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Huawei Developer Day: Huawei macht alles neu, ausser der Kommunikations­strategie

Der Huawei Developer Day in Lissabon hat Hoffnungen geweckt. Sagt Huawei endlich etwas über die Google-Affäre? Wie geht es mit dem chinesischen Unternehmen weiter? Huawei hat zwar in die Karten blicken lassen, aber die grossen Fragen bleiben offen.

Huawei sieht sich aktuell als Hersteller von Smartphones in einer verzwickten Lage. Nachdem die USA das chinesische Unternehmen auf die sogenannte «Entity List» gesetzt haben, ist es US-amerikanischen Firmen verboten, mit Huawei Geschäfte zu machen. Sicherheits- und Spionagebedenken führen die USA als Begründung an, wider jeder Beweislage. «Man weiss ja nie...» scheint derzeit die vorherrschende Theorie zu sein, weshalb die versprochenen Ausnahme-Handelslizenzen auf sich warten lassen. Laut jüngsten Berichten sollen sie «very shortly» gesprochen werden.

Huawei muss handeln, denn irgendwie muss es weitergehen. Daher ist die Einladung nach Lissabon, Portugal, an den Web Summit Pflichttermin. Nur, dass der Web Summit nicht das Highlight ist, sondern der Huawei Developer Day, der am Rande des Web Summits in einem kleinen, düsteren Raum auf dem offiziellen Messegelände stattfindet.

Der Wissensstand vor dem Developer Day in Kürze

Vor dem Developer Day wissen die Anwesenden Journalisten und Developer wenig: Huawei fördert derzeit den eigenen App Store, App Gallery genannt. Denn der Konzern darf die Google Mobile Services, die Android mit der weiteren Welt verbinden, nicht mehr verwenden. Android hingegen schon, da es ein per Definition offenes Betriebssystem ist. Android kann ohne Google Mobile Services funktionieren, das aber nicht besonders gut, da sich die Services im Laufe der Jahre als essentiell für viele Apps erwiesen haben.

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Dazu kommt, dass Huawei vor wenigen Wochen das Huawei Mate 30 Pro vorgestellt hat. Vom neuen Flaggschiff-Smartphone sind wohl grössere Mengen irgendwo an Lager und warten auf die Auslieferung. Verkaufsstart: unbekannt. Nicht nur in der Schweiz. Medien haben bereits Geräte erhalten, darunter digitec.

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Huawei hat also drei Optionen in Bezug auf das Mate 30 Pro, denn die Smartphones irgendwie an Lager verstauben zu lassen, hilft keinem. Vielleicht wird das Phone nicht der Verkaufsschlager, den sich Huawei erhofft, aber wenige Verkäufe sind rein buchhalterisch besser als gar keine Verkäufe.

  1. Das Phone auf den Markt bringen, aufs Beste hoffen
  2. Das Phone nicht auf den Markt bringen, warten bis das alternative Betriebssystem Harmony OS bereit und reif ist
  3. Aktiv das Hackertum fördern, damit die Google Mobile Services einfach nachgeliefert werden können

Die zweite Option scheint irgendwo zwischen verwegen und absurd zu liegen. Doch da muss eine Tatsache bedacht werden. Huawei macht nicht nur Smartphones oder Elektronik für Konsumenten. Das Geschäft Huaweis mit 5G-Infrastruktur boomt. Im Juni 2019 hat der Konzern bekanntgegeben, dass zwei Drittel der 5G-Netzwerke ausserhalb Chinas auf Huawei-Infrastruktur laufen. Am Web Summit hat Huawei-CEO Guo Ping dazu aufgerufen, in Punkto 5G mit Huawei zusammenzuspannen. Die Gewinner einer Zusammenarbeit seien die Partner Huaweis. Jedes dieser Netzwerke ist eine Langzeitverpflichtung und wird Huawei noch jahrelang Geld in die Kassen spülen. Das heisst, dass über den Daumen gepeilt Huawei die Fähigkeit hat, den Sturm im Smartphone-Markt zu überstehen und die zweite Option, einfach mal keine Smartphones mehr auf den Markt zu bringen, durchaus realistisch ist.

Verständlich ist, dass Huawei sich den über Jahre hinweg aufgebauten Goodwill der Kundschaft und Fans nicht verderben will. Daher fährt der Konzern eine etwas merkwürdige Kommunikationsstrategie: Zum weiteren Vorgehen wird kaum etwas gesagt, das Mate 30 ist auf unbekannt verschoben, wird aber laut unbestätigten Gerüchten aufs Weihnachtsgeschäft kommen, und die Situation mit den USA wird entweder schöngeredet oder aggressiv ignoriert. Es werden Geschichtli erzählt, die Huawei in ein möglichst gutes Licht rücken sollen, selbst wenn jeder Zuhörer weiss, dass halt eben nicht alles gut ist. Denn gar nichts ist gut.

So kann es nicht weitergehen.

Am Developer Day: Viel Werbung, wenig Information

Es sind nicht nur Endkunden, Journalisten und Fans, die auf neue Informationen aus dem Hause Huawei hoffen. Es sind auch die Developer am Web Summit, denn sie sind es, die endlich Apps und Inhalte für entweder Android (mit oder ohne Google Mobile Services) oder HarmonyOS programmieren müssen. Damit sie möglichst effizient und effektiv arbeiten können, sind sie auf Informationen angewiesen.

Die AppGallery sei das neue, coole Ding und jeder soll mitmachen, heisst es. Warum? Das sagt keiner
Die AppGallery sei das neue, coole Ding und jeder soll mitmachen, heisst es. Warum? Das sagt keiner

Informationen, die Huawei am Developer Day nicht liefert. Stattdessen gibt es die xte Wiederholung der Firmengeschichte und deren Zukunft. Fragen stellen dürfen Medienvertreter nicht.

Damit zeigt sich das grösste Problem des Events: Huawei erzählt viel über nichts statt den Developern zu sagen, wieso sie sich auf HMS einlassen sollen und welche Zeithorizonte sie erwartet. Endkunden wüssten vielleicht gerne, wann das Mate 30 Pro auf den Markt kommt. Wie lange sie Bestand haben werden. Und vor allem: Wird Huawei sobald wie möglich wieder mit Google Message Services kooperieren?

Huawei täte gut daran, uns zu erklären, warum wir eigentlich hier sind.

Die Eine-Milliarden-Dollar-Initiative

Huawei will in den Ausbau des eigenen App Stores investieren. Dafür hat der Konzern in China eine Milliarde Dollar gesprochen. Ausgegeben wird das Geld aber nicht von den Chinesen, sondern von einer Huawei-Tochter in Irland: Aspiegel. Die Firma ist seit 2015 auf dem Markt, von Huawei gegründet und hostet unter anderem die Daten deiner Huawei-ID. Die Datenzentren stehen in Deutschland und sind unter anderem mit ISO 27001 kompatibel.

Die Gelder sind in drei Fonds aufgeteilt:

  1. Development Fund: Das Anwerben von Developern, dass sie ihre Apps und Services kompatibel mit den Huawei Mobile Services machen
  2. Marketing Fund: Die Bekanntmachung der Huawei Mobile Services
  3. Growth Fund: Die Förderung des Wachstums und der Weiterentwicklung der Apps

Darunter ist eine Timeline abgebildet, aber ohne Daten. Der Link zu Aspiegels Website aspiegel.com führt zu huawei.com.

Und jetzt?

Die Huawei Ability Gallery: Konkurrenz zu Bixby und dem Google Feed

Apps im Generellen werden nur selten genutzt, heisst es auf der Bühne. Das vor einem Raum voll Developer zu sagen, ist gewagt. Doch der chinesische Konzern hat eine Lösung für das Problem der vielleicht heruntergeladenen aber nicht genutzten Apps: Die Huawei Ability Gallery.

Wenn ein Developer den Vorgaben der Huawei HMS Core Libraries folgt, dann ist es möglich, dass die Apps vollständig in die Ability Gallery integriert werden. Das bedeutet, dass sie in die Quick Access Functions des Bildschirms integriert werden, den du auf deinem Huawei Phone siehst, wenn du nach rechts wischst. Wenn du eine App entwickelst, die Taxis ruft, dann kann in der Gallery der Huawei-eigene Knopf «Taxi» erscheinen. Wenn du darauf klickst, dann öffnet sich deine App. Ein integrativerer Ansatz für Apps soll das sein.

Quick Apps sollen schneller, schlanker und einfacher zugänglich sein
Quick Apps sollen schneller, schlanker und einfacher zugänglich sein

Unter anderem müssen Developer die Kits Huaweis nutzen, die gratis angeboten werden. Noch sind die Kits nicht so vollständig wie die vom grossen Konkurrenten Google, aber einige weitere sollen bis Ende des Jahres 2019 ausgerollt werden. Dokumentiert werden sie unter anderem in den Huawei Codelabs. Ferner sollen die Features der Ability Gallery weit über den Assistant und den Feed Screen herausgehen, tief im System verankert sein und zusammenarbeiten.

Gerade hier zeigt sich, wie weit Huawei noch hinterherhinkt und wo jetzt rasant entwickelt wird. Denn bisher hatte Huawei international keinen Grund, diese Kits zu liefern. Zudem ist in China die Chance gross, dass die von Tencent entwickelte App WeChat die Funktion bereits übernimmt. WeChat ist eine App, die praktisch alles kann und im Jahr 2018 die magische Grenze von einer Millarde Nutzer pro Monat überschritten hat. Daher hat sich Huawei nur schlecht auf die Situation mit den USA vorbereitet und strauchelt jetzt. Die Ankündigungen der tiefen Integration klingen gut, spannend und nach viel Spass, aber wenn das noch nicht da ist, dann bringt das Developern nichts.

Quick Apps: Ein neues Feature der App Gallery

HMS Core wird in Europa ausgebaut. Ein Feature sind die sogenannten Quick Apps. Quick Apps sind nichts anderes als Apps, die ohne Installation benutzt werden können. Quick Apps benutzen ein Framework, das im Phone integriert ist und stellt Inhalte so dar, wie sie in einer separaten App dargestellt würden.

Besonders für Games sollen die Quick Apps – das Konkurrenzprodukt zu Googles Instant Apps – viel bringen. Mehr Leistung, weniger Last auf den Prozessor. Einer der grossen, frühen Adopter der Quick Apps ist WeChat, denn dort werden Mini-Programme als Quick Apps angeboten.

Für Developer sei die Entwicklung von Quick Apps wesentlich günstiger und schlanker als die Entwicklung einer dedizierten Android App. Die Quick Apps werden in der App Gallery angeboten und können wie normale Apps auf dem Home Screen platziert werden.

Spannend: Die Quick Apps werden für den Huawei Assistant und die Huawei Global Search wichtig werden. Mehr Details werden aber nicht bekanntgegeben.

Emui bricht aus dem Phone aus

Interessant hingegen ist, dass Huawei nicht einfach aufhört mit der Entwicklung der Android-Plattform und der Softwareoberfläche Emui. Emui soll in naher Zukunft eine Art Gateway zum Internet-of-Things werden. Auf der Bühne sagt James Lu, dass die grosse Herausforderung nicht die sei, Apps für eine Plattform zu entwickeln, sondern, dass da ein Unwille sei, für einen kleinen Markt Apps zu entwickeln. Wenn da kein Ökosystem ist, dann wird kaum dafür entwickelt. Das sei schade.

Huaweis Emui, bisher vor allem Benutzeroberfläche, soll mit HMS und dem Connectivity Kit aus dem Smartphone ausbrechen und den Zugang ins Internet-of-Things ermöglichen. Neu sollen direkte Verbindungen von Geräten mit deinem Smartphone möglich sein.

Ein Beispiel von der Bühne: Wenn du ein Foto von deiner Sony- oder Canon-Kamera auf dein Smartphone laden willst, dann machst du heute etwas in diese Richtung:

  1. App aufs Phone laden
  2. App aufsetzen
  3. Kamera in Transfer Mode setzen
  4. Die Kamera baut einen WiFi-Hotspot auf
  5. Phone vom Internet via WiFi trennen
  6. Phone mit dem WiFi-Hotspot der Kamera verbinden
  7. App starten
  8. Bilder aussuchen
  9. Bilder transferieren

Mit dem Huawei Share Kit aber soll das einfacher werden. Wenn du Apples AirDrop kennst, dann wird dir die Funktionsweise bekannt vorkommen.

  1. Bild auf Kamera aussuchen
  2. Huawei Share Button klicken
  3. Phone auswählen
  4. Auf dem Phone «akzeptieren» klicken

Ein früher Adoptierer dieser Technologie ist der Fotodruck-Service Cewe. Ist das so eine Aktion, wo der Development Fund der einen Milliarde Budget zum Tragen gekommen ist? Denn Huawei Share ist nicht neu, wird aber praktisch nicht gebraucht, da keine Geräte die Technologie wirklich unterstützen.

Das ist nur eines der Kits, die James Lu auf der Bühne vorstellt. Cast+ oder Cast Kit soll das Streaming von Inhalten beschleunigen, Drive Kit sorgt für Integration mit Cloud-Diensten und so weiter. Alle Kits sind als Plugins für das Android Developer Studio erhältlich.

Wo bleibt die Information?

Vier Stunden. So lange hat es gedauert, um obige Informationen den Developern und Medien zu überbringen. Vier Stunden PowerPoint-Präsentation mit Schreibfehlern und Layout-Problemen. Dennoch: Die ganze Sache mit dem Aufbau des Ökosystems auf Emui-Basis und die neuen Features sowie Huaweis Plan, mit Geld Entwickler auf ihre Seite zu ziehen… spannend. Sehr spannend.

Wäre da nicht der Elefant im Raum, den alle Offiziellen zu ignorieren scheinen: Wie geht das mit Google weiter? Was wird aus dem Mate 30 Pro? Wann kommt HarmonyOS? All diese Dinge lassen auf sich warten. Ausser die Erwähnung Harmonys. Ein Speaker hat das Wort tatsächlich im Kontext eines Betriebssystems in den Mund genommen.

Während der ganzen Präsentation fehlt der Grund, weshalb sich Developer und User auf das Abenteuer HMS – so interessant und vielversprechend es auch klingen mag – einlassen sollen. Und das, obwohl die ganzen vier Stunden mehr Sales Pitch waren als Informationen für Developer.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.

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