Nacktheit als Tabu: Eine prüde Britin erkundet die deutsche und Schweizer Saunakultur
Hintergrund

Nacktheit als Tabu: Eine prüde Britin erkundet die deutsche und Schweizer Saunakultur

Übersetzung: maschinell

Wenn du die Hitze in einer deutschen oder schweizerischen Sauna genießen willst, musst du zuerst deine Badehose ausziehen. Für eine Britin wie mich hört es sich schrecklich an, nackt neben einer Gruppe von Fremden zu sitzen. Aber ist es wirklich so demütigend, sich in der Öffentlichkeit nackt zu zeigen, wie ich es mir eingeredet habe?

Von allen Kulturschocks, die ein Auswanderer aus der englischsprachigen Welt in Deutschland oder der Schweiz erleben kann, ist der Unterschied in der Sauna-Etikette einer der schockierendsten. Als Engländerin bin ich daran gewöhnt, dass in Saunen Badekleidung vorgeschrieben ist. Du kannst dir also vorstellen, wie überrascht ich war, als ich zum ersten Mal eine Sauna in Deutschland betrat und feststellte, dass sie «textilfrei» war. Ich blieb einen Moment am Eingang stehen und überlegte, ob ich einfach die Zähne zusammenbeißen und alles ertragen sollte. Dann habe ich gekniffen und bin zurück zum Pool gegangen.

Die Nacktheitspflicht scheint die Deutschen und Schweizer jedoch nicht abzuschrecken. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2022 besuchen 26,14 Millionen Menschen in Deutschland in ihrer Freizeit «gelegentlich» oder «häufig» Saunen oder Dampfbäder. Sehr bekannt ist die Tatsache, dass Angela Merkel wöchentlich in die Sauna ging, als die Berliner Mauer fiel. In einem weltweiten Ranking der Anzahl der Google-Suchanfragen nach «Sauna» landete Deutschland auf Platz 4, die ähnlich saunaverrückte Schweiz auf Platz 7.

Folge den Anweisungen auf den Schildern: Wenn ihr das Dampfbad benutzen wollt, müsst ihr euch ausziehen.
Folge den Anweisungen auf den Schildern: Wenn ihr das Dampfbad benutzen wollt, müsst ihr euch ausziehen.
Quelle: Martin Jungfer

Um herauszufinden, warum all dieses Vergnügen nackt stattfinden muss, besuche ich die Website des Deutschen Sauna-Bundes. Unter Fragen zur Nacktheit sagt die Organisation: «Die Hitze der Sauna soll ungehindert die Haut erreichen und die Verdunstung des Schweißes ungestört ablaufen. Es ist weder angenehm noch hygienisch, in einem Badeanzug zu schwitzen, der möglicherweise aus synthetischem Material hergestellt wurde.»

Ist das Unbehagen beim Ausziehen für die Sauna also nur ein Ich-Problem? Offenbar nicht. Laut einer Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2014 fühlen sich 59% der Briten nackt entweder ganz und gar unwohl, würden es lieber nicht sagen oder sind sich unsicher. Frauen (63%) fühlen sich deutlich häufiger nackt unwohl als Männer (36%). Vergleiche das mal mit den Zahlen zur öffentlichen Nacktheit in Deutschland: Im Jahr 2021 befragte Statista die Deutschen nach Orten, an denen sie schon einmal nackt gewesen sind. 37 Prozent gaben an, dass sie sich in der Sauna ausgezogen haben, während ein Viertel sagte, dass sie am Strand nackt gewesen sind. Fast ein Fünftel gab an, schon einmal nackt an einem See gewesen zu sein.

In der Schweiz berichtete die Luzerner Zeitung über den Kulturkonflikt, der manchmal auftritt, wenn Gäste aus Ländern, die nicht in die Sauna gehen, Spas in Schweizer Ferienorten besuchen. In dem Artikel sagt der General Manager des «Fitnessparks National», dass es für seine Mitarbeiter zum Alltag gehört, die Gäste daran zu erinnern, dass sie ihre Badesachen ausziehen müssen, bevor sie in die Sauna gehen. Ein Angestellter des Hotel Palace in Luzern berichtet, dass sich die Schweizer Saunagäste beim Anblick von Badekleidung in der Sauna besonders gestört fühlen und Regelverstöße oft an der Rezeption melden.

In einem Video über die laxe Haltung der Schweiz gegenüber Nacktheit in Fitnessstudios sagt die kanadische Auswanderin Emily Engkent über Schweizer Frauen: «Sie ziehen sich nicht nur um und sind kurz nackt. Sie hängen nackt herum und unterhalten sich miteinander. Sie telefonieren nackt.» In den Kommentaren unter dem Video sind die Schweizer Zuschauer/innen verblüfft über die scheinbare Prüderie der Anglosphäre.

Warum sind unsere Einstellungen zur Nacktheit so unterschiedlich?

Warum können die Menschen in Deutschland und der Schweiz ohne Bedenken nackt in der Sauna sitzen, während die Briten nicht einmal ihr Handtuch in der Umkleidekabine ablegen können?

Die Frage führt uns zurück ins 19. Jahrhundert und zur Entstehung der «Lebensreform», einem Bündel sozialer Bewegungen, die in den deutschsprachigen Ländern als Reaktion auf die Industrialisierung entstanden. Sie förderte die Naturmedizin, den Vegetarismus, die Abstinenz von Alkohol und zuckerhaltigen Lebensmitteln und betonte vor allem die gesundheitlichen Vorteile der Nacktheit. Der Schweizer Arnold Rikli, ein Maler und «Lebensreformer», der als «Sonnendoktor» bekannt wurde, war ein früher Befürworter von Nacktsportarten wie Sonnenbaden und Wandern. Eva Locher, eine Historikerin, die die Lebensreform in der Schweiz dokumentiert hat, weist darauf hin, dass es sogar einen Vorstoß zum Nacktskifahren gab.

Auch in Deutschland wurde das Nacktskifahren populär und in dem von der Kritik hochgelobten Film «Wege zu Kraft und Schöhneit» aus dem Jahr 1925 idealisiert. Diese Seite der «Lebensreform» brachte die "Freikörperkultur" (FKK) hervor, die Praxis des gemeinschaftlichen Nacktseins in der freien Natur, die heute noch in Form von FKK-Stränden, Campingplätzen und Seen im ganzen Land verbreitet ist. Vor dem Hintergrund eines repressiven, totalitären Staates erfreute sich die FKK in der ehemaligen DDR großer Beliebtheit, wo das Ausziehen als Ausdruck von Freiheit angesehen wurde. Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer ist Nacktsonnenbaden an Deutschlands nordöstlichsten Stränden immer noch der letzte Schrei - sehr zum Leidwesen der konservativeren polnischen Nachbarn.

Während die deutschsprachige Welt die Freuden des nackten Herumtollens in der Sonne entdeckte, sah es im viktorianischen Großbritannien ganz anders aus. Im 19. Jahrhundert galt es als «unbescheiden», wenn man in einem Ganzkörper-Badeanzug gesehen wurde. Nichts verdeutlicht dies besser als die Bademaschine, eine hölzerne Kabine auf Rädern, in der sich die Strandbesucher in Ruhe umziehen konnten. Sicher in ihren Badeanzügen konnten die Badenden dann einem Pferd signalisieren, die Kabine zum Wasser zu ziehen. Auf diese Weise konnten sie direkt von der Bademaschine ins Meer springen, ohne den «Walk of Shame» über den Strand in ihrer Badehose zu machen. Die Maschinen waren bis 1901 an den britischen Stränden allgegenwärtig.

Ja, Bademaschinen gab es wirklich.
Ja, Bademaschinen gab es wirklich.
Quelle: Messynessy

Britannien bekam seinen ersten FKK-Strand erst 1979, fast 60 Jahre nachdem sie in Deutschland auftauchten. Schon damals stieß er auf erheblichen politischen und öffentlichen Widerstand. John Blackman, ein Stadtrat aus Brighton, der sich gegen den Strand aussprach, sagte damals: «Ich persönlich habe nichts dagegen, wenn Menschen sich gegenseitig ihre Brüste, ihren Busen und ihre allgemeinen Genitalien zeigen. Viel Glück für sie, aber um Himmels willen, sie sollten irgendwo hingehen, wo sie ungestörter sind.»

Sowohl die Erfindung der Bademaschine als auch die Einwände gegen FKK-Räume könnten durch ein gemeinsames Argument genährt worden sein: dass Nacktheit von Natur aus sexuell ist. In einem Interview mit der britischen Zeitung The Metro sagt die Trainerin für Körperbewusstsein Judi Craddock: «Ich glaube, viele Menschen verwechseln Nacktheit mit Sex, obwohl das nicht dasselbe ist. Ein Großteil der Nacktheit, der wir in den Medien ausgesetzt sind, ist sexueller Natur, was erklärt, warum es peinlich sein kann, vor einem Freund oder einem Fremden nackt zu sein.» Vielleicht bringt die Geschichte mit der Lebensreform und der FKK Menschen aus deutschsprachigen Ländern nicht so schnell dazu, Nacktheit mit Sex zu verbinden. Als Statista die Deutschen befragte, welche Eigenschaften und Gefühle sie mit Nacktheit in Verbindung bringen, schnitt «sexuelle Erregung» mit 13% tatsächlich am schlechtesten ab.

Kann ich meinen inneren Schweinehund überwinden?

Entschlossen, meine Hemmungen beim Ausziehen zu überwinden, fahre ich mit einem russischen Freund (und erfahrenen Banya-Gängerin) zur moralischen Unterstützung mit. Es gibt ein wahres Sammelsurium an Saunen, von der «Meditationssauna» bis zur klassischen finnischen Variante. Doch bevor wir hineingehen können, wartet meine erste Nacktheitsprobe: ein großer, grau gekachelter Gemeinschaftsduschbereich, der an einen Schulblock erinnert. Anders als in den Umkleidekabinen meiner Schule klammert sich hier aber niemand an sein Handtuch, als hinge sein Leben davon ab. Viele Leute haben Bademäntel für den kurzen Weg zwischen den Duschen und Saunen mitgebracht. Genauso viele schlendern aber auch nackt wie am ersten Tag dazwischen herum.

Als ich das erste Mal meine Bikinihose fallen lasse, bekomme ich einen kleinen Schreck. So wie in einem dieser Angstträume, in denen du in der Schule bist und plötzlich merkst, dass du nackt auf dem Schulhof stehst und alle auf dich zeigen und lachen. (Gibt es diese Art von Albträumen überhaupt in Deutschland und der Schweiz?) Mit der gleichen Lässigkeit, die alle anderen an den Tag legen, trete ich aus den Duschen und verschmelze mit der allgemeinen Vielfalt an Hautfarben, Sommersprossen und unterschiedlich starker Behaarung, die zu sehen ist.

Schon bald schmiere ich mir in der «Panoramasauna» mit allen anderen Honig und Salz auf die Haut, als wüsste ich genau, was ich tue. Es fühlt sich wirklich besser an, wenn die nasse Badekleidung nicht an meiner Haut klebt und Pfützen auf den Bänken bildet. Die Hitze ist entspannend, ohne einschläfernd zu wirken. Als ich an die frische Luft komme und dusche, genieße ich den prickelnden Kontrast zwischen heiß und kalt. Mein Körper fühlt sich energiegeladen an. Ich fühle mich nicht verlegen oder verurteilt, weil ich nackt bin, und ich fühle mich auch nicht durch die Nacktheit der anderen gestört. Das Seltsamste an dieser Erfahrung ist, dass sie sich überhaupt nicht seltsam anfühlt.

Fühlst du dich wohl, wenn du in Saunen nackt bist? Wie ist die Etikette für Saunas in deinem Heimatland? Ich würde gerne deine Meinung in den Kommentaren lesen.

Titelbild: Ron Lach / Pexels

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Kate kommt ursprünglich aus Schottland und ist nach Tätigkeiten als Journalistin, Pressesprecherin und ESL-Lehrerin als Übersetzerin zum Englisch-Team gestoßen. Ihre Heimat hat sie 2017 in Richtung Ulm verlassen und tingelt seither quer durch Deutschland. Dabei meistert sie die sprachlichen Herausforderungen und kulturellen Entgleisungen, die damit unweigerlich einhergehen. 


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