die 360-Grad-Aufnahmen gemacht wurden

Das Resultat:

Wenn schon die Bildqualität weit über dem liegt, was kommerzielle 360-Grad-Kameras hinkriegen, dann muss der Sound mithalten können. Dazu haben die Forscher auf Sennheiser-Produkte gesetzt. Namentlich auf das Mikrofon mit dem klingenden Namen Ambeo VR. Zur späteren Ansicht hält dann das Samsung Galaxy S8+ in einer VR-Brille her.

GoPro Hero 4 Black Edition (30p, Bluetooth, WLAN)
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Samsung Galaxy S8+ (64 GB, Midnight Black, 6.20", Single SIM, 12 Mpx, 4G)
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«Das Mikrofon war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch ein Prototyp», sagt Nicolas. Der Hersteller habe die Filmemacher kurzerhand als Versuchskaninchen gebraucht und ihnen ein Vorabmodell ausgehändigt.

Moment mal… Treppen?

Das Setup ist zwar faszinierend, aber weit spannender an der ganzen Sache ist das Thema. Weil Treppen, Hong Kong und ZHdK sind ein sonderbarer Mix. Darauf angesprochen lacht Nicolas. Wohl nicht das erste Mal, dass er mit Irritation gegenüber seinem Projekt zu tun hat.

«Treppen sind in Hong Kong der letzte grosse Freiraum», sagt er.

Klar, Hong Kong habe auch Parks, aber diese unterlägen strikten Regelungen und Gesetzen. Obwohl die Grünflächen in der Sieben-Millionen-Stadt gut gepflegt seien und schön aussähen, sei die Erholung da unmöglich. Also müssen andere nicht kommerzielle Räume zum Zwecke der Naherholung her: Treppen. Denn in einer Stadt, die so dicht bebaut ist wie Hong Kong seien Freiräume rar. Auf einem Quadratkilometer leben 6 544 Menschen. Zum Vergleich: In der Schweiz wohnen 202 Menschen auf einem Quadratkilometer. Hong Kong hat eine Fläche von 2755 Quadratkilometern, die Schweiz 41 285. Kurz: Es ist eng in Hong Kong.

Also setzen sich Menschen auf Treppen, essen dort, schwatzen und treffen sich. Ein besonderes Spektakel ist Nicolas und seinem Team aufgefallen: «Haushälterinnen aus den Philippinen und allen anderen Ecken der Welt treffen sich an ihrem freien Tag auf Treppen und verschicken Päckchen in die Heimat». Die Pöstler Hong Kongs haben das erkannt und tauchen am Fuss der Treppe auf, wo sie die Päckli in Empfang nehmen. Aber der Pöstler unten an der Treppe steht nicht im Dienste der Post. «Das sind informelle Pöstler, also irgendwelche Leute die das selber in die Hand nehmen, halt als Business.»

Indem Nicolas mit seinem Mitarbeiter Alun Meyerhans seine GoPro-Kamerakonstruktion aufgestellt hat, hat er ein Stück Leben eingefangen, das sonst wohl kaum je dokumentiert würde.

Primärquellen aus dem Alltag

Das Projekt sollte etwas Alltagsdoku werden und dazu hat das Team um Nicolas noch eine Kunstperformance mit dem lokalen Komponisten Alain Chiu geplant. Ich verstehe zwar nicht, was mir die Performance sagen will, aber ich habe das Video dreimal angesehen und habe immer wieder andere Akteure verfolgt. Es mag zwar unverständliche Kunst sein, aber faszinierend ist das Video allemal.

Mit der Faszination für die Stufen in Hong Kong stehe ich nicht alleine da, auch wenn ich nicht erwartet hätte, dass mich sowas jemals faszinieren würde. Die Universität Hong Kongs hat die Aufnahme in ihr Archiv aufgenommen. Als Primärquelle für ihre Forschungsarbeit. «Eines der grössten Hindernisse beim Dreh war, dass wir mit einem Kamera- und Mikrofonkonstrukt unauffällig filmen wollten», sagt Nicolas. Dies scheint ihm gelungen zu sein, denn nur selten blickt eine Haushälterin oder ein Passant direkt in die Kamera. Das trotz der Tatsache, dass VR in Hong Kong noch nicht wirklich ein Thema sei und so ein Kamerawürfel bestimmt bemerkenswert sei.

Um unbeobachtete Minuten zu finden haben die Forscher 14 Tage lang gedreht, auch wenn die fertigen Videos je ein Take sind. «Die Post-Production dauerte aber dann etwas länger. So etwa zwei Monate», fügt Nicolas an. Die Videos seien dahingehend wichtig, dass den Forschern genau dieser Aspekt – das unbearbeitete Leben – noch fehle. «Es gibt in den Archiven der Uni Hong Kong eine Menge Aufzeichnungen über Treppen. Da sind Zeichnungen und Fotos aber Videos haben noch gefehlt.»

Wenn auch du die Treppen mit einer VR-Brille sehen willst, dann kannst du das mit deiner VR-Brille auf der Website des Projekts tun. Solltest du aber keine VR-Brille haben und Nicolas ein paar Fragen stellen willst, dann kannst du das am Genfer Filmfestival Tous Écrans zwischen dem 3. Und 11. November 2017. Denn dann stellen Nicolas und sein Team die Videos aus.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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