Fünf Höhe- und Tiefpunkte aus meinem Grümpelgestell
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Fünf Höhe- und Tiefpunkte aus meinem Grümpelgestell

David Lee
30.12.2021

Mein Büchergestell ist ein hässliches, veraltetes Sammelsurium. Doch dafür gibt's gute Gründe. Eine Bestandsaufnahme, eine Rechtfertigung und fünf besondere Bücher.

Ich bin nicht stolz auf mein Büchergestell. Optisch ist es etwa so attraktiv wie ein Zeh mit Nagelpilz – ich erspare dir den Anblick des gesamten Möbels. Der Ikea-Billy war schon neu keine Augenweide, jetzt ist er völlig vergilbt. Die Bücher sind ausgebleicht. Die Buchrücken, die ständig dem Licht ausgesetzt sind, haben eine ganz andere Farbe als die Buchdeckel. Neidisch schiele ich auf das durchgestylte Schmuckstück von Natalie.

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Andererseits: Auf die inneren Werte kommt es an. Ich sitze ja nicht ständig auf dem Sofa, betrachte mein Büchergestell und denke: Hach, wie schön bist du, o mein Gestell, es macht mich so glücklich, dich zu sehen. Auch die Bücher selbst müssen nicht schön aussehen. Was zählt, ist der Inhalt.

Leider steht es auch damit nicht zum Besten. Die meisten Bücher sind 20 Jahre alt oder älter und entsprechen nicht meinen heutigen Vorlieben. Zu allem Übel sind viele Dinge auf diesem Gestell gar keine Bücher. Ordner, Zeitschriften, Fotoalben, Musik-CDs, Software-DVDs, Schallplatten, Spulentonbänder. Auch vieles, das nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit einem Buch hat: ein Thermometer, Schlümpfe, alte Digicams, in einen schwarzen Abfallsack verpackte alte Tastaturen, Gesellschaftsspiele, ein mit einem 3D-Drucker erzeugtes Modell von mir selbst, ein Macintosh SE/30 von 1987, eine Backup-Festplatte, die Verpackung meiner neusten Computermaus, ein Wecker von 1950.

Wer sagt, dass in einem Büchergestell Bücher stehen müssen?
Wer sagt, dass in einem Büchergestell Bücher stehen müssen?

Wie konnte das passieren? Während der Gymi- und Studienzeit musste ich viele Bücher kaufen. Nicht wenige davon haben mich geprägt oder zumindest einen Erinnerungswert. Deshalb werfe ich sie nicht weg, auch wenn sie noch so hässlich sind.

Hässlich, aber erinnerungswürdig: selbstgeschriebener Klappentext zu Émile Zolas «Thérèse Raquin», das wir im Französischunterricht lesen mussten.
Hässlich, aber erinnerungswürdig: selbstgeschriebener Klappentext zu Émile Zolas «Thérèse Raquin», das wir im Französischunterricht lesen mussten.

Heute kaufe ich viel weniger Bücher. Wörterbücher und andere Nachschlagewerke brauche ich gedruckt nicht mehr, viele Bücher kaufe ich als E-Book. Ausserdem habe ich heute weniger Zeit zum Lesen, und wenn doch, schlafe ich nach fünf Seiten ein.

Ohnehin fühle ich mich wohler mit wenig physischem Besitz. Das liegt an den Erfahrungen, die ich als junger Erwachsener gemacht habe. Ich bin sehr oft umgezogen, dann werden Bücher zur Last. Und auch Möbel. Meist hätte ich sowieso keinen Platz gehabt für weitere Möbel. Darum ist mein Büchergestell auch mein CD-, Hobby- und Büro-Gestell.

Nun aber endlich zum Inhalt. Ich picke ein paar Highlights heraus.

Mein grösstes und schwerstes Buch

Der Fotoband «Eden» von Art Wolfe ist 29x36,5 Zentimeter gross und 3788 Gramm schwer. Ihn habe ich in neuerer Zeit angeschafft, als ich mich gefragt habe, bei welchen Büchern ein gedrucktes Buch besser ist als ein E-Book. Ich kam zum Schluss: Fotobücher müssen gross und gedruckt sein. Die will ich nicht auf dem Tablet anschauen.

Die Küchenwaage beweist: Der Brocken ist fast vier Kilo schwer.
Die Küchenwaage beweist: Der Brocken ist fast vier Kilo schwer.

Mein ältestes Buch

Das älteste Papier in meinem Gestell ist von 1933 und heisst «Kleines Handbuch der Musik». Es ist eine Art Lexikon, wobei der Autor seine persönliche Sicht als absolute Wahrheit darstellt. Der Eintrag zu Tanzmusik zeigt, wie selbstverständlich damals Rassismus und Überheblichkeit waren.

Jazz-Musik sei fragwürdig bis widerwärtig und biete nichts, was man in Europa nicht auch schon kennen würde. Meint der Bescheidwisser von 1933.
Jazz-Musik sei fragwürdig bis widerwärtig und biete nichts, was man in Europa nicht auch schon kennen würde. Meint der Bescheidwisser von 1933.

Mein klügstes Buch

Den grössten Erkenntnisgewinn bescherte mir Understanding Intelligence, ein Werk meines ehemaligen Informatikprofessors Rolf Pfeifer und seinem Kollegen Christian Scheier. Warum können sich Ameisen trotz winziger Gehirne dermassen gut organisieren? Warum kann dagegen ein Roboter, der viel schneller rechnen kann als jeder Mensch, nicht mal ein Glas Bier einschenken? Es hat damit zu tun, dass Intelligenz nur zusammen mit dem Körper verstanden werden kann. Dass man zuerst die natürliche Intelligenz verstehen muss, bevor das mit der künstlichen etwas werden kann. Heute sind diese Erkenntnisse Standard: KI wird fast nur noch mit neuronalen Netzen und nicht mehr mit Wissensdatenbanken und Formeln betrieben.

Mein dümmstes Buch

Den geringsten Erkenntnisgewinn liefert das MAD-Taschenbuch «Bescheuerte Antworten auf hirnrissige Fragen!» Alle Cartoons darin folgen dem Motto «Frag nicht so doof». Jemand fragt zum Beispiel «Gehst du nach draussen?», wenn die andere Person in Stiefeln und Winterjacke an der Haustür steht. Antwort: «Nein, jemand hat seinen Kaugummi auf dem Türknauf vergessen und meine Hand klebt daran fest.» Die einzige Erkenntnis des Buches: Es gibt sehr wohl dumme Fragen.

Mein lustigstes Buch

Valley of The Far Side von Gary Larson. Ein Buch, das ich mit 45 immer noch gleich lustig finde wie mit 18, muss einfach gut sein. Ist übrigens ein gutes Geschenk, falls du deine Weihnachtsgeschenke 2022 ausnahmsweise mal frühzeitig besorgen willst.

Chaotisch, chronologisch, alphabetisch; nach Farben, nach Grösse, nach Stimmung; geografisch, autobiografisch, thematisch. Jede:r hat eigene Vorstellungen, wie ein Bücherregal eingeräumt zu sein hat. Wir Redaktor:innen von Digitec Galaxus zeigen dir unsere Regale. Als Nächstes: Simon Balissat.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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