Wer liest eigentlich noch den Teletext?
Hintergrund

Wer liest eigentlich noch den Teletext?

Luca Fontana
23.10.2018

Der Teletext ist die Höhlenmalerei des digitalen Zeitalters, und überlebt hat er bis heute. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihn noch ein Weilchen länger geben wird, ist gross. Das verstehe ich einfach nicht. Also versuche ich, der Pixel-Obsession auf den Grund zu gehen.

Mit meinen dreissig Jahren auf dem Buckel gehöre im Vergleich zu meinen Redaktionskollegen noch nicht zum alten Eisen (sie mögen mir diese Aussage verzeihen). Dennoch sind so Technologie-Relikte wie VHS-Kassetten, Diskettenlaufwerke und Walkmans keine mysteriösen Überreste aus Feudalzeiten für mich. Als Kind der 90er-Jahre habe ich ja einiges davon miterlebt. Ein ganz besonderes Relikt dieser Zeit: Der Teletext, also die Höhlenmalerei des digitalen Zeitalters.

Vor Kurzem habe ich beim Testen eines neuen TVs diese Taste wiederentdeckt:

«Könnte das wirklich sein, was ich meine, das es ist», habe ich mich gefragt.

Tatsächlich. Einen Druck später öffnet sich das vertraute, Augenkrebs erregende Fenster, bestehend aus einem manchmal weissen, manchmal schwarzen Hintergrund, einer hässlichen Textwand mit unmöglichem Font und auf manchen Seiten derart verpixelte Bilder, dass es wehtut. Schnell stelle ich mir die Frage: Wer zur Hölle liest eigentlich noch den Teletext?

Der Teletext war mein Internet

Damals, in den späten Neunzigern, war der Teletext mein Internet. Dort konnte ich Nachrichten und Sportresultate nachlesen, das Fernsehprogramm durchforsten und schlüpfrige Flirt-Chats bei Privatsendern lesen. Jep, Chats gab’s schon vor dem Internet.

Funktioniert haben sie über SMS: Für 25 Rappen pro Nachricht konnte man spannende Dinge schreiben wie «süsser Hasenbärli sucht nettes Häsli» – ähem, nicht, dass ich sowas je geschrieben hätte –, und nackte Pixelfrauen haben währenddessen Werbung fürs horizontale Gewerbe gemacht. Eine mega spannende Zeit.

Später habe ich den Teletext dank der Verbreitung des Internets kaum noch gebraucht. Wozu auch? Schliesslich konnte ich via MSN Messenger, Hotmail oder Google bequem mit Freunden kommunizieren oder Nachrichten lesen – gratis.

Dann kamen die ersten Flatrate-ADSL-Angebote, die teure Telefonrechnungen und Stunk mit den Eltern, die immer genau dann telefonieren mussten, wenn ich surfen wollte, ein Ende bereitet haben. Damit ist der Teletext für mich endgültig in die Annalen der Vergangenheit befördert worden. Bis heute.

Von wegen gestorben

Aber ich mache einen Fehler. Ich schliesse von mir auf andere. Denn der Vergangenheit gehört der Teletext noch lange nicht an, wie Zahlen der SRG untermauern.

Laut Francesca Guicciardi, von der Medienstelle des SRGs, greifen von digitalen Medien aus, einschliesslich der Internetseite, aktuell etwa 500 000 Personen täglich auf den Teletext zu. Die detaillierten Nutzungszahlen, die auf net-metrix.ch nachgelesen werden können, zeigen, dass im Rekordmonat Februar fast 600 000 Personen insgesamt je 15-Mal den Teletext besucht haben und pro Besuch fast 18 Seiten abriefen. Das macht also über 160 Millionen Seitenabrufe in einem Monat, und das nur für den Teletext von SRF und RTS – RSI ist kein Teil der Erhebung. Von wegen «gestorben».

Ich muss zugeben, dass ich den Teletext unterschätzt habe. Aber einleuchten will mir der Spuk noch nicht. Das ist doch in etwa so, als ob ich diesen Artikel lieber auf einer klapprigen Schreibmaschine tippen würde als auf meinem Geschäfts-PC, und das im Jahre 2018.

Sieht so moderne Informationsbeschaffung aus?
Sieht so moderne Informationsbeschaffung aus?

Denn der Teletext hat einige Jahre auf dem Buckel. Entwickelt wurde er von Technikern des britischen BBCs in den 70er-Jahren bei der Suche nach der Möglichkeit, zuschaltbare Untertitel mit dem Fernsehprogramm mitzusenden. Die Lösung, auf die sie gestossen sind, war die sogenannte Austastlücke. Das geht so: Ein analoges Fernsehbild besteht aus 576 Zeilen. Gesendet werden allerdings 625 Zeilen – also 49 Zeilen zu viel. In diesen haben die Techniker neue Informationen gepackt. Also Pixel und Buchstaben. Voilà.

Das Ergebnis: 799 Seiten an Informationen in acht Farben. Oder: 25 Zeilen à vierzig Zeichen. Das ist ein bisschen besser als Höhlenmalerei. Ein bisschen.

Wir wollen mal mit der Zeit gehen

Fernsehanstalten suchen immer wieder neue Wege, den Teletext moderner zu machen. Ein kurioses Produkt dieses Trends ist beispielsweise Teletwitter. Dort werden Twitter-Kommentare zu Sendungen oder Nachrichten, die eine Redaktion zuvor auswählt, in den Teletext gesendet. Zuschauer können so parallel zum Geschauten auch Kommentare mitlesen.

Das klingt zwar wahnsinnig interaktiv, aber mir stellt sich die Frage, ob Leute, die kein Smartphone haben, überhaupt wissen, was Twitter ist.

Wer sagt’s denn: Geschafft!
Wer sagt’s denn: Geschafft!
Quelle: Twitter, @ValiTheRöck

Alternativ bieten viele Fernsehanstalten einen Text mit moderner Optik an. Das heisst dann HbbTV und ist für Smartphone-Snobs wie mich nur wenig interessanter. Die Technologie soll digitales Fernsehen mit dem Internet verknüpfen und wie beim Teletext Zusatzinformationen samt Fotos, Videos und Grafiken anzeigen. Aktiviert wird HbbTV mit der roten Taste auf der Fernbedienung.

Das ist zwar alles schön und gut gemeint, aber für mich mit Fernbedienung immer noch viel zu fummelig zu bedienen. Da nehme ich lieber mein Smartphone.

Sieht zwar super aus, aber gezielt nach Inhalten suchen geht nicht so einfach wie mit dem Smartphone
Sieht zwar super aus, aber gezielt nach Inhalten suchen geht nicht so einfach wie mit dem Smartphone

Apropos Smartphone: Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Apps, mit denen sich der Teletext auf dem Handy anzeigen lässt. Richtig – du lädst dir eine App runter, die so tut, als ob du einen analogen Röhrenbildschirm vor dir hättest, der ein technisches Relikt der frühen 80er-Jahre darstellt. Sehr modern, oder?

Aber offenbar feiern vom Smartphone aus sehr viele Menschen genau diesen Retro-Look – laut Aussage von SRG-Mediensprecherin Francesca Guicciardi etwa 284 000 Personen monatlich. Das geht dann sogar so weit, dass sich die Teletext-Kunst zur eigenen Kunstform erhoben hat.

So wurde 2015 zum ersten Mal das «International Videotext Art Festival» abgehalten, wo einen Monat lang im Teletext dem Teletext gehuldigt wurde. Unter anderem mit einem Wettbewerb um die schönste Teletext-Kunst.

Soo alt ist der Teletext nun auch wieder nicht
Soo alt ist der Teletext nun auch wieder nicht
Hach, Gameboy… Jetzt hat mich der Retro-Look
Hach, Gameboy… Jetzt hat mich der Retro-Look

Gewonnen hat der japanische Künstler Ryo Ikeshiro. Seine Seite zeigt das bekannte Bild von Kim Kardashian und ihrem Po. Demzufolge ist das nun offiziell die schönste Darstellung in der Geschichte des Teletextes.

Das ist offiziell das Beste, was Kim Kar… pardon, der Teletext zu bieten hat
Das ist offiziell das Beste, was Kim Kar… pardon, der Teletext zu bieten hat

Irgendwie auch ein Statement.

Der Teletext ist also nur ein Abfallprodukt der ungenutzten Lücken des analogen Fernsehens. Ein unpraktisches noch dazu. Möchte ich eine Seite finden, muss ich auf gut Glück stundenlang durch Menüs drücken, statt mit einem Suchwort gezielt zu googeln. Es sei denn, ich hätte mir die drei Ziffern gemerkt, die mich immerhin zum gewünschten Themenbereich bringen würden.

Warum zum Teufel ist der Teletext also immer noch so erfolgreich?

Es ist wohl so ein Generationen-Ding

Mittlerweile werden auch im Redaktionsbüro heisse Debatten darüber gehalten, wozu die Pixel-Malerei gut sei und wer das überhaupt brauche. Je länger, je mehr wird mir bewusst: Der Teletext ist eine Generationenfrage, deren Antwort nicht für alle gleich ist.

Jüngere Generationen können mit faustgrossen Pixeln nichts anfangen, ältere Generationen hingegen schätzen den Retro-Look. Jüngere wollen schicke Grafiken und Fotos, Ältere stören sich am Nachrichten-Geschwurbel rund um der eigentlichen Information. Exemplarisch sind folgende zwei Meinungen aus der Redaktion.

Wenn ich David und Luca über den Teletext diskutieren höre, bekomme ich Schübe. Dass es sogar Leute gibt, die sich den Teletext aufs Handy laden, kann ich gar nicht verstehen. Okay, ich bin nicht in der Teletext-Generation aufgewachsen. Dennoch, es gibt heute so viele bessere Möglichkeiten, sich einfach und schnell zu informieren. Ohne diese hässliche Pixelschrift. Dafür ansprechend, lesbar und ohne diese ominösen Seitenzahlen.
Livia, 24 Jahre alt

Dem gegenüber steht David, der selbst die Teletext-App der SRG auf dem Handy hat.

News-Webseiten sind überladen mit Werbung, endlosem Gefasel und sonstigem Quatsch. Was glaubt ihr jungen Schnösel, warum Notrufe dreistellige Nummern haben? Weil das am schnellsten geht. Aber ihr würdet sicher zuerst «Ambulanz Notruf» googeln. Viel Glück beim Verplempern eures Lebens! PS.: Ihr habt den Charme von 80er-Jahre-Pixelgrafik einfach nicht verstanden!
David, 42 Jahre alt

David hat nicht ganz unrecht. Zwar kenne ich die Notrufnummer der Ambulanz, aber andererseits google ich tatsächlich viel Mist, den ich eigentlich wissen sollte. Alles im Namen der Bequemlichkeit. Ein bisschen fühle ich mich wie die faulen Menschen aus «Wall-E».

Zeit, mir die Hater-Brille abzulegen.

Für wen ist der Teletext eigentlich?

In fast jedem Haushalt steht ein Fernseher, internetfähiger Computer oder Smartphone. Damit ist die 80er-Jahre-Höhlenmalerei für jedermann zugänglich, auch von Unterwegs. Das spricht für den Teletext. Ein Knopfdruck reicht, um die wichtigsten Informationen wie Kurznachrichten und TV-Programme anzuzeigen. Die Betonung liegt auf «kurz», denn die Infos kommen ohne grossen Schnickschnack drumherum und aufs Wesentliche reduziert.

Nachrichten reduziert aufs Wesentlichste, ohne Geschwurbel und generischen Stockfotos
Nachrichten reduziert aufs Wesentlichste, ohne Geschwurbel und generischen Stockfotos

Dazu kommt das oben erwähnte Ziffernprinzip mit den Seitenzahlen, die im Grunde genommen Kurzlinks sind: Sport ab Seite 180, Wetter ab Seite 500 und das aktuelle Fernsehprogramm ab Seite 700. Bei den Privatsendern gibt’s irgendwo noch Apfel-Pos. Das ist schon seit dreissig Jahren so und ändert sich auch nie.

Das von mir oben beschriebene Glücksprinzip bei der Informationsbeschaffung trifft also so nicht ganz zu. In der Regel weiss der Zuschauer, wo er die Aktienkurse, Promigerüchte oder Gewinnspiele findet. Der Teletext hat System, und wer sich das einmal erarbeitet hat, findet so manchen Wetterbericht schneller als ich mit meinem Smartphone.

Bei SRF ist der Wetterbericht ab Seite 500 zu finden
Bei SRF ist der Wetterbericht ab Seite 500 zu finden

Der Teletext ist aber nicht nur super, weil er sich aufs Wesentliche reduziert. Dank ihm lassen sich bei vielen Wissens- oder für die direkte Demokratie wichtigen Politsendungen Untertitel einblenden. Oder die Texte der Nationalhymne bei Fussball-Länderspielen. Der Teletext trägt also wesentlich dazu bei, das hörgeschädigte Menschen trotzdem fernsehen und bei wichtigen Polit-Debatten, die am Fernsehen ausgetragen werden, mitdiskutieren können.

Fazit: Lang lebe der Teletext

Lang lebe der Teletext und seine kuriose Pixelpracht
Lang lebe der Teletext und seine kuriose Pixelpracht

Der Teletext ist also alles andere als tot. Trotz Google, Twitter und Facebook. Inhaltlich ist er brandaktuell und bringt’s ohne unnötigen Firlefanz auf den Punkt. Optisch fällt er so dermassen aus dem Rahmen, dass er eine nostalgische Antithese zu all den Hipster-Schickimicki-Filtern darstellt, denen wir heutzutage ausgesetzt sind. Und dank der Untertitel-Funktion liefert er einen bedeutenden Beitrag zum Einbezug von hörbehinderten Menschen.

Dass gerade die jüngere Generation – zu der ich mich selber zähle – Mühe hat zu verstehen, weshalb trotz Alternativen viele Menschen lieber auf den Teletext zurückgreifen, ist nachvollziehbar. Aber bei Generationenfragen gibt’s kein richtig oder falsch. Es ist wie beim Geschmack: Jedem das Seine.

In diesem Sinne: Lang lebe der Teletext.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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