Kopfnoten im Zeugnis
Was hältst du von Bewertungen des Arbeits- und Sozialverhaltens?
Mitarbeit: gut. Sozialverhalten: sehr gut. Aussagekraft: ungenügend. Eine Studie kritisiert solche «Kopfnoten» für Kinder als teuer, überflüssig und ineffizient.
Für Eltern kann der Blick auf diese Noten eine richtige Seelenmassage sein: Wenn die Tochter «konzentriert und ausdauernd» arbeitet und der Sohn die «Regeln des schulischen Zusammenlebens» akzeptiert, ist der eine oder andere Ausrutscher in Mathe oder Englisch halb so schlimm. In manchen Zeugnissen stehen sie, in anderen dagegen nicht. Der Schweizer Lehrplan 21 regelt das nicht verbindlich.
In Deutschland heissen solche Beurteilungen der Mitarbeit und des Sozialverhaltens «Kopfnoten» – und wenn es nach einer aktuellen Publikation des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung geht, sind sie überflüssig. Sie würden den Staat durch die darauf verwendete Arbeitszeit etwa 206 Millionen Euro pro Schuljahr kosten, ohne dass ein Einfluss auf den Bildungserfolg und den späteren Berufseinstieg der Kinder und Jugendlichen festgestellt werden könne.
Umstritten ist diese Art der Bewertung schon lange. Mancherorts wurde sie abgeschafft, um später wieder eingeführt zu werden. Das nutzten Forschende, um nach «kausalen Effekten» zu suchen. Also zu schauen, ob sie eine positive Entwicklung nachweislich begünstigen. Wenn schon die Köpfe bei der Vergabe von Kopfnoten rauchen, dann sollten diese wenigstens einen Mehrwert haben. Befürworterinnen und Befürworter argumentieren, dass das Feedback die Schülerinnen und Schüler zu besserem Verhalten motivieren und sich so langfristig auf die Leistung auswirken könne.
Diesen Effekt bezweifeln die Forschenden stark: Die Analyse verschiedener Datensätze zeige, dass Kopfnoten keinen merklichen Einfluss auf Lesekompetenzen und soziale Kompetenzen haben, wird Studienautor Florian Schoner in der Pressemitteilung zur Publikation zitiert. «Auch den Einstieg in das Berufsleben beeinflusst die Verhaltensbenotung nicht.» Dies könne unter anderem daran liegen, dass fachliche Schulnoten das Verhalten im Klassenzimmer bereits teilweise berücksichtigen. Im Klartext: Wer im Unterricht mühsam ist, wird trotz gleicher inhaltlicher Leistung schlechter benotet als pflegeleichte Kinder.
Der Zusatz, dass die fachlichen Noten das Verhalten «teilweise berücksichtigen» ist interessant – denn er zeigt, dass sich die Lehrpersonen dabei uneinig sind. In einer Befragung zur Studie tendiert ein Drittel von 246 Lehrkräften zur Ansicht, dass die Verhaltensnoten bereits in den fachlichen Schulnoten enthalten sind. Gut die Hälfte würde dieser Aussage zumindest eher nicht zustimmen.
Andere Publikationen legen nahe, dass gutes oder schlechtes Verhalten ohnehin in die Bewertung einfliesst. Ob bewusst oder nicht. Unter Kindern wird dieser Verdacht jedenfalls gerne diskutiert und natürlich als unfair empfunden. Ist es auch, wenn es je nach Lehrperson unterschiedlich gehandhabt wird. Dann lieber sauber getrennt. Oder?
Was hältst du von Bewertungen des Arbeits- und Sozialverhaltens?
Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Fall klar: weg mit den Verhaltensnoten. Nun sind Schulen zum Glück keine Wirtschaftsunternehmen. Doch es ist ein Problem, wenn Überflüssiges auf Kosten derer geht, die ohnehin schon am Anschlag sind: «Lehrkräfte brauchen im Schnitt 30 Minuten pro Schulkind und Schuljahr, um Noten zu vergeben, die für die Zukunft der Kinder bedeutungslos sind», wird die ifo-Forscherin Vera Freundl zitiert. «Diese Zeit und die dadurch entstehenden Kosten könnten effizienter genutzt werden – gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels.»
Wenn bis zu elf Lehrpersonen in einer Sitzung darüber diskutieren, ob Dario sich nun «gut» oder wie Vivienne «sehr gut» verhalten hat, häuft das viel Arbeitszeit an, die mit barem Geld verrechnet werden kann. Oder auch nicht. Denn viele Lehrpersonen leisten unbezahlte Überstunden, in Deutschland ebenso wie in der Schweiz. Das wiederum mag wirtschaftlich gedacht positiv sein – ist aber eine Tatsache, unter der am Ende Lehrende und Lernende leiden.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.