Raumakustik: Was bringt eine kurze Hördistanz?
Hintergrund

Raumakustik: Was bringt eine kurze Hördistanz?

David Lee
2.3.2024

Weil es mit der Raumakustik im Wohnzimmer nicht klappt, versuche ich es auf kurze Distanz am Arbeitstisch. Das sollte einfacher sein. Oder doch nicht?

Es klingt nun tatsächlich gut. Aber ich musste dafür den Schreibtisch gegen die Mitte des Zimmers verschieben und in der Folge auch andere Möbel umstellen. Hinter mir hängt eine gigantische, sehr unpassende Kunstnerzdecke – eine Improvisation, um die Schallreflexionen der Wand zu dämpfen. Die Lautsprecher auf dem Tisch habe ich mit Büchern unterlegt und mit Notizblöcken leicht schräg gestellt, damit sie in die Richtung meiner Ohren zeigen. Als ich auch noch den Bildschirm vom Pult nehmen will, weil der ebenfalls stören könnte, denke ich mir: Was zum Henker mache ich hier eigentlich? Ich habe mein ursprüngliches Ziel völlig aus den Augen verloren.

Das ist nicht das, was ich ursprünglich vor hatte.
Das ist nicht das, was ich ursprünglich vor hatte.
Quelle: David Lee

Die Idee: Probleme der Raumakustik umgehen

Das Ziel war eine Lösung des Raumakustik-Problems mit wenig Aufwand. Wie ich kürzlich in einem Beitrag ausgeführt habe, bekommst du die Akustik nicht in jedem Zimmer gut hin – vor allem, wenn du das Ganze ästhetisch und finanziell im Zaum halten willst. Mit schlechter Akustik nützen die besten Lautsprecher nichts.

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    von David Lee

Kopfhörer lösen das Problem, da sie unabhängig von der Raumakustik funktionieren. Allerdings klingen sie anders als Lautsprecher und können auf die Dauer auch unbequem werden.

Meine Überlegung: Lautsprecher auf sehr kurze Hördistanzen könnten eine Art Mittelding zwischen Kopfhörern und grossen Hifi-Boxen sein. Die Raumakustik spielt eine kleinere Rolle, denn du kannst leiser hören und der überwiegende Teil der Musik gelangt direkt zum Ohr – ohne Reflexionen an der Wand oder anderen Flächen. Können Tischlautsprecher so die Vorteile von Kopfhörern und Lautsprechern kombinieren?

Ich probiere das anhand von kleinen Regal-Lautsprechern aus. Dabei überlege ich nicht lange, sondern nehme die Erstbesten: Ein Paar Edifier R1280DB. Es geht nicht primär um diese spezifischen Lautsprecher, sie dienen als Beispiel für die Idee.

Testszenario eins: Mein Arbeitsplatz

Zuerst stelle ich die Boxen auf meinen Arbeitstisch. Ich sitze mit dem Rücken zur Wand und schaue in den Raum. Die Wand ist etwa einen Meter hinter meinem Rücken. Die Aufstellung ist etwas ungewöhnlich, aber ich will daran nichts ändern – ich geniesse den Ausblick aus der Ecke. Aus ihr herauszuschauen statt in sie hinein, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.

Rechts vom Tisch befindet sich eine Wand mit Fensterfront. Somit ist der rechte Lautsprecher nahe an einer reflektierenden Wand, während der linke frei im Raum steht.

So steht mein Tisch im Zimmer.
So steht mein Tisch im Zimmer.
Quelle: David Lee

Viele Schreibtische stehen seitlich an einer Wand. Alleine in den bisherigen Beiträgen unserer Desk-Setup-Serie ist das nicht nur bei mir, sondern auch bei Flo und Samuel der Fall.

Weg von der Seitenwand

Das Musikhören macht so keinen Spass. Irgendwas ist nicht okay. Mit einem Tongenerator prüfe ich, ob es so etwas wie Raummoden gibt – also Bassfrequenzen, die auf problematische Weise mit dem Raum interagieren. Vermutlich ist das der Fall: Um 50 und 133 Hz klingt der Ton sehr viel lauter als in den anderen Frequenzen. Doch das ist nicht das Hauptproblem.

Mich stört vor allem, dass mir die rechte Seite deutlich leiser vorkommt als die linke. Ich hätte erwartet, dass die Box an der Wand lauter ist, aber es ist umgekehrt.

Ich vermute, dass die linke Box an der Wand hinter mir stärker reflektiert und ich sie darum als lauter empfinde. Also stelle ich ein absorbierendes Element in der Raumecke auf, entferne eine möglicherweise reflektierende Plexiglashalterung und lege eine monströse Kunstnerzdecke auf ein Bügelbrett, um die Rückwand abzudämpfen. Das bringt aber nicht viel. Erst als ich den Schreibtisch vom Fenster wegzerre, wird es besser.

In der Raumakustik geht nichts über Ausprobieren. Die Theorie geht immer von vereinfachten Situationen aus. Reale, eingerichtete Zimmer sind komplizierter und schwer zu berechnen.

Weitere Szenarien

Ich stelle die Lautsprecher auf dem Küchentisch auf. Dieser steht in der Ecke, hat also vorne und seitlich eine Wand. Eine solche Anordnung dürfte bei Home-Office-Tischen häufig sein.

Viele Tische stehen in einer Ecke. Akustisch ist das schlecht.
Viele Tische stehen in einer Ecke. Akustisch ist das schlecht.
Quelle: David Lee

Erwartungsgemäss ist in diesem Setup der Bass viel zu laut und wummerig. Ein Equalizer löst das Problem nicht – ohne Bässe klingt es hohl. Die Balance ist aber besser als an meinem Arbeitstisch. Interessanterweise wirkt auch hier die Box an der Seitenwand etwas leiser.

Zum Vergleich stelle ich den Tisch nun so auf, dass beide Boxen gleich weit von der Seitenwand entfernt sind.

Symmetrie hilft.
Symmetrie hilft.
Quelle: David Lee

So klingt es bereits deutlich besser. Der Bass ist immer noch recht laut, wummert mich aber nicht mehr zu Tode. Die Balance stimmt. Dafür fällt nun umso mehr auf, dass der Raum stark hallt. Mittenbetonte Rock-Stücke klingen breiig.

Ich schleppe also meinen improvisierten Monster-Absorber in die Küche. Zudem stelle ich die Boxen etwas schräg nach oben, in der Hoffnung, dass der Schall weniger an der Tischfläche reflektiert.

Rückseite gut gedämpft mit dem Absorber des Grauens.
Rückseite gut gedämpft mit dem Absorber des Grauens.
Quelle: David Lee

Ich habe beide Massnahmen auch einzeln getestet – beide wirken. In der Kombination klingt der Raum nun okay. Nicht so wie in einem Musikstudio, aber für den Hausgebrauch in Ordnung. Schnippe ich mit den Fingern, höre ich kein Nachhallen mehr.

Nicht vom Raum unabhängig

Die Versuche zeigen, dass dich eine kurze Hördistanz keineswegs von der Raumakustik unabhängig macht. Problematisch ist vor allem, wenn der Tisch seitlich an der Wand steht. Die Box sollte mindestens einen halben Meter von der Wand entfernt sein. Im Idealfall steht der Tisch in der Mitte zwischen den zwei Seitenwänden.

Eine Wand auf der Längsseite ist weniger problematisch, solange die Seiten frei sind. Sie verstärkt den Bass, aber tut dies wenigstens gleichmässig. Wenn du die Lautsprecher nicht direkt an die Wand stellst, sollte sich das Problem im Zaum halten. Wichtig ist hierbei, dass die gegenüberliegende Wand – also die hinter deinem Rücken – einigermassen gedämpft ist.

Der Tisch als Reflektor

Stellst du Regallautsprecher oder Studio-Monitore direkt auf den Tisch, hast du ein akustisches Problem. Denn der Schall reflektiert an der Tischfläche, und die Reflexion dringt fast gleichzeitig an dein Ohr wie der Direktschall. Aber leider nur fast. Das ergibt einen Klangbrei.

Bei PC-Lautsprechern geht das in der Regel besser. Denn die sind dafür gemacht. Meist sind sie so gebaut, dass sie den Schall leicht nach oben richten. Es gibt übrigens auch Edifier-Boxen, die bereits schräg gebaut sind:

Das Schrägstellen mit improvisierten Unterlagen funktioniert auch, sieht aber in meinem Fall unästhetisch aus. Und bei hoher Lautstärke könnte es ein Problem mit Vibrationen geben. Für manche Boxen gibt es spezielle Gummiuntersätze, für die meisten jedoch nicht.

In einem Musikstudio werden die Lautsprecher normalerweise auf separate Ständer hinter dem Pult gestellt. Die befinden sich auf der Höhe der Ohren, wodurch der Direktschall zuerst zum Ohr gelangt. Reflexionen mit dem Pult sind so ein weniger grosses Problem.

Schallreflexionen: Auf dem Tisch vs. auf Ohrhöhe hinter dem Tisch.
Schallreflexionen: Auf dem Tisch vs. auf Ohrhöhe hinter dem Tisch.
Quelle: David Lee

Gar kein Tisch ist auch gut. Willst du auf dem Sofa auf kurze Distanz Musik hören, wäre dafür aber wohl ein drahtloses System und Ständer nötig. Ansonsten wird es zu kabelig, zu hässlich. Ob ein Bluetooth-Brüllwürfel für diese Art von Musikgenuss das Richtige ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Fazit: Kein Allheilmittel, aber einfacher

Die kurze Hördistanz ist kein Allheilmittel. Auch hier spielt die Akustik der Umgebung eine grosse Rolle und kann dir alles vermiesen.

Nach meinen Versuchen bin ich aber der Meinung, die Probleme seien leichter einzugrenzen und auch zu beheben, als wenn Lautsprecher über mehrere Meter hinweg funktionieren müssen. Es sind hauptsächlich zwei Dinge, die du beachten musst. Keine Box darf direkt an einer Seitenwand stehen und eine geradeaus strahlende Box darf nicht direkt auf dem Tisch stehen. Wenn du diese Stolpersteine umgehen kannst, kriegst du ziemlich sicher einen ordentlichen Sound hin.

Titelbild: David Lee

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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