Ich liebe den Advent – aber doch nicht im Spätsommer
Meinung

Ich liebe den Advent – aber doch nicht im Spätsommer

Die letzten Sommertage ziehen durchs Land – und bei Galaxus werden Adventskalender geshoppt. Geht’s noch? Du kannst doch nicht den goldenen Herbst und den trüben November einfach überspringen und jetzt einen auf Adventsstimmung machen. Eine höchstpersönliche Wutrede.

In 99 Tagen (vom 16. September aus) ist Weihnachten – also, der 24. Dezember, sprich Heiligabend. Und nicht Weihnachten, die sind ja erst am 25. Und 26. So, genug der Haarspalterei. Jedenfalls: Ich mag Weihnachten. Und ich liebe den Advent. Ich bin zwar ein komplett unreligiöser Atheist und halte die ganze «Geburt-von-Jesus-Christus-Sohn-Gottes-Bibel-Fantasy-Story» für ausgemachten Humbug – wenn auch für grossartiges Storytelling. Aber: Der Advent und die Weihnachtstage sind für mich trotzdem eine wundervolle Zeit. Besinnliche Stimmung überkommt mich beim Anblick der ersten Weihnachtsmärkte, Guazli-Duft strömt durch unsere Wohnung, wenn wir alle zusammen backen. Gschenkli einzukaufen empfinde ich längst nicht mehr als Stress, sondern als schöne Gelegenheit, mir wieder einmal Gedanken über die Interessen, Hobbys und Leidenschaften meiner Familie und Freunde zu machen.

Das alles ist aber noch lange kein Grund, schon im September Adventskalender zu shoppen. Item. Offenbar sind Adventskalender bei Galaxus aber gerade sehr stark nachgefragt. Das mag unsere Verkäufer freuen, mich lässt es am Geisteszustand der Menschheit zweifeln.

Es ist doch noch Sommer. Und dann kommt erstmal der goldene Herbst, diese kulinarisch und modisch beste Zeit des Jahres. Und dann der trüb-nasse, graue November, der einen emotional schön runterzieht und den Grundstein legt für die anschliessende, warme, herzliche, besinnliche Adventszeit. Alle diese Schritte musst du doch gegangen sein, damit du den Advent und die anschliessenden Festtage in vollsten Zügen geniessen kann.

Ich kann doch nicht vom letzten Badi-Besuch direkt auf Weihnachten umstellen. Geht’s noch?

Neun Adventskalender aus der Produkt-Hölle

Jedenfalls hat mich der Ärger über so ein schnödes Ignorieren der für einen besinnlichen Advent notwendigen Schritte dazu gebracht, die Adventskalender bei uns im Shop anzuschauen. 682 Produkte werden mir ungefiltert angezeigt. Und versteht mich nicht falsch, ich habe durchaus nichts gegen Adventskalender. Ich befülle jedes Jahr mit viel Hingabe einen für meine Tochter und gönne mir mit meiner Frau zusammen ja auch einen – zum Beispiel mit guter Schokolade, oder einen Beer-Tasting-Kalender, oder so.

Ich scrolle also vorbei an Lego-, Playmobil-, Barbie- und Ravensburger-Kalendern, die durchaus etwas herzumachen scheinen, und stosse auch auf komplett irres Zeug. Ehrlich, welche Marketing-Fritzen sich das unter dem Einfluss welcher bewusstseinserweiternder Mittel ausdenken, kann und will ich mir gar nicht ausmalen.

«Mini Mouse-Adventskalender mit 24 hochwertigen, lizenzierten Figuren und Accessoires», ist da in der Produktbeschreibung zu lesen. Ja genau. Für knapp 30 Franken bekommst du garantiert 24 hochwertige Accessoires. «Minnie Maus hat gerne Spass, ist unabhängig und eigenständig.» Ja genau: Lila Haarspängeli, rosa Haargummis, rosa Schuhbändel, ein Plastik-Schlüsselanhänger. So eigenständig. So unabhängig. Was für ein Quatsch.

Kennst du die Ehrlich Brothers? Ich nicht, bis jetzt. Als ich deren Adventskalender Magic Ehrlich Brothers für läppische 39.80 (Stand 15. September) gesehen habe, schaute ich mir deren Youtube-Kanal an. Immerhin, 64’000 Abonnenten und einige ihrer Videos werden locker über eine Million Mal angeschaut. Gut gefüllte Fussballstadien und semi-innovative Illusionen sind da unter anderem zu sehen. Aber jetzt mal ehrlich, Brothers, 24 Zaubertricks für 40 Franken?! Das ist nicht magisch, das ist Müll.

Der absolute Schrecken aller Eltern: Ein Kalender mit 24 Slimys drin. Muss ich noch mehr sagen? Die glibberigen Dinger werden dir innert Kürze im Bad, in der Küche und im Bett die Ritzen verkleben und zu staubbedeckten Ungetümen mutieren. Um es in den Worten des früheren Weltklasse-Basketballers Dikembe Mutombo zu sagen: «Not in my house.»

So richtig versteh ich diese Adventskalender nicht. Was genau soll ich da bekommen? Ich kann nur raten, tippe aber auf 24 runde Zettel mit esoterischen Sprüchen à la Paulo Coelho.

Liebe ist, was dich lächeln lässt wenn du müde bist.
Paulo Coelho

Und gleich noch ein Kalender aus der Kategorie Persönlichkeits-Entwicklungsgeschwurbel, diesmal aber explizit für Männer: «24 ebenso kurze wie prägnante geistliche Impulse begleiten durch die Vorweihnachtszeit und fordern immer wieder dazu heraus, sich auf das Eigentliche zu besinnen.» Von wem diese Zitate wohl stammen mögen? Jordan Peterson, Donald Trump oder sonst einem Vertreter toxischer Maskulinität? Klingt jedenfalls grauenvoll.

Nicht mal bei Adventskalendern wird man heutzutage von Cat Content verschont …

Der Preis für den grössten Marketing-Bullshit in der Produktbeschreibung geht dieses Jahr an den 140 Franken teuren Farb-Papier-Kalender Weihnachtskolorit, der nichts bietet als 24 einfarbige Blatt Papier:

«Wenn die Adventszeit durch Stollen und Marzipan versüßt wird, sehnt sich der Kopf nach Klarheit. Ästheten lieben es puristisch - da kommt dieser wunderschöne, sprachkreative Adventskalender gerade recht. Jeder Tag erhält hierin eine eigene Farbe, mit Bezeichnungen, die uns immer mehr auf Weihnachten einstimmen. Das Weihnachtskolorit mit all seinen Kontrasten und bunten Schattierungen, von «kartoffelkloßgelb» über «wangenrot» bis hin zum «dreinüssebraun»: 24 Farben, die niemals verblassen und sich erfolgreich gegen jeden Zeitgeist stemmen. Stille Töne, vertraute Nuancen und ewiggleiche Farbtöne - Tag für Tag vom 1. Dezember bis zum Weihnachtsabend! Der inspirierende Abreißkalender für alle Freunde von stilvollem Design und kreativer Sprachfreude.»

Da würde es mich ja echt interessieren, nach welchem Agentur-Weihnachtsessen dieses haarsträubende Verbrechen von Werbetext entstanden ist – dreinüssebraun und kartoffelklossgelb. Also echt, mein Texter-Herz blutet.

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein

Ich gebe zu, ich habe mich zwar wirklich durch alle 682 Adventskalender durchgescrollt, aber bei weitem nicht jeden einzelnen angeklickt und mich durch alle Produktbeschreibungen gekämpft – auch meine Kräfte sind endlich. Obige Auswahl ist also sehr subjektiv und weit weg von vollständig. Aber ich glaube, es sind schon ein paar sehr exklusive Bullshit-Perlen, die ich da ausgegraben habe. Du darfst mir aber auch gern widersprechen – oder die Liste ergänzen.

Ausgelassen habe ich zum Beispiel einen Whisky-Tasting-Kalender – aus dem Jahr 2019 (was der Qualität der Whiskys kaum abträglich sein dürfte) –, oder ein Taschenmesser, das schlicht in der Shop-Datenbank falsch erfasst ist.

​​

24 Türchen bis Weihnachten ...

Welcher Adventskalender-Typ bist du?

  • Schokolade muss drin sein – jeden Tag etwas Süsses!
    15%
  • Egal was drin ist, Hauptsache Türchen und Überraschungen.
    25%
  • Der einzig wahre Adventskalender ist der selbstgebastelte.
    38%
  • Ja keinen, der herumsteht. Ich öffne Türchen online und virtuell.
    3%
  • Pärchen-Adventskalender sind mein Ding. Du weisst, warum ...
    8%
  • Ich kaufe für die Kinder einen, für mich ist das nichts mehr.
    11%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

Und natürlich habe ich neben einigen Katastrophen auch einige sehr coole Kalender gesehen. Und ganz viele, die mich schlicht kaltlassen und nicht im Geringsten interessieren.

Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe doch auch einen guten Grund gefunden, sich durchaus frühzeitig mit Adventskalendern zur befassen: Lieferfristen. Da findest du also eine Vielzahl Kalender, die du besser heute als morgen bestellst, wenn du sicher sein willst, dass sie am 1. Dezember bei dir sind.

In diese Kategorie gehört – und damit komme ich zum Abschluss – der Kalender, den ich in dreifacher Ausführung bestellen muss: für meine Tochter, für meine Frau und für mich je einmal – Wir LIEBEN die Maus:

Titelfoto: Markus Spiske / Unsplash

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Weltenbummler, Wandersportler, Wok-Weltmeister (nicht im Eiskanal), Wortjongleur und Foto-Enthusiast.


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