Wie ein Schlitten entsteht, der alles anders macht
Hintergrund

Wie ein Schlitten entsteht, der alles anders macht

Bilder: Thomas Kunz

Der Sportschlitten «Black Hawk» ist ein Schönling auf Skibelägen. Er glänzt nicht nur mit spezieller Optik, sondern ist von Grund auf anders. Eine Geschichte von neuen Ideen, alten Skates und Menschen, die wieder in die Spur finden wollen.

Fachbegriffe fliegen wie Sägespäne durch den neonhellen Raum, als Alex Truninger zum Vortrag ansetzt. Schwalbenschwanz-Schliff. Gehobelte Beläge. Vorgefräste Rohlinge. Der 51-jährige Produktionsleiter weiss viel, redet schnell und beschreibt präzise, wie aus den bereitliegenden Bauteilen ein Sportschlitten wird. Während seine Erklärungen zu Boden rieseln, bleibt ein Gefühl hängen: Das ist nicht irgendein Schlitten und nicht irgendeine Werkstatt. Wer die einfachsten Lösungen sucht, ist hier genauso falsch wie beim «Black Hawk» von Mach. Einem Rodel, der alles anders macht.

Montiert wird er bei der Stiftung Wendepunkt in Oftringen, die berufliche und soziale Integration ermöglicht. Wer hier produzieren lässt, der nimmt in Kauf, dass die Dinge etwas anders laufen. «Wir haben eine hohe Fluktuation», sagt Truninger über sein Team. «Sobald jemand eine Stelle findet, springt er ab.»

Das entspricht der Idee der Stiftungsarbeit. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen aus der Bahn geworfen wurden, sollen wieder in die Spur finden. Dafür brauchen sie zunächst Halt. Ein positives Umfeld, in dem sich Jede und Jeder nach Kräften einbringen kann und die nötigen Pausen bekommt: «Wenn jemand aus psychischen Gründen in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, können wir ihn nicht voll belasten.»

Alex Truninger von der Stiftung Wendepunkt.
Alex Truninger von der Stiftung Wendepunkt.

Jonglieren und produzieren

Das ist herausfordernd für den gelernten Schreiner, der von «Klienten» spricht, wenn er seine Mitarbeiter meint. Er muss ihren Fähigkeiten entsprechende Aufgaben finden und notfalls Verfahren entwickeln, die ohne Fachausbildung zu beherrschen sind. «Wir sind total am Jonglieren», sagt er bei einem Kaffee.

Die Pandemie macht die Lage auch hier komplizierter, doch Truninger klingt nicht frustriert. Es ist Mitte Oktober und die zweite Corona-Welle noch nicht mit voller Wucht über die Schweiz geschwappt. Der Mann ist positiv gestimmt und so offen wie sein blau-weisses Karohemd. Er scheint den Zirkus zu mögen, der entsteht, wenn Menschen nicht wie Maschinen funktionieren müssen.

Wer abschalten will, darf das – muss in dieser Zeit aber aufs Smartphone verzichten.
Wer abschalten will, darf das – muss in dieser Zeit aber aufs Smartphone verzichten.

Mit Empathie und Akribie findet er kreative Lösungen, damit die Produktion für alle Beteiligten zufriedenstellend funktioniert: «Wir können nicht nur auf nachhaltig und sozial machen, irgendwann haben wir Termine. Die müssen wir trotz Corona und allem, was kommt, einhalten.»

So entstehen in der Werkstatt Bilderrahmen, Explosionssäcke oder eben: Schlitten. Momentan stapeln sich Rohre, Blachen und Kufenpaare, die auf ihre Montage warten.

Ein Schlitten nach dem Ski-Prinzip

Der «Black Hawk» ist ein Projekt des Solothurner Industriedesigners Yves Aeschbacher, der heute nicht hier und doch omnipräsent ist. Seine Ideen finden sich im Design und in der Werkstatt. «Technologisch ist es toll, wie Yves das gelöst hat», sagt Truninger, der immer wieder auf interessante Details hinweist. Der Gelobte erklärt am Telefon, wie es zur Zusammenarbeit kam: «Ich habe meinen Zivildienst bei der Stiftung Wendepunkt gemacht und gesehen, was sie für Möglichkeiten hat», sagt Aeschbacher. «Die Voraussetzungen haben gestimmt und ich fand, es könnte für die Mitarbeitenden ein sehr spannendes Produkt sein.»

Der 30-Jährige hat Industrial Design in Basel studiert und schon im Studium begonnen, den klassischen Schlitten neu zu denken. So ist im Laufe der Jahre der «Black Hawk» entstanden. Inzwischen kommen Materialien und Einzelteile aus der ganzen Schweiz zusammen, um in der Stiftung montiert zu werden. «Wir haben dort keine hypermodernen Anlagen», sagt Aeschbacher. «Dementsprechend mussten wir kreativ werden und es im Detail vorbereiten, dann kann auch das sehr gut funktionieren.»

Ein Kernstück seiner Konstruktion stammt von Hess & Co. aus Döttingen im Aargau. Das Furnierholz der Firma steckt in den Ski von Weltcup-Stars wie Beat Feuz, ist im Schlittenbau jedoch ein Novum.

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«Yves wollte einen engen Radius, da kommt man beim Dampfbiegen irgendwann an Grenzen», erklärt Truninger. «Verpresst ist das Holz dimensionsstabil und formstabil. Es ist ein Präzisionsprodukt, die Wiederholungsgenauigkeit ist der Hammer.»

Das hilft bei der Montage. «In der Produktion setzen wir ein Stahlrohr auf und es passt perfekt auf die Bohrungen.» Der Schlitten sticht nicht nur optisch aus der Masse. Er ist von Grund auf anders konstruiert. Der Laie nickt, lässt den Blick über die dynamisch geformte Silhouette schweifen und sieht keine vertrauten Stahlkufen glänzen. Stattdessen: nachtschwarze Beläge, die an Ski erinnern. Ski ist das Stichwort für Alex Maienfisch.

Mach-Macher Alex Maienfisch.
Mach-Macher Alex Maienfisch.

Der 36-Jährige kommt aus dem Rennsport und produziert seit fünf Jahren unter dem Markennamen Mach hochwertige Ski im klassischen Sandwichprinzip. Der «Black Hawk» ist die passende Ergänzung für Speed-Liebhaber, die Rodelspass suchen: «Der Schlitten hat verschleissfeste Skibeläge, die viel schneller sind als Metallkufen», erklärt er und nimmt eine der Laufflächen zur Hand, die auf das Holz geschoben und verschraubt werden.

Obwohl alles so wirkt, als hätte der Skiproduzent von langer Hand einen Schlitten nach Ski-Prinzipien geplant, kam er zufällig mit dem Projekt im Kontakt: «Yves und ich haben die Büros nebeneinander und er hat von seiner Idee erzählt», sagt Maienfisch. «So kam es dazu, dass wir mit Mach die Vermarktung machen, aber er ist der Erfinder des Ganzen.»

Die Skibeläge lassen sich einfach auswechseln.
Die Skibeläge lassen sich einfach auswechseln.

Zwei Tüftler, ein Projekt

Längst sind alle «Black Hawk»-Teile gefärbt und gebeizt, doch Truninger will zeigen, wie viele Gedanken in den Prozess geflossen sind. Vom passgenau gebauten Farbtank über die extralange Rührmaschine ist jedes Detail so geplant, dass die Klienten effizient damit arbeiten können. Aeschbacher hat sich die Konstruktion ausgedacht und Truninger erzählt voller Hochachtung davon: «Er ist wirklich ein Tüftler.»

Truninger zeigt Bilder von Aeschbacher, der das Verfahren entwickelt hat.
Truninger zeigt Bilder von Aeschbacher, der das Verfahren entwickelt hat.

Die beiden scheinen sich gegenseitig zu inspirieren. Denn auch Truninger muss kreativ werden, um mit seinem Team alle Anforderungen erfüllen zu können. Wie viel Mühe in einem kleinen Detail stecken kann, wird an einer gerundeten Kante sichtbar. Mit dem passenden Fräser ist der kleine Arbeitsschritt kein Problem für einen Schreiner. Aber nichts, was jedermann gefahrlos und präzise in Serie machen kann.

Hier ist Truningers Kreativität gefragt.
Hier ist Truningers Kreativität gefragt.

Ein Problem? «Eine coole Herausforderung», findet Truninger und fängt an zu basteln. Er schraubt Rollen von alten Skates seiner Kinder, kauft Kugellager und spielt mit dem von Yves bestellten Fräser Daniel Düsentrieb. Am Ende hat er eine Vorrichtung gebaut, die den Kufen den perfekten Schliff verleiht. Seine Klienten müssen die Einzelteile nur hindurchschieben. «So ist es kindersicher», schmunzelt er.

Die Rolle ist ein Teil der Lösung: Mit der fertigen Konstruktion können die Klienten gefahrlos arbeiten.
Die Rolle ist ein Teil der Lösung: Mit der fertigen Konstruktion können die Klienten gefahrlos arbeiten.

Ein Schlittenleben

Was hier frisch gefräst und lackiert glänzt, wird sich auf den Schlittelpisten der Schweiz bald die ersten Kratzer einfangen. Der «Black Hawk» ist bereits seit vergangenem Jahr an verschieden Verleihstationen zu fahren, nun wird die Version 2.0 montiert. Yves Aeschbacher hat die Sitzkonstruktion noch einmal optimiert.

«Ein Winter in der Vermietung ist ein Schlittenleben», sagt Alex Maienfisch, der Mann hinter Mach. Das Material ist gefordert, wird ständig bewegt, grob behandelt und wieder gepflegt. Die ersten Erkenntnisse aus dem Dauereinsatz: «Unsere Kufe rostet nicht und hat bessere Gleiteigenschaften, in flachen Passagen überholst du damit alle und musst nicht laufen.»

Die Vermieter profitieren davon, dass sich der «Black Hawk» gut stapeln lässt und einfach zu warten ist, sagt Alex Maienfisch: «Nach zwei Jahren löst du zwei Schrauben und wechselst den Belag. Das ist auch für Vermietungen attraktiv, weil es schneller geht, als regelmässig Stahlkufen abzubürsten.»

Bevor die nächste Generation gestapelt und ausgeliefert werden kann, steht noch die Endmontage an. Damit sie reibungslos funktioniert, hat Truninger mal wieder jongliert. Im hinteren Bereich der Werkstatt gibt ein ratternder Akkuschrauber den Takt vor.

Joel und Christian fügen die Einzelteile zusammen, fädeln Bänder ein und sorgen dafür, dass die Stapel mit fertigen Schlitten beständig wachsen. «Das sind Aushilfsleute aus einem Betrieb der Heilsarmee, wir unterstützen uns gegenseitig», sagt Truninger. «Tolle Kameraden, die sachkundig sind.»

Etwa 15 Minuten benötigen sie pro Exemplar. «Wir müssen uns die Zeit nehmen, es soll ja was Gutes werden», sagt Christian, ein fröhlicher Mensch mit Schnauz und schelmisch blitzenden Augen, in dessen Händen der Schlitten noch etwas filigraner wirkt: «Ich weiss nicht, ob mein Gewicht noch zulässig ist oder ob das heikel wird. Aber ich mach gern den lebenden Dummy.» Gelächter in der Werkstatt. Auch Joel, der gerade das Stahlrohr mit den Holzteilen verschraubt, wäre bei einer Testfahrt sofort dabei: «Ich stelle mich freiwillig zur Verfügung», sagt er zwischen zwei Arbeitsschritten.

Dann ist Mittagspause. Die Werkstatt leert sich, der Staub legt sich und das Gefühl bleibt: Der «Back Hawk» ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Sein Wert liegt in der Wertschätzung von Menschen und Ideen. Es sind viele Gedanken eingeflossen, Verfahren entwickelt und Materialien getestet worden, um etwas Neues zu gestalten. Am Ende steht ein Produkt, dass in verschiedener Hinsicht besonders ist. Aeschbacher hat fast alles verändert, was einen klassischen Schlitten ausmacht, ohne ihn als Vorbild aus den Augen zu verlieren. Und ohne die Menschen zu ignorieren, die ihn produzieren. Im besten Fall geht es dank dieses Schlittens für einige sogar bergauf.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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