Pinkeln wie früher! Besuch beim Urologen, Folge 2
Meinung

Pinkeln wie früher! Besuch beim Urologen, Folge 2

Thomas Meyer
10.2.2023

Ein Bericht über einen schwach gewordenen Harnstrahl, das Altern überhaupt und den Versuch, sich humorvoll mit dem Unabänderlichen zu arrangieren.

Kürzlich schrieb Kollege Martin Rupf über seinen vorbeugenden Besuch beim Urologen. Und darüber, dass viele Männer sich schwertun, zum Arzt zu gehen –erst recht, wenn kein dringender Anlass vorliegt. Ich war vor ein paar Monaten ebenfalls beim Spezialisten. Aber nicht aus prophylaktischer Vernunft, sondern wegen eines tatsächlichen Problems.

  • Ratgeber

    Ich hab's getan: meine erste urologische Untersuchung

    von Martin Rupf

(Meine Mutter liest übrigens restlos alles, was ich publiziere, darum eine Bitte: Kannst du in diesem Fall eine Ausnahme machen und hier aufhören zu lesen? Es geht um meinen Pimmel. Danke!)

Altersbedingte körperliche Veränderungen gehen meist sehr langsam vonstatten. Ziemlich lange bemerkt man überhaupt nichts davon, dann fallen sie einem immer häufiger auf – und schliesslich auch den Mitmenschen.

«Kannst du nicht pinkeln, wenn ich neben dir stehe?», fragte meine Partnerin eines Abends, während sie ihre Zähne putzte. Ich sass auf der Toilette, in ihren Augen offenbar völlig untätig, dabei war ich durchaus am Urinieren. Allerdings mit so wenig Druck, dass davon nichts zu hören war. Und schon über eine Minute lang.

«Ich glaube, ich kann grundsätzlich nicht mehr so recht pinkeln», antwortete ich. Dass mein Urinstrahl in letzter Zeit schwächer geworden war, war mir nicht entgangen. Aber jetzt war er nicht mehr schwächer, sondern eindeutig schwach. Am Morgen darauf meldete ich mich beim Arzt an.

«Blocker macht locker!»

«Schauen Sie, normalerweise sieht das so aus», sagte der Urologe ein paar Tage später, und zeichnete eine Parabel auf ein Papier. Mit «das» meinte er die Menge von Urin, die ein Mensch beim Wasserlösen abgibt, sowie die Zeit, die er dafür braucht: Die Kurve steigt schnell an, verbleibt kurz auf hohem Niveau und fällt schnell wieder ab. Und mit «normalerweise» meinte er die Leute, mit denen er nicht über dieses Thema spricht.

«Und so sieht es bei Ihnen aus.» Der Arzt deutete auf den Ausdruck des Gerätes, das zuvor meine Urinabgabe gemessen hatte. Auf dem Papier war eine zittrige lange Linie zu sehen. Es sah aus wie die Wertentwicklung einer zwar stabilen, aber nicht sonderlich erfolgreichen Aktie.

«Und so sieht es bei Ihnen aus.»
«Und so sieht es bei Ihnen aus.»
Quelle: Thomas Meyer

Ich bekam einen Alphablocker, um meine Prostata zu entspannen («Blocker macht locker!», scherzte der einstige Werbetexter in mir). Mit der war zwar alles in Ordnung – «wie bei einem Jüngling», hatte der Urologe während der Untersuchung attestiert. Pröstchen, wie ich das Organ seither zärtlich nenne, war nicht angewuchert, beengte die Harnröhre aber dennoch. Ausserdem erhielt ich ein starkes Schmerzmittel. Falls Ihnen schon mal jemand eine Videokamera in den Penis gestopft hat, wissen Sie, warum ich dafür dankbar war.

Volles Haar vs. voller Strahl

Ein paar Tage später ging ich mit einem Bekannten wandern. Er ist rund 15 Jahre jünger als ich, also Mitte dreissig, und wie er da laut rauschend und in einer perfekten Parabel in den sonnigen Herbstwald pinkelte, machte ich eine interessante neue Erfahrung: Ich beneidete einen Mann um dessen Urinstrahl. «Dafür hast du volles Haar», knurrte mein Kumpel, nachdem ich ihm von meiner diesbezüglichen Einschränkung erzählt hatte.

Wir gingen weiter. Er wollte wissen, ob mir die Haare wirklich nicht ausfielen. Nein, sagte ich, im Gegenteil, der Friseur müsse sie jeweils ausdünnen, weil es zu viele seien. Mit einer Volumenschere, präzisierte ich schadenfroh. «Arschloch, mit deinem vollen Haar!» rief mein Kumpel. «Selber Arschloch», gab ich zurück, «mit deinem vollen Strahl!» Wir lachten herzlich.

Nach drei Wochen ging ich zur Kontrolle zum Urologen. Wieder verglich er mich mit einem Jüngling – diesmal galt sein Kompliment den 35 Millilitern, die ich durchschnittlich pro Sekunde von mir gab. Das Medikament könne nun wieder weggelassen werden, ich solle es nur noch nach Bedarf nehmen. Die Packung sei gross genug, die reiche lange.

«Wie bei einem Jüngling!»
«Wie bei einem Jüngling!»
Quelle: Thomas Meyer

Oder auch nicht. Kürzlich übernachtete ich mit meiner Partnerin im hübschen Gasthaus auf dem Sternenberg im Zürcher Oberland. Sie putzte sich die Zähne, ich stand vor dem Pissoir. Offenbar so lange, dass sie vorsichtig fragte, ob ich mein Medikament wohl wieder nehmen müsse.

Ich bin noch nicht bereit!

Täglich eine Tablette zu schlucken, weil ein Teil des Körpers dem Greisentum zugefallen ist, ist neu für mich. Ich kenne das nur von meinem Vater, der seinen Blutdruck regulieren muss. Nun muss ich also meinen Urindruck regulieren, einfach umgekehrt. Ausserdem habe ich kürzlich auf einer Videoaufnahme von mir unterhalb meines linken Auges eine dunkle Stelle bemerkt. Ich hielt sie für einen Schmutzfleck auf dem Bildschirm und versuchte, ihn wegzuwischen, aber er blieb da und bewegte sich mit meinem Gesicht hin und her. Es war eine Mimikfalte. Was aber auch nur ein beschönigender Begriff ist für welke Haut.

Ich werde jetzt also alt. Und bin noch nicht bereit dafür. Ich fühle mich höchstens wie 35, und mein Humor ist der eines Achtjährigen. «Wie du dich wegschmeissen kannst wegen jedes einzelnen Pupses!» rief meine Partnerin kürzlich, worauf ich mich gleich nochmals wegschmiss. Ich halte Heiterkeit für den höchsten Geisteszustand überhaupt und nehme jeden Anlass dankbar entgegen. Nun die eine oder andere Alterserscheinung in diese Kategorie aufzunehmen – daran arbeite ich noch. Dieser Text ist ein erster Versuch in diese Richtung. Herzlich, Euer Arschloch mit dem vollen Haar, immerhin.

Auftaktbild: Carolin Teufelberger

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Thomas Meyer
freier Autor

Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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