Der Mann, der unsere Skicracks im Sommer quält
Hintergrund

Der Mann, der unsere Skicracks im Sommer quält

Wendy Holdener und Michelle Gisin fahren seit Jahren an der Spitze des Skiweltcups um Siege und holen an Grossanlässen regelmässig Edelmetall. Während die Athletinnen von Swiss-Ski im Rampenlicht stehen, macht er seine Arbeit im Hintergrund. Ein Besuch bei Christian «Chrigel» Brill.

Am 20. März endete die Skisaison 2021/22 im französischen Courchevel und Méribel mit dem Sieg im Gesamtweltcup von Marco Odermatt. Begonnen hatte die Saison bereits am 23. Oktober 2021 im österreichischen Sölden. Dazwischen fanden im Februar die Olympischen Spiele in Peking statt. Hier räumten die Athlet:innen aus der Schweiz im grossen Stil ab und gewannen nicht weniger als neun Medaillen. Alleine vier davon gingen auf das Konto von Wendy Holdener und Michelle Gisin.

Der nächste Winter ist noch weit weg. Jedoch nicht für ihren Trainer Christian «Chrigel» Brill. Während wir uns auf die Sommerferien freuen, arbeitet der Ski- und Konditionstrainer von Swiss-Ski bereits an den nächsten Erfolgen seiner beiden Athletinnen. Ich treffe den sympathischen Berner Oberländer in einem privaten Fitnesscenter in Einsiedeln zum Interview.

Trainerlaufbahn statt Skikarriere

Der Wengener war in seinen jungen Jahren selbst Skirennfahrer in den technischen Disziplinen Slalom und Riesenslalom. Jedoch nicht sehr erfolgreich, wie er mit einem breiten Lachen sagt. Also gab er den Traum einer international erfolgreichen Skikarriere auf, machte eine Schreinerlehre und bildetet sich zum Skilehrer weiter. Anschliessend absolvierte er die Ausbildung zum Skitrainer und engagierte sich im lokalen Skiclub. Von dort führte ihn sein Weg über das regionale Leistungszentrum und den Berneroberländischen Skiverband ans nationale Leistungszentrum «Mitte» in Engelberg. Schon damals begleitete er dort unter anderem die Juniorinnen Wendy Holdener und Michelle Gisin. Schliesslich kam das Angebot von Swiss-Ski Athlet:innen im Weltcup zu betreuen. Seit fünf Jahren ist er nun in einer Doppelfunktion als Ski- und Konditionstrainer beim nationalen Verband tätig. Der 46-jährige Familienvater besuchte über die Jahre bei Swiss Olympic die entsprechenden Diplomlehrgänge.

Erfolgscoach Chrigel Brill.
Erfolgscoach Chrigel Brill.

Christian Brill, die Sommerferien sind für deine Athletinnen in der Regel eher kurz, oder?
Chrigel: Das ist in der Tat so. Nach dem Weltcupfinale in Frankreich haben wir die guten Schneebedingungen für Trainingseinheiten genutzt. Ausserdem standen diverse Materialtests an. Das Ganze dauerte dann bis etwa Ende April. Mitte Mai steigen Wendy und Michelle bereits wieder ins Sommertraining ein. Dann führen wir im nationalen Leistungszentrum Magglingen diverse Tests mit den Athletinnen durch und nehmen eine erste Standortbestimmung vor. Da sehe ich dann rasch, worauf ich den Fokus zu Beginn des Sommertrainings legen muss.

Und in welcher Verfassung kommen Wendy Holdener und Michelle Gisin jeweils aus den Sommerferien zurück?
Beide sind sehr diszipliniert. Es ist nicht so, dass sie sich während drei Wochen komplett gehen lassen. Im Gegenteil. Sie sind so ehrgeizig, dass ich sie eher bremsen muss.

Die Vorbereitung der letzten Saison war kompliziert. Michelle Gisin litt am pfeifferschen Drüsenfieber, Wendy Holdener brach sich beide Hände.
Bei Wendy lief bis am 4. Oktober eigentlich alles nach Plan. Dann kam der Trainingsunfall und im Anschluss mussten wir halt quasi Plan B aus der Schublade holen. Es ging nebst dem Physischen vor allem um das Mentale. Natürlich hat sie unter diesen Umständen in dieser Verletzungspause wichtige Skitrainings verpasst, vor allem kam der Riesenslalomschwung etwas zu kurz. Wir waren dann aber eigentlich wieder relativ rasch auf Kurs.

Und wie war es bei Michelle?
Das war schwieriger. Durch die Erkrankung mussten wir im Prinzip ihr gesamtes System erst einmal herunterfahren. Da war dann auch eher die medizinische Abteilung von Swiss-Ski gefordert und weniger ich als ihr Trainer. Die Thematik hat mich dann aber durch den ganzen Winter begleitet und wir mussten von Tag zu Tag schauen, was ging und was nicht. Michelle ist wie Wendy durch und durch Wettkämpferin. Wir mussten immer schauen, dass sie nicht zu schnell zu viel wollte. Ihre Leistungen diese Saison haben mich schliesslich sehr beeindruckt.

Saisonvorbereitungen mit Hindernissen

Bereits die Vorbereitung auf den Winter 2020/21 lief für Wendy Holdener nicht ohne Verletzung. Kurz vor dem Saisonstart in Sölden hatte sich 29-Jährige den rechten Wadenbeinkopf gebrochen. Unter anderem auch darüber konnte ich mit ihr letzten Sommer während eines Besuches zu Hause in Unteriberg plaudern.

  • Hintergrund

    «Hier bin ich einfach die Wendy»

    von Patrick Bardelli

Der nächste Winter ist also schon in den Köpfen des Trainers und der Athletinnen präsent. Stand heute, sind beide Fahrerinnen gesund und starten in die Saisonvorbereitung.

Wie sehen die nächsten Monate grob aus, bis es Ende Oktober mit dem Riesenslalom in Sölden wieder losgeht? Kannst du das «in a nutshell» skizzieren?
Anhand der Auswertungen, die ich vorhin erwähnt habe, setzen wir die ersten Trainingsschwerpunkte. Je nachdem kann der Fokus hier eher beim Kraftaufbau oder der Ausdauer liegen. Grundsätzlich sind sowohl Grundlagenausdauer als auch das Stehvermögen entscheidende Faktoren. Wobei ich die Grundlagenausdauer jeweils im Frühling trainiere, um die Ermüdungsresistenz aufzubauen.

Und dann?
Anfangs August gehen wir dann in der Regel zum ersten Mal auf den Schnee. Bis dahin ist der Hauptteil des Athletiktrainings absolviert. Dazwischen gibt es immer wieder Leistungstests. So sehe ich, wie es um die Athletik der Fahrerinnen steht und was ich, nebst dem Skistechnischen, noch in diese Trainings einbauen muss. Ziel ist, dass Wendy und Michelle in Sölden topfit im Starthaus stehen.

Skifahren ist eine komplexe Sportart. Viele Faktoren spielen eine Rolle: Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit. Was ist das Wichtigste?
Das ist eine schwierige Frage. Wir legen den Fokus auf folgende Trainingsbereiche: die Beweglichkeit, die Kraft in den unteren und oberen Extremitäten sowie im Rumpf, die aerobe und anaerobe Kapazität und die Agilität. Natürlich ist Kraft ein entscheidender Faktor. Es wirken enorme Kräfte auf die Athletinnen ein. Diese Kräfte gilt es zu bändigen. Aber auch eine gute Ausdauer ist entscheidend. Wir trainieren gerade im Sommer oft auf Gletschern, die auf rund 3'000 Metern liegen. Dort ist die Belastung sehr hoch. Ist die Ausdauer schlecht, leidet die Erholung.

Und die anderen Faktoren?
Koordinatives bauen wir in der Regel ins Nachmittagsprogramm eines Schneetrainings ein, Sprünge beispielsweise. Es gilt, die richtige Balance zu finden. Und dann darf man nicht vergessen, dass Skifahren eine technische Sportart ist. Die ganze Kraft und Ausdauer nützt dir nicht viel, wenn du keine gute Skitechnik hast. Dann wirst du nicht schnell sein.

Erfolgsduo: Wendy Holdener und Michelle Gisin. Foto: Keystone
Erfolgsduo: Wendy Holdener und Michelle Gisin. Foto: Keystone

Welche Rolle spielt bei der Trainingsplanung das Alter deiner Athletinnen? Michelle und Wendy sind beide Ende 20.
Grundsätzlich gilt: je höher das Trainingsalter, umso mehr Regeneration. Bei meinen Fahrerinnen legen wir grossen Wert auf die Trainingsqualität. Das Volumen sinkt, die Qualität des Trainings steigt. Also hohe Last, hohe Geschwindigkeit, hohe Intensität und dafür reduzieren wir die Trainingsumfänge entsprechend. In jungen Jahren müssen gewisse Bewegungsabläufe, koordinative Sachen immer und immer wieder repetiert werden, bis sie in Fleisch und Blut übergehen. Bei Wendy und Michelle ist diese Basis natürlich längst vorhanden.

Mir fällt auf, dass es hier in diesem Kraftraum, in dem unter anderem auch Wendy Holdener trainiert, ausschliesslich freie Gewichte hat. Maschinen sind demnach kein Thema für euch?
Hier in Einsiedeln hat es eine Beinpresse, ansonsten trainieren wir hier tatsächlich ausschliesslich mit freien Gewichten. Aber natürlich nutzen wir ab und an auch zum Beispiel die Beinpresse, wenn ich einen Muskel gezielt auslasten will. Aber ansonsten sind es tatsächlich die freien Gewichte.

Wie stehst du zu neuen Trainingsmethoden, wie beispielsweise dem Okklusionstraining oder Blood Flow Restriction Training? Dieses nutzte zum Beispiel Carlo Janka gegen Ende seiner Karriere, um seine Rückenbeschwerden in den Griff zu bekommen.
Ich habe das auf dem Radar. Und es ist natürlich ein sehr interessanter Ansatz. Gerade fortgeschrittene Sportler:innen profitieren von den metabolischen Reizen. Es ist jedoch eine psychische Herausforderung, da eine solche Trainingseinheit sehr schmerzhaft ist (schmunzelt).

Und wie sieht nun ein durchschnittliches Workout von Michelle Gisin oder Wendy Holdener konkret aus? Was trainierst du mit ihnen, wenn sie aus den Ferien zurück sind?
Ich könnte dir das jetzt im Detail erklären. Aber weisst du was? Wie wäre es, wenn ich es dir ganz einfach zeige und du ein solches Training gleich selber ausprobierst?

Okay, Challenge angenommen. Dann gehe ich mich mal umziehen.

Gleich ist vorbei mit gemütlich.
Gleich ist vorbei mit gemütlich.

Legday oder das Workout eines Skiprofis

Was daraus geworden ist und ob ich die Challenge überstanden habe? Das ausführliche Trainingsvideo dazu gibt's demnächst. Hier schon mal ein kleiner Vorgeschmack:

Du willst mehr Schmerzen und Qualen – du willst mich leiden sehen? Dann folge hier meinem Autorenprofil und verpasse die Fortsetzung nicht.

15 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar