
Hintergrund
Hilfe, die 90er sind wieder geil: Teil 1 von «Lost Records: Bloom & Rage»
von Kevin Hofer
Bei den Highlandgames schiesse ich Steine, Pfeile und Baumstämme durch die Gegend – oder versuche es zumindest. Bei meinem ersten Wettkampf nehme ich gleich mit einer Frauenmannschaft an den Meisterschaften teil.
Die Highland Games sind mir bis vor Kurzem unbekannt gewesen. Als mich eine Freundin fragt, ob ich mit ihr in einem Frauenteam teilnehmen will, muss ich erst nachfragen: Bitte was? Nach einer kurzen Erklärung bin ich begeistert. Warum es bei diesem Sport nur wenige Frauen gibt, erfahre ich erst später …
Die Highlandgames (oder Hochlandspiele) haben einen historischen Hintergrund, der ins 11. Jahrhundert Schottlands zurückgeht. Die Wettkämpfe entstanden laut Überlieferungen durch König Malcom Canmore, um die besten Männer für bestimmte Aufträge zu finden. Die Männer verschiedener Clans mussten ihr Können in unterschiedlichen Disziplinen unter Beweis stellen. Die Gewinner waren nicht nur Kämpfer und Boten ihres Clans, ihnen wurde auch Ruhm und Ehre zuteil. Nach 1848 unterstützte auch das englische Königshaus die Wettkämpfe und sie wurden international bekannt. So fanden sie ihren Weg bis in die Schweiz. Seit dem 19. Jahrhundert dürfen auch Frauen daran teilnehmen.
Die Disziplinen variieren je nach Ort in Art und Menge, sind sich aber ähnlich. Ich selbst nehme an den Highlandgames Hasenstrick in Zürich teil, bei denen es elf Disziplinen gibt. Im groben Überblick sind das die Folgenden:
Auf der Webseite werden die Disziplinen zwar grob erklärt, mein Kopf schlägt dennoch Alarm: Steine, Äxte, BAUMSTÄMME? Die kurze Erklärung von meiner Freundin war wohl zu kurz.
Josi, so heisst meine Freundin, hatte mich hauptsächlich angefragt, weil ich die sportlichste Frau in ihrem Umfeld sei. Auch ohne die Schmeichelei hätte ich zugestimmt, ich mag tatsächlich die sportliche Herausforderung. Nach dem genaueren Studium aller Disziplinen stelle ich mir so etwas wie einen Workout-Plan zusammen. So gut das geht mit Gym- und Homeworkout-Equipment.
Ich mache schlussendlich eines meiner typischen Ganzkörper-Workouts, dafür mit einem Rucksack voller Gewichte. Ich habe sowieso nur knapp zwei Wochen Zeit bis zu den Highlandgames. Das ist zu wenig für eine seriöse Vorbereitung, aber zu viel, um nervös zu werden und meine Lebensentscheidungen bis dahin zu hinterfragen. Josi beruhigt mich, dass andere auch zum ersten Mal mitmachen würden. Ich setze derweil auf das Motto: Dabei sein ist alles.
Josi und ich werden am Tag der Entscheidung im Zürcher Oberland in Empfang genommen. Und das mit einer Freundlichkeit, die ich selten erlebe. Wir werden vom Berner Clan Walhall Highlanders instruiert und eingekleidet. Ein Kilt ist natürlich Pflicht. Ausserdem bekommen wir Shirts mit dem schicken Logo des Berner Clans und damit sind wir startklar.
Wir quatschen vor dem Einmarsch und dem Start der Disziplinen nicht nur mit den Walhall Highlanders, sondern auch mit anderen Leuten aus gegnerischen Clans. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Das Besondere an diesem Tag: Wir sind nur zwei Frauengruppen, die antreten. Hinzu kommt, dass die gegnerische Truppe aus Deutschland angereist ist, und somit gar nicht zur Schweizer Meisterin gekürt werden kann. Wir können also nur gewinnen. Eine erfrischende Abwechslung, die meine Nervosität etwas im Zaum hält.
Die ausgelassene Stimmung hält an, als wir uns für den Einmarsch aufstellen und für die Eröffnung der Highlandgames in Reih und Glied auf das grosse Gelände begeben. Wir marschieren durch die wunderbaren Marktstände mit Handgemachtem, Kilts und leckerem Essen zur Wiesenmitte. Die Sonne meint es dabei fast zu gut. Dass wir Flaschen mit Wasser in die Hand gedrückt bekommen, kommt uns mehr als gelegen. Beim Wasser soll es nicht bleiben. Wir werden nämlich mit einem Brauch vertraut gemacht, als Clan-Führer und Präsident der Hasenstrick-Truppe, Dominik Mäder, die Eröffnungsrede schwingt.
Er hält dabei einen grossen Quaich in der Hand – das ist ein traditionelles Trinkgefäss aus Schottland – und erklärt uns, dass dieser nur für Hochprozentiges sei. Reihum sollen alle einen Schluck trinken, der Rest werde als Andenken an Verstorbene in die Wiese gekippt. Irgendwie schön, der Whiskey fährt bei der Hitze allerdings schon ein, als ich nur daran rieche und ihn ungetrunken weiterreiche.
Nun bin ich für alles bereit. Glaube ich.
Die Disziplinen dürfen wir absolvieren, wann und in welcher Reihenfolge wir wollen, lediglich die Zeitspanne von sechs Stunden müssen wir einhalten. Es braucht also nicht nur Muskeln, sondern auch Köpfchen: Wann machen welche Disziplinen Sinn? Ein spannendes Unterfangen, weil alle im Team unterschiedlich sind. So können wir beispielsweise den Hindernisparcour auf unsere Vorlieben aufteilen, denn jede muss nur einen Teil davon absolvieren. Danach machen wir eine Runde Steinwerfen, um unseren Beinen nach dem vielen Rennen eine Pause zu gönnen.
Eine Überraschungsdisziplin erfordert besonders viel Planung und Diskussion: Wir sollen einen grossen Hasen so rasch es geht von A nach B transportieren. Dieser besteht aus einem Traktorreifen, Holzohren, -pfoten und einem riesigen Stein als Bommelschwanz. Auf dem Weg darf jeweils nur eine Teilnehmerin ein Teil tragen. Das erfordert einen Plan zu Reihenfolge und Arbeitsteilung. Das lohnt sich: Wir gehören zu den schnellsten aller Gruppen.
Beim Baumstammüberschlag denke ich zuerst, ich müsse pure Muskelkraft vorweisen. Dabei ist tatsächlich etwas ganz anderes gefragt. Das über drei Meter lange Holz soll zu einer Linie getragen und dann so geworfen werden, dass es sich einmal überschlägt und dabei möglichst weit kommt. Mein Problem ist die Balance: Der Stamm ist nicht nur lang, sondern oben viel dicker als unten.
Die Freundlichkeit der Clanleute wird mir bei dieser Disziplin am stärksten demonstriert. Ob Mitglied oder Gegnerinnen: Alle wollen, dass ich es hinbekomme. Ich werde angefeuert, bekomme Tipps und Hilfe von allen Seiten und erhalte tosenden Applaus für meinen (kläglichen) Versuch – von dem ich noch zwei weitere habe. Damit du dir ein Bild davon machen kannst, hier mein bester Versuch auf Video:
Nach dieser Disziplin fühle ich mich ziemlich cool, alleine schon dafür, dass ich mich dazu überwunden habe. Als ich dann auch noch genug Mut aufbringe, bei der Disziplin Hochwurf ein schweres Gewicht über meinen Kopf in die Luft zu werfen, bin ich endgültig voller Adrenalin und Dopamin.
Dass ich jeweils so angefeuert werde und Unterstützung bekomme, hilft, darüber hinwegzusehen, dass ich alles zum ersten Mal mache. Schliesslich kann ich den einen oder anderen Erfolg mit meiner Gruppe feiern.
Obwohl die meisten Disziplinen extrem anstrengend sind, was durch die Hitze noch verstärkt wird, geben wir immer unser Bestes. Beim Baumstammslalom schlagen wir deshalb beim zweiten Durchgang die andere Frauenmannschaft um ein paar Sekunden.
Bei der Preisverleihung wird die besondere Situation der Frauen nochmal erklärt und dass die deutsche Frauschaft automatisch ausscheidet. Eigentlich gemein. Das macht uns trotz sieben Punkten weniger zu den Gewinnerinnen. Aber immerhin: 319 Punkte gegen 326 bei einem Team, das die meisten Disziplinen schon weitaus länger kennt als wir.
Wir freuen uns sowieso mehr darüber, dass wir unsere ersten Highlandgames erfolgreich und ohne Verletzungen gemeistert haben – und über den Geschenkkorb mit leckeren Kuchen und Konfitüren. Wir hatten auf jeden Fall riesig Spass und freuen uns hundemüde auf eine kalte Dusche.
Falls du selbst Lust hast, einmal dabei zu sein, bei den Highlandgames sind alle willkommen. Die nächsten finden vom 15.-17. August 2025 in Bern statt. Dann schleppe ich sogar Kollege Kevin mit und wir versuchen uns zusammen in einem Mixed-Team. Ich bin gespannt, wie wir uns schlagen.
Seit ich einen Stift halten kann, kritzel ich die Welt bunt. Dank iPad kommt auch die digitale Kunst nicht zu kurz. Daher teste ich am liebsten Tablets – für die Grafik und normale. Will ich meine Kreativität mit leichtem Gepäck ausleben, schnappe ich mir die neuesten Smartphones und knippse drauf los.