Haben Kompaktkameras eine Zukunft?
Meinung

Haben Kompaktkameras eine Zukunft?

David Lee
11.8.2020

Auf den ersten Blick sind Kompaktkameras am Ende. Die Zukunft gehört den Smartphone-Kameras – richtig? Nicht unbedingt: Die Zukunft kann anders aussehen als die Gegenwart. Es kommt drauf an, wo in den nächsten Jahren investiert wird.

Smartphones haben Kompaktkameras fast vollständig verdrängt. Übrig geblieben sind ein paar Nischen: Unterwasser- und Actionkameras, Kameras für Kinder, die noch kein Smartphone haben, Kameras mit viel Zoom und ein paar High-End-Kompaktkameras, die mehr können als ein Smartphone.

Olympus Tough TG-6 (25 - 100 mm, 12 Mpx, 1/2,3'')
Kamera

Olympus Tough TG-6

25 - 100 mm, 12 Mpx, 1/2,3''

Nikon Coolpix W150 Orange (30 - 90 mm, 13.20 Mpx, 1/3.1")
Kamera

Nikon Coolpix W150 Orange

30 - 90 mm, 13.20 Mpx, 1/3.1"

Panasonic Lumix TZ81 (4.3 - 129 mm, 18.10 Mpx, 1/2,3'')
Kamera

Panasonic Lumix TZ81

4.3 - 129 mm, 18.10 Mpx, 1/2,3''

Olympus Tough TG-6 (25 - 100 mm, 12 Mpx, 1/2,3'')

Olympus Tough TG-6

25 - 100 mm, 12 Mpx, 1/2,3''

Nikon Coolpix W150 Orange (30 - 90 mm, 13.20 Mpx, 1/3.1")

Nikon Coolpix W150 Orange

30 - 90 mm, 13.20 Mpx, 1/3.1"

Panasonic Lumix TZ81 (4.3 - 129 mm, 18.10 Mpx, 1/2,3'')

Panasonic Lumix TZ81

4.3 - 129 mm, 18.10 Mpx, 1/2,3''

Völlig verschwunden sind die ehemals so verbreiteten, simplen Knipser. Auf Englisch heissen sie treffend «point and shoot cameras» – draufhalten und abdrücken, mehr musst du bei diesen Geräten nicht tun. Das ist heute das Einsatzgebiet einer Smartphone-Kamera. Die hast du sowieso dabei. Warum zwei Geräte mitnehmen, wenn eines reicht? Smartphone-Kameras sind für Schnappschüsse gut genug. Und für besondere Anlässe nimmst du lieber die grosse Kamera zur Hand. Kompaktkameras fallen zwischen Stuhl und Bank.

Dabei wäre eine Kompaktkamera vom Formfaktor her perfekt. Durch die physischen Räder und Tasten lässt sie sich viel besser und effizienter bedienen als ein Smartphone. Und du trägst sie lieber mit dir herum als ein grosses Gerät samt Objektivpalette.

Mit anderen Worten: Wären Kompaktkameras gleich gut wie die grossen Kameras, würden sie die meisten Leute bevorzugen. Aber ist das überhaupt möglich?

Miniaturisierung braucht kleine Sensoren

Der technische Fortschritt führt dazu, dass Dinge immer kleiner gebaut werden können. Am klarsten sehen wir das bei Computern, die von Wohnzimmergrösse auf Millimetergrösse geschrumpft sind und nebenbei eine milliardenfach höhere Leistung bringen. Aber auch bei den Kameras hat im Lauf der Geschichte eine eindrückliche Miniaturisierung stattgefunden.

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Hier kommt aber gleich der erste Einwand: Die Miniaturisierung ist nur möglich mit kleinen Sensoren. Flache Geräte wie Smartphones können physikalisch bedingt keinen grossen Sensor haben, denn der Abstand zur Linse – also die Brennweite – muss in einem sinnvollen Verhältnis zur Sensorgrösse stehen. Auch eine Kompaktkamera sollte natürlich einigermassen flach sein. Das braucht einen kleinen Sensor und kleine Sensoren liefern keine so gute Bildqualität wie grosse.

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Zwar gibt es Kompaktkameras mit grossen Sensoren – zum Beispiel die Ricoh GR III. Damit das Objektiv ebenfalls flach bleibt, muss dieses jedoch eine Weitwinkel-Brennweite haben. Eine Kompaktkamera mit grossem Sensor und Teleobjektiv geht nicht. Bei Systemkameras ist es genau gleich. Viele Systemkameras sind sehr kompakt – aber nur, solange du kein Teleobjektiv anschraubst.

Gute Qualität und kleine Sensoren sind kein Widerspruch

Schaust du dir die Bildqualität von aktuellen Top-Smartphones an, besteht kein Zweifel, dass sich auch mit kleinen Sensoren eine gute Bildqualität erreichen lässt. Auch im Dunkeln.

Huawei P30 Pro, Bild: Dominik Bärlocher
Huawei P30 Pro, Bild: Dominik Bärlocher

Möglich wird das durch Fortschritte in der Sensortechnologie, durch lichtstarke Objektive, aber vor allem durch Software-Tricks. Einige dieser Tricks haben Kompaktkameras heute schon drauf, andere könnten sie in Zukunft übernehmen.

Die Eigenschaften des Sensors sind dabei immer noch wesentlich schlechter als bei einer grossen Profikamera. Aber das fällt in den meisten Situationen nicht mehr auf. Die Sensorgrösse einer guten Kompaktkamera liegt zwischen Smartphone und Profikamera. Mit diesen Grössen müsste theoretisch eine Bildqualität zu erreichen sein, die für fast alle Zwecke gut genug ist.

Können Kompaktkameras auch Software-Tricks anwenden?

Smartphones arbeiten unter anderem mit Mehrfachaufnahmen, um die Qualität zu verbessern. Zum Beispiel wird das gleiche Bild mehrfach mit verschiedener Belichtung aufgenommen, um sowohl die hellen als auch die dunklen Partien detailliert abzubilden. Das Ganze wird automatisch zu einem HDR-Bild zusammengerechnet.

Auto-HDR bei der Sony RX100 III
Auto-HDR bei der Sony RX100 III

Das ist ein relativ alter Trick, den auch Kompaktkameras schon lange beherrschen. Das Gleiche gilt für Mehrfachaufnahmen, die das Bildrauschen eliminieren. Dieses Feature hatten einige Kompaktkameras schon vor dem Siegeszug der Smartphones.

Allerdings sind Smartphones bei den Software-Tricks viel weiter. Was Huawei mit dem Night-Shot-Modus oder Google mit Night Sight hinkriegt, davon sind Kompaktkameras weit entfernt. Es ist eine Kombination aus Rauschentfernung, Auto-HDR und Eliminieren von Zitterbewegungen durch die Aufnahme ohne Stativ.

Diese Aufnahme hat Jan Johannsen bei seinem Test des OnePlus 8 Pro gemacht, ohne Stativ.

Ein kleiner Sensor hat eine grosse Tiefenschärfe. Bei Makroaufnahmen ist das ein Vorteil, bei Porträts weniger – der Hintergrund stört oft, wenn er genauso scharf ist wie der Vordergrund. In Smartphones gibt es daher die Funktion der künstlich errechneten Hintergrundunschärfe. Mit einer Zweitkamera – oder im Fall von Google Pixel mit einem speziellen Fotosensor – wird die Distanz einzelner Objekte im Bild eruiert. Objekte, die weit vom Fokuspunkt entfernt sind, werden so künstlich unscharf gestellt.

Huawei P30 Pro, Bild: Karlis Dambrans, https://www.flickr.com/photos/janitors/33595143728/
Huawei P30 Pro, Bild: Karlis Dambrans, https://www.flickr.com/photos/janitors/33595143728/

Auch Kompaktkameras können nur sehr begrenzt echte Hintergrundunschärfe produzieren. Doch was spricht dagegen, auch bei einer Kompaktkamera eine kleine Zweitkamera einzubauen? Ein mögliches Hindernis könnte die Rechenleistung sein – und dass die Kamerahersteller (noch) nicht über das nötige Know-how verfügen.

Was wäre, wenn Huawei eine Kompaktkamera herausbringt, mit den gleichen KI-Möglichkeiten wie das P40 Pro? Kompaktkameras könnten so viel besser sein, wenn in die Forschung und Entwicklung ähnlich viel investiert würde wie bei den Smartphone-Kameras.

Das beste aus zwei Welten

Kompaktkameras könnten viel mehr von den Smartphone-Entwicklungen profitieren, als sie es im Moment tun. Aber da es sich nicht um die gleichen Konzerne handelt, bleibt das Know-how der Smartphone-Hersteller den Kameraherstellern weitgehend verschlossen. Die beiden Welten überlappen sich nur wenig, am ehesten noch bei Sony. Nicht nur, weil Sony auch Smartphones herstellt, sondern weil Sony Fotosensoren für Smartphones baut und entwickelt. Zum Beispiel den RYB-Sensor vom Huawei Pro P40. Der verwendet Gelb statt Grün im Bayer-Farbfilter, was mehr Licht durchlässt. Ebenfalls von Sony stammt ein «intelligenter» Sensor, der selbstständig Motive erkennt und damit den Prozessor entlastet. Solche Errungenschaften könnten rein technisch gesehen auch in Kompaktkameras verwendet werden.

Gleichzeitig profitieren Kompaktkameras schon heute von Entwicklungen im Profi-Kamera-Bereich. Auch dort geht es immer mehr um Rechenleistung, Software und Künstliche Intelligenz. Etwa bei der Motivverfolgung des Autofokus. Sony hat in der RX100 VII die Autofokustechnologie der Profikamera Sony Alpha 9 eingebaut. Diese Kamera ist unglaublich schnell, schneller als die meisten grossen. Auch Bildprozessoren werden oft für kleinere Kameras übernommen.

Wie realistisch ist das?

Kompaktkameras hätten ein riesiges Potenzial, aber es wird im Moment nicht ausgeschöpft. Die Umstände passen nicht.

  • Für die Kamerahersteller ist es riskant, eine Killer-Kompaktkamera zu entwickeln. Da ihnen das Know-how der Software-Tricks nur teilweise zur Verfügung steht, müssten sie viel Forschung in eine Geräteklasse stecken, die zurzeit kaum Gewinn abwirft. Mit einer Kompaktkamera, die so gut ist wie die Grossen, würden sie zudem ihr eigenes Systemkamerageschäft in Gefahr bringen.
  • Die Smartphone-Hersteller scheinen bislang kein Interesse daran zu haben, in den am Boden liegenden Kompaktkameramarkt einzusteigen. Zumal auch sie ein Problem mit fehlendem Know-how hätten. Firmen wie Canon oder Nikon haben jahrzehntelang an ihren Bedienkonzepten getüftelt und sie optimiert. Das holen die Smartphone-Hersteller nicht mit einem Fingerschnipp auf. Zudem bräuchten sie einen Partner, der hochwertige Objektive herstellt.
  • Die Kamerahersteller könnten auch mit den Möglichkeiten, die sie jetzt haben, bessere Kompaktkameras bauen. Sie tun es wohl aus strategischen Gründen nicht. Beispiel: Die Sony RX100 VII ist zwar ein klares Bekenntnis zu Qualität und hat professionelle Features, aber die Robustheit ist überhaupt nicht auf Profi-Niveau. Für eine so teure Kamera geht sie zu schnell kaputt.

Auf rein technischer Ebene sehe ich vor allem das Hindernis, dass die Kameras viel mehr rechnen müssten. Sie bräuchten viel stärkere Akkus als momentan üblich und ein Prozessor, der sich nicht überhitzt.

Trotzdem sind die grössten Probleme nicht technischer, sondern strategischer Natur. Die kleinen Kameras befinden sich in einer Negativspirale. Weil wenig Leute Kompakte kaufen, wird wenig in ihre Entwicklung investiert. Als Folge davon kaufen noch weniger Leute Kompaktkameras und die Entwicklung wird noch weiter zurückgefahren.

Es scheint, als müssten wir uns noch länger auf die gloriose Rückkehr der Kompaktkameras gedulden. Falls sie überhaupt kommt. Aber die Tech-Welt hat mich schon oft überrascht. In diesem Fall wäre eine Überraschung sehr willkommen.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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