Der bessere Rennsport? Die eSkootr Championship kommt
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Der bessere Rennsport? Die eSkootr Championship kommt

Michael Restin
20.10.2020

Es gibt einen Trend, seit der Steinzeit: Schnell ist nicht schnell genug. Nun werden E-Scooter zu Rennmaschinen aufgerüstet und zum nachhaltigen Motorsportgerät von morgen erklärt.

Schon Fred Flintstone ist mit einem «Yabadabadoo!» auf den Lippen full speed durch Bedrock gekachelt. Seither ist die Menschheit kein bisschen vernünftiger geworden. Was einmal rollt, wird anschliessend maximal beschleunigt. Die Römer spannten ein, zwei Rösser mehr vor den Streitwagen. Inzwischen kitzeln Ingenieure Extra-Pferdestärken aus ohnehin schon mächtigen Motoren. Wer heute darüber verständnislos den Kopf schüttelt, hat in den 70ern vielleicht selbst sein Töffli frisiert.

Kollision mit dem Zeitgeist

Die Freude am Fahren war schon immer da und wurde lange als Zeitvertreib toleriert. Das hat sich geändert. Aus Spass Gas zu geben, kollidiert mit dem Zeitgeist. Womit wir bei einem Problem des Rennsports wären. Man muss schon sehr viel Benzin im Blut haben, um Veranstaltungen wie der Formel 1 noch etwas abzugewinnen. Und eine gewisse Hybris, um wie Seriensieger und Privatjetflieger Lewis Hamilton den ökologischen Fussabdruck eines Kleinstaats zu hinterlassen und gleichzeitig den Klimaschützer zu geben. Dabei ist er nur die millionenschwere Celebrity-Karikatur vieler Wohlstandsmenschen, die schon gerne irgendwie die Welt retten wollen. Vegan essen, nachhaltig einkaufen, Plastik verbannen – alles, was sich mit Geld regeln lässt und kein echter Verzicht ist. Aber weiterhin um den Globus jetten und auf der Überholspur leben.

Machen wir uns nichts vor: Wenn der Fuss vom Gas soll, hört für die meisten der Spass auf. Es darf immer noch ein bisschen mehr sein, bei einem fahrbaren Untersatz dominieren Emotionen die Vernunft. Der durchschnittliche Neuwagen in der Schweiz hat 179 PS. Das ist ganz ordentlich bei einem Tempolimit von 120. Allerdings kommen immer mehr dieser Pferdestärken aus Elektromotoren. Warum? Weil die entsprechenden Modelle keine rollenden Spassbremsen mehr sind, sondern Avantgarde. Der Tesla vor der Tür ist ein Statement. Genau wie ganz aufs Auto zu verzichten und die Angebote der Mikromobilität zu nutzen. Dieses Lebensgefühl, das vor allem die Metropolen erfasst hat, greift eine neue Rennserie auf. Sie mixt die Feelgood-Komponenten zu einem futuristischen Spass-ohne-Reue-Konzept.

«Racing for a smart clean tomorrow»

Die Antwort mutmasslich junger, urbaner Marketingstrategen auf den althergebrachten Verbrennungsmotorzirkus lautet: Lasst uns eine junge, urbane Rennserie starten. Natürlich elektrisch. Keinen Formel-1-Ableger wie die Formel-E, sondern irgendwas, das ganz anders daherkommt. Im Zentrum stehen keine sündhaft teuren Boliden, sondern ein Fortbewegungsmittel, das in letzter Zeit die Innenstädte erobert hat: der E-Scooter. Natürlich gibt es die Dinger ohne Strassenzulassung längst in schnell.

Vmax R55 Usain Rolled (55 km/h, 60 km, 2100 W)

Vmax R55 Usain Rolled

55 km/h, 60 km, 2100 W

Vmax R55 Usain Rolled (55 km/h, 60 km, 2100 W)
E-Scooter

Vmax R55 Usain Rolled

55 km/h, 60 km, 2100 W

Der Sprinter «Usain Rolled» ist eine Schnecke gegen das, was zum Beispiel mit dem Dualtron X-II möglich ist: 8300 Watt beschleunigen ihn auf halsbrecherische 110 km/h. So viel Speed auf einem engen Stadtkurs sollte für Spektakel bei der eSkootr Championship reichen, glauben die Macher der neuen Rennserie. Sie verkaufen ihre «Revolution» als «Racing for a smart clean tomorrow» und haben mit den britischen Motorsport-Experten von Williams zusammengespannt, um selbst renntaugliche Scooter zu entwickeln. Der Trailer zur 2021 startenden Serie würde sich auch auf der Playstation gut machen.

Nur Neonlicht reicht nicht

Ein paar neongrelle Scooter durch Metropolen und Social-Media-Kanäle flitzen zu lassen, ist nicht genug. Etwas Sinnstiftendes und Zukunftsweisendes muss her. Eingefallen sind den Machern die zu erwartenden Phrasen. Die Rennserie möchte sich auf allen Ebenen für neue Mobilität einsetzen, den Technologietransfer fördern und ... blablabla ... nachhaltig ... #TimeToESCape.

Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen werden natürlich ebenfalls unterstützt. Und es ist schön, dass die Rennserie an jedem Austragungsort Vertreter aus Politik, Industrie und Gesellschaft zusammenbringen will, um die urbane Mobilität der Zukunft zu fördern. Das ist nötig, denn gerade E-Scooter sind in bisherigen Sharing-Modellen alles andere als ökologisch. Zu kurz ist die Lebensdauer, zu hoch der Wartungsaufwand.

Sieht so nachhaltiger Rennsport aus?
Sieht so nachhaltiger Rennsport aus?

Damit sich das mediale Getrommel für die eSkootr Championship jemand anhört, sind ein paar prominente Namen beteiligt: Der Brasilianer Lucas di Grassi, Ex-Formel-1 und aktueller Formel-E-Pilot, ist als «Sustainability Ambassador» dabei. Ex-Formel-1-Fahrer Alex Wurz macht den «Safety Ambassador» und hofft auf grosse gesellschaftliche Auswirkungen. Ob der wie von jeder Rennserie beschworene Technologietransfer tatsächlich stattfindet und ein paar rasende Scooter der Gesellschaft mehr als nur Spass bringen, wird sich zeigen. Neue Lösungen sind auf jeden Fall gefragt, denn die Corona-Krise wird auch den Individualverkehr dauerhaft verändern.

  • Hintergrund

    Warum jetzt mehr Platz für Velos gebraucht wird

    von Michael Restin

Ich bin gespalten, was die eSkootr Championship angeht. Einerseits wird hier eine zu hundert Prozent hedonistische Veranstaltung als Schlüssel zur Weltrettung verkauft, was absurd auf mich wirkt. Schliesslich wird auch für diese Events munter um den Globus gejettet werden, sobald das wieder möglich ist. Wie bei sich moralisch überlegen gebenden Innenstädtern ohne eigenes Auto, die sich regelmässig mit dem Ryanair-Wochenendtrip zum Taxipreis nach London, Berlin oder Paris belohnen, gibt es in der Argumentation einen grossen blinden Fleck. Abzüglich all der schönen Beteuerungen sind Scooter-Rennen etwas, das die Welt nicht braucht. Aber mögen könnte.

Den Ansatz der Rennserie finde ich grundsätzlich interessant: Statt einer milliardenteuren Materialschlacht à la Formel 1 braucht es relativ wenig, um mit den hochgezüchteten Stromern an den Start zu gehen. Nachwuchstalente benötigen nicht sofort ein siebenstelliges Jahresbudget, sondern vor allem Talent. Mehr Wettbewerb und Spektakel als beim stundenlangen Kreisverkehr auf traditionellen Strecken zu erzeugen, ist ohnehin nicht schwer. So wie Skicross oder Skateboard den alteingesessenen Disziplinen bei Olympischen Spielen die Show stehlen, tut dem Motorsport ein schnelles, grelles Event ebenfalls gut. Keine Rennen sind auch keine Lösung. Wenn etwas nachhaltig ist, dann der Wunsch, schnell zu fahren. Oder anderen dabei zuzuschauen.

eSkootr Championship

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  • Nein, Rennscooter braucht kein Mensch.
    67%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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