
Kritik
«Ne Zha 2»: Ein chinesischer Koloss rollt an
von Luca Fontana
Alles an diesem Film schreit: Marketing. Irgendwann schreit man trotzdem mit. «F1: The Movie» ist ein Paradebeispiel dafür, wie Blockbuster-Kino gleichzeitig berechnend und berauschend sein kann – wenn es nur gut genug gemacht ist.
Keine Sorge: Die folgende Filmkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist. «F1: The Movie» läuft ab dem 26. Juni im Kino.
Es ist ein verdammtes Wunder, dass dieser Film überhaupt existiert: Zwei Jahre lang reiste ein Filmteam mit dem Formel-1-Zirkus um die Welt. Brad Pitt fuhr echte Boliden auf echten Strecken, umgeben von echten Weltmeistern in echten Paddocks. Das alles als Teil eines fiktiven Rennstalls mit eigener Box und eigenem Rennauto – ein Formel-2-Bolide übrigens, aber von Mercedes so modifiziert, dass er fast wie ein Formel-1-Auto aussieht.
Möglich gemacht hat das Liberty Media, die Rechteinhaberin und neue Macht hinter der Formel 1. Sie will aus einem elitären, europäisch dominierten Sport ein globales Entertainment-Produkt mit Netflix-Serien und F1-Rennen in immer exotischeren Ländern formen – und jetzt eben mit diesem Film.
Ob das noch Kino ist?
In seinem Kern erzählt der Film eine Geschichte, die wir schon hundertmal gesehen haben, aber immer noch bestens funktioniert: Brad Pitt spielt darin den alten Haudegen Sonny Hayes, der einst gegen Legenden wie Senna, Prost und Schumacher fuhr, bis er nach einem tragischen Unfall von der Bildfläche verschwand. Jetzt, 30 Jahre später, kehrt er zurück, um einem jungen und erfolglosen Team mitsamt talentiertem, aber hochnäsigem Rookie auf die Sprünge zu helfen.
… und um sich selbst was zu beweisen. Irgendwie. Oder so.
Die Story kommt dir bekannt vor? Kein Wunder. «Top Gun: Maverick» erzählte vor drei Jahren die haargenau gleiche Geschichte. Einfach mit Düsenjets statt Formel-1-Autos. Der Film feierte damals nicht nur finanziell immense Erfolge, sondern wurde auch von Kritikerinnen und Publikum gleichermassen als Blockbuster-Kino gefeiert, das mehr ist als nur hohle Hülle. Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb man mit Joseph Kosinski eben jenen Regisseur für den F1-Film verpflichtet hat, der damals auch «Maverick» inszenierte.
Kein Wunder: Kosinski ist nunmal ein Architekt der Immersion. Er denkt in Perspektiven und in Bewegung. Schon in «Top Gun: Maverick» bestand er darauf, dass Tom Cruise wirklich in der Luft sitzt – und die Kamera sieht, wie sich sein Gesicht unter G-Kräften zur grotesken Fratze verzieht. Jetzt tut er dasselbe mit Brad Pitt, der im Cockpit eines umgebauten Formel-2-Boliden nicht so tut, als ob, sondern wirklich fährt.
Keine Doubles. Kein Greenscreen. Alles echt, bestätigt sogar Produzent und siebenfacher F1-Weltmeister Lewis Hamilton – und genau das sieht man.
Das Ergebnis ist kein Sportfilm, der Rennen simuliert. Sondern einer, der dich mitten hinein schleudert. Die Kamera klebt am Cockpit, dicht an Pitt, und zeigt Muskelarbeit. Zeigt, wie sich sein Körper gegen die Fliehkräfte stemmt. Wie sein Kopf bei jedem Einlenken hin- und hergerissen wird. Das Visier zuckt. Der Atem geht flach. Dann blickt Pitt über das Lenkrad, und wir sehen aus seiner Ego-Perspektive, wie sich die Boliden durch enge Schikanen jagen, Rad an Rad.
Zentimeterarbeit bei 300 Sachen.
Selbst im Kino wirkt das absurd real. Vor allem, wenn Pitts Sonny Hayes nach einem heissen Manöver an Verstappens Red Bull vorbeizieht – live gefilmt, mitten im Rennbetrieb – und der ihm, ganz wie auf der echten Strecke, mit einem vielsagenden Handzeichen ordentlich die Meinung geigt.
«Yep, I deserved that one», kommentiert Sonny dann schelmisch.
Ich weiss, wie kalkuliert das alles ist. Ich sehe die Agenda hinter diesem Film, das Branding, die Strategie. Ich spüre das testosteron-geladene Marketing, das mit jeder Kamerafahrt mitschwingt. Und doch – ich sitze da, spüre den Puls, bin mittendrin. Nicht blind, nicht naiv, aber emotional erreicht. Warum? Das habe ich mich auch gefragt. Bin ich wirklich nicht besser als das?!
Denn eigentlich ist hier alles zu sauber. Zu perfekt. Sonny Hayes ist kein Mensch mit Widersprüchen, sondern eine Image-Kampagne auf zwei Beinen. Ein taktisches Genie, ein charismatischer Mentor, ein rebellischer Freigeist und ein höchst attraktiver, leidenschaftlicher Fahrer – ach ja, und Karten mischen kann er auch noch ziemlich gut. Seine grösste Schwäche ist höchstens seine Arroganz. Aber selbst die hat Charme.
Fast schon meine ich, Pitts Cliff Booth aus «Once Upon a Time in Hollywood» hätte das Genre gewechselt.
Auch die Formel 1 selbst bekommt keinen Kratzer ab. Natürlich tut sie das nicht. Sonst hätte Liberty Media wohl kaum ihre Lizenz hergegeben. Da ist also kein Doping, da sind keine Intrigen und schon gar keine moralischen Grauzonen. Nur glitzernde Paddocks, loyale Rivalen, Kommentatoren, die sogar das Offensichtliche erklären, damit auch ja alle verstehen, was gerade passiert («This is not where you want to be – last place.») und motivierende Boxenfunksprüche. Es ist, als ob niemand anecken darf. Nicht die Figuren, nicht der Sport, nicht der Film.
Und trotzdem. Trotzdem funktioniert es.
Denn was Kosinski auszeichnet, ist nicht das Rad neu zu erfinden – sondern es verdammt gut zum Rollen zu bringen. Seine Filme leben von altbewährten Strukturen, die eigentlich viel zu vorhersehbar sind, um noch zu funktionieren. Und tun’s dann doch. Kosinski nimmt diese Strukturen nun mal ernst. Er überzeichnet seine Figuren nicht, sondern gibt ihnen Raum. Und statt das Tempo um jeden Preis zu forcieren, interessiert er sich wenigstens für die Dynamik zwischen seinen schablonenhaften Charakteren.
Wie schon in «Top Gun: Maverick» ist also auch hier alles da, was man erwarten würde: der Comeback-Plot, der junge Rivale und natürlich die heroische Flugkurve – pardon, Rennkurve. Doch dazwischen blitzen Szenen auf, die überraschen. Kein grosses Drama, kein Seelenstriptease. Aber Momente, die dann eben doch hängen bleiben, weil sie nicht versuchen, mehr zu sein, als sie sind.
Kosinski versteht nämlich, dass ein Film nicht tiefgründig sein muss, um ehrlich zu sein. Schon gar kein Blockbuster-Film mit dieser visuellen Extravaganza. Zweieinhalb Stunden dauert sie. Keine einzige Sekunde davon habe ich mich gelangweilt. Auch dank Hans Zimmers treibender Filmmusik. Das spricht alles für den Film – oder aber ich bin einfach genau der Typ Zuschauer, den Liberty Media sich gewünscht hat: Einer, der zweifelt, aber trotzdem mitfiebert.
Touché, schätze ich.
Eigentlich dürfte es diesen Film gar nicht geben. Schon gar nicht so. Nicht inmitten echter Rennwochenenden, nicht mit Brad Pitt im modifizierten Formel-2-Boliden und schon gar nicht als elftes Team mitten im Paddock. «F1: The Movie» ist ein Produkt – klar. Ein trojanischer PR-Coup und globales Marketingvehikel, mit dem Liberty Media noch die letzten Zweifelnden in den Fan-Tunnel schubsen will. Das spüre ich.
Aber verdammt, ich spüre auch das andere: die Kraft dieses Films. Die Sogwirkung. Die Bilder. Die Nähe. Die Eleganz, mit der Joseph Kosinski ein dramaturgisch erwartbares Sportler-Märchen in ein audiovisuelles Spektakel verwandelt, das fast zu gut inszeniert ist, um wahr zu sein. Natürlich gibt’s Klischees. Natürlich weiss man schon früh, wohin die Reise geht. Trotzdem: Man fiebert mit. Man fliegt mit. Man fährt mit. Ich zumindest.
Für kritische Geister mag das zu weichgezeichnet sein. Zu glatt, zu poliert. Für mich ist es vor allem eines: grosses, immersives Blockbuster-Kino. Klar, ich könnte für die Klischees, die glatten Figuren und die dramaturgische Vorhersehbarkeit auch nur vier oder gar drei Sterne geben. Aber ganz ehrlich? Das ist meine Filmkritik. Also bestimme ich die Sterne. Und ich sage: So einen irre authentischen Film wird es im Rennsport kein zweites Mal geben. Und er war leider geil. Also scheiss drauf.
Fünf Sterne. Punkt.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»