Wie Opioide in unsere Zellen gelangen
News & Trends

Wie Opioide in unsere Zellen gelangen

Anders als natürliche Opioide dringen Medikamente wie Morphium oder Fentanyl in unsere Zellen ein. Dies könnte ihre gute Wirksamkeit erklären, aber auch ihr hohes Suchtpotenzial.

Der menschliche Körper produziert von Natur aus opioidartige Substanzen wie Endorphine, die schmerzlindernd wirken. In der Schmerztherapie werden hingegen opioidhaltige Medikamente wie Morphium oder Fentanyl eingesetzt. Ihr grosser Nachteil: Sie machen benommen, können die Atmung bedrohlich verlangsamen und bergen ein hohes Suchtrisiko. Ihr übermässiger Missbrauch verursacht weltweit hunderttausende Todesfälle pro Jahr, in den USA wird seit Jahren von einer Opioidkrise gesprochen.

Wie natürliche und therapeutisch eingesetzte Opioide auf Zellebene wirken, haben Forschende der Universität Genf (UNIGE) untersucht. Generell binden die Substanzen an Opioidrezeptoren, die eine Vielzahl von physiologischen Funktionen vermitteln. Opioide aktivieren diese Rezeptoren und lösen dadurch eine Reihe biochemischer Reaktionen aus, die das Schmerzempfinden verringern und Euphorie auslösen können. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten in ihrer in «Science Advances» veröffentlichten Studie zeigen, dass therapeutische Opioide in das Innere der Zellen eindringen und dort Opioidrezeptoren aktivieren, während natürliche Opioide nicht in die Zellen gelangen können und nur Rezeptoren auf der Zelloberfläche aktivieren. Die Lage der aktivierten Rezeptoren könnte erklären, warum Opioidmedikamente andere physiologische Reaktionen auslösen als natürliche Opioide.

Die Forscher und Forscherinnen nutzten neue molekulare Werkzeuge, um die Opioidrezeptoren mit noch nie da gewesener räumlicher Auflösung zu untersuchen. «Anstatt Veränderungen in Zellen im Ganzen zu beobachten, konnten wir detailliert sehen, was an verschiedenen Orten innerhalb der Zellen passiert», erklären Arthur Radoux und Lucie Oberhauser, Mitautoren der Studie. «Dazu haben wir Biosensoren entwickelt, mit denen wir in lebenden Zellen nachweisen konnten, ob Rezeptoren an bestimmten Stellen in oder auf den Zellen aktiviert werden und welche eine Reaktion auslösen.» Diese Technik kombinierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Analysen der Genexpression und Proteinregulation. Je nachdem, an welchem Ort Rezeptoren aktiviert wurden – innerhalb der Zelle oder in der Zellmembran –, veränderte sich die ausgelöste Reaktion, also die an der Schmerzlinderung beteiligten Signale.

In einem zweiten Schritt wollten die Forschenden herausfinden, wie es zu diesen unterschiedlichen Reaktionen kommt. «Wir haben uns speziell auf Membranlipide konzentriert, da jüngste Forschungen gezeigt haben, dass sie mit bestimmten Signalmolekülen interagieren und die Reaktionen, die Rezeptoren auslösen, verändern können», sagt Miriam Stoeber, Erstautorin der Studie und Assistenzprofessorin am Departement für Zellphysiologie und Stoffwechsel an der UNIGE-Fakultät für Medizin. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zeigen, dass Lipide, die die Rezeptoren umgeben, die Signale beeinflussen. Diese entscheidende Rolle von Lipiden könnte auch die verschiedenen Effekte und Nebenwirkungen von natürlichen und in der Therapie eingesetzten Substanzen erklären. «Wir hoffen nun zu entdecken, ob veränderte Membranlipide, die etwa bei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes auftreten, die Wirksamkeit und unerwünschten Nebenwirkungen von opioidhaltigen Medikamenten beeinflussen», erklärt Miriam Stoeber. Um diese Hypothese zu bestätigen, planen sie In-vivo-Experimente mit dem langfristigen Ziel, Therapeutika mit besserer Wirksamkeit und geringeren Nebenwirkungen zu entwickeln.

Spektrum der Wissenschaft

Wir sind Partner von Spektrum der Wissenschaft und möchten dir fundierte Informationen besser zugänglich machen. Folge Spektrum der Wissenschaft, falls dir die Artikel gefallen.

Originalartikel auf Spektrum.de

Titelbild: © Tashatuvango / Getty Images / iStock (Ausschnitt) Opiate wie Morphium sind erprobte Schmerzmittel. Sie enthalten opiumartige Wirkstoffe, die natürlicherweise im Schlafmohn vorkommen.

9 Personen gefällt dieser Artikel


User AvatarUser Avatar
Spektrum der Wissenschaft
Wissenschaft aus erster Hand

Experten aus Wissenschaft und Forschung berichten über die aktuellen Erkenntnisse ihrer Fachgebiete – kompetent, authentisch und verständlich.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar