Deine Daten. Deine Wahl.

Wenn du nur das Nötigste wählst, erfassen wir mit Cookies und ähnlichen Technologien Informationen zu deinem Gerät und deinem Nutzungsverhalten auf unserer Website. Diese brauchen wir, um dir bspw. ein sicheres Login und Basisfunktionen wie den Warenkorb zu ermöglichen.

Wenn du allem zustimmst, können wir diese Daten darüber hinaus nutzen, um dir personalisierte Angebote zu zeigen, unsere Webseite zu verbessern und gezielte Werbung auf unseren und anderen Webseiten oder Apps anzuzeigen. Dazu können bestimmte Daten auch an Dritte und Werbepartner weitergegeben werden.

Hintergrund

Der Selbstversorger, der sich selbst vergass

Darina Schweizer
18.12.2024
Bilder: Christian Walker

Joscha Boner war drei Jahre lang Selbstversorger. Das endete in der kompletten Erschöpfung. Der 30-Jährige erklärt, weshalb es in der Schweiz kaum machbar ist, wie ein Leben im Einklang mit der Natur aber auch anders gelingen kann.

Die Vorstellung ist paradiesisch. Ein Garten voller Pflanzen, die alles bieten, was es zum Leben braucht: Essen, Medizin, Pflegeprodukte. Ein Leben im Einklang mit der Natur. Davon träumen viele. Der Trend zum Anbauen von Pflanzen, Gemüse und Obst nimmt in Europa stetig zu. Mittlerweile gärtnern drei von vier Menschen, wie eine von Galaxus beauftragte Studie zeigt:

Joscha Boner ging noch einen Schritt weiter ins Grün. 2020 entschied sich der Bündner Umweltingenieur, aus seinem stressigen Alltag auszusteigen. Der damals 26-Jährige pachtete mit seiner Partnerin Désirée Kuhn im Aargau einen Hof. Drei Jahre lebte das Paar als Selbstversorger. Doch das schlug fehl. Statt in der Erfüllung endete Joschas Traum in einem Burnout. Heute weiss er, warum. Und wie es anders geht.

Zu schnelles Wachstum auf zu dünnem Boden

Ein Wohnquartier im solothurnischen Niedergösgen. Hier leben Joscha und Désirée heute – in einer Wohnung ohne Garten. Ein Waldstück und eine Wiese liegen ganz in der Nähe. Dorthin sind Joscha und ich unterwegs. Laub raschelt unter unseren Füssen, als wir uns dem Waldrand nähern. Hier sammelt Joscha täglich, was die Natur im «Angebot» hat.

Mit der Hand fährt er über Blätter einer Brennessel – von unten nach oben, damit es nicht brennt. Als er sie verreibt, rieseln Samen in seine Hände. «Die haben viele Antioxidantien», sagt er. «Sie bekämpfen Krankheitserreger und bringen dich wieder in Schwung.» «Super, das kann ich brauchen», meine ich verschnupft und beisse auf die würzigen Samen.

Um Joschas eigene Gesundheit stand es vor einem Jahr schlecht. Drei Jahre Selbstversorgung trieben ihn in die komplette Erschöpfung. «Wir wollten zu viel und sind zu schnell von 0 auf 100 gestartet», sagt Joscha und blickt nachdenklich zu einer imposanten Eiche hoch.

Das gepachtete Land lag an einem steilen Hang. Die insgesamt drei Hektar bewirtschaftete das Paar ganz allein. Anbausysteme, Verarbeitung der Pflanzen, alles brachten sie sich selbst bei. Einen Teil ihrer Ernte verkauften sie auch auf Märkten. Doch die Kosten, vor allem für die Pacht, waren ohne ihr vorheriges Einkommen als Angestellte nicht zu stemmen. Joscha sagt:

«Das Leben als Selbstversorger wird zu oft romantisiert. Aus meiner Sicht funktioniert es finanziell nur, wenn man Land besitzt, genug Geld auf der Seite hat oder in einer Gemeinschaft lebt. Man muss sehr asketisch sein und die eigenen Bedürfnisse stark zurückstellen.»

Das tat Joscha komplett. Von morgens bis abends schufteten Désirée und er, bildeten sich nebenbei im Gartenbau weiter und schlugen sich mit Bauvorschriften herum. Und dann ging plötzlich nichts mehr. Der Tiefpunkt war erreicht. Über ein Jahr kämpfte sich der 30-Jährige aus dem Burnout. Er gibt zu, dass er erleichtert ist, nun eine Pause vom eigenen Garten zu haben. Dafür nutzt er umso mehr die Natur vor seiner Haustür.

Als Selbstversorger hat er über die Jahre viel Wissen gesammelt. Das gibt er mittlerweile an andere weiter. Unter dem Namen Erdwandler führt er Wildkräuter-, Permakultur- und weitere Naturkurse durch. Aber warum «Erdwandler»? Joscha erklärt:

«Ich wandle selbst, indem ich ständig draussen unterwegs bin. Und ich möchte die Menschen wandeln, indem ich versuche, sie wieder mit der Natur zu verbinden.»

Das probiert Joscha heute auch mit mir. Der 30-Jährige geht in die Hocke und zieht mit aller Kraft an einer buschigen Pflanze. Mit einem Ruck löst sie sich. Joscha hält mir lange, dünne Würzelchen entgegen. «Nelkenwurz. Daraus lässt sich eine Tinktur machen. Gegen Zahnschmerzen», sagt Joscha schnaufend.

«Ganz schön anstrengend, was?!», entgegne ich. Joscha nickt. Das sei etwas, was man gerne unterschätze. «Beim Sammeln kann man Glück haben und so viel finden, dass man nicht alles ernten kann. Oder aber man geht leer aus. Selbstversorgung aus dem Garten ist da berechenbarer, aber nicht weniger anstrengend», sagt er mit Blick auf seinen noch fast leeren Weidenkorb.

Auf den Spuren des Chicken of the Woods

Ein lautes Grummeln lässt mich zusammenzucken. Vor lauter Naturheilkunde hat mein Magen zu knurren begonnen. Joscha weiss, wo wir jetzt hinmüssen. Ich folge ihm tiefer in den Wald. Laub raschelt an unseren Füssen, um die gekrümmten Bäume über unseren Köpfen rankt Efeu. Daraus hat Joscha als Selbstversorger einst Waschmittel hergestellt.

Doch sein Blick ist auf etwas anderes gerichtet. Im Dickicht hat er etwas Oranges entdeckt. Seine braunen Augen beginnen zu funkeln. «Lust auf Waldhühnchen?», fragt er. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Moment, was für ein Hühnchen?

Beim Gedanken an Lebensmittel knurrt mein Magen erneut. Ich muss mich noch etwas gedulden. Immerhin gibt es gleich Apéro. Auf dem Rückweg pflückt mir Joscha ein paar Kornelkirschen. Und dann treffen wir sogar auf Schwarznüsse. Versteckt zwischen heruntergefallenem Laub und Zweigen hat Joscha sie entdeckt.

Ich staune über seine Beobachtungsgabe, über sein Auge fürs Detail. Der 30-Jährige sagt, das sei etwas, was er seinem Autismus und ADHS zu verdanken habe. Wenn er in der Natur unterwegs sei, nehme er feinste Einzelheiten und Muster wahr. In seinem Job als Umweltingenieur war diese Sensibilität eine Belastung. Aber als Kursleiter ist es ein Segen.

«Ich glaube, dass jeder irgendwann seine Nische entdeckt. So, wie jedes Lebewesen in der Natur eine Aufgabe erfüllt.»

Joscha hat seinen Platz gefunden. Seine Naturkurse sind beliebt und das Einkommen reicht endlich zum Leben. Er ist glücklich, nicht nur – wie einst als Selbstversorger – im Einklang mit der Natur, sondern auch im Einklang mit sich selbst zu leben. Mittlerweile hat er sogar wieder eine Wohnung mit einem kleinen Garten in Aussicht. Als er die Schwarznuss aufknackt, blickt ihm eine Herzform entgegen. Fast so, als wolle sie ihm etwas sagen.

Willst du wissen, wie du auf zukünftigen Spaziergängen in der Natur deine Hausapotheke füllen, Waschmittel herstellen und deine Speisen verfeinern kannst? Das erklären dir Joscha und ich bald in einer Serie. Folge mir also.

142 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Ich liebe alles, was vier Beine oder Wurzeln hat – besonders meine Tierheimkatzen Jasper und Joy sowie meine Sukkulenten-Sammlung. Am liebsten pirsche ich auf Reportagen mit Polizeihunden und Katzencoiffeurinnen umher oder lasse in Gartenbrockis und Japangärten einfühlsame Geschichten gedeihen. 


Hintergrund

Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.

Alle anzeigen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Coole Touren für heisse Hundstage

    von Darina Schweizer

  • Hintergrund

    Steinzeit-Matratzen, Alkohol und Kissenlieblinge – fünf Schlaf-Episoden

    von Martin Jungfer

  • Hintergrund

    Apnoetauchen: Tief einatmen und entspannt durch die Unterwasserwelt schweben

    von Siri Schubert