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Hintergrund

Die unsichtbaren Unverzichtbaren

Michael Restin
12.2.2020
Bilder: Thomas Kunz

Sie sind die Wächter der Unterwelt. Die 30 Männer des Kanalnetzbetriebs des Tiefbauamts der Stadt Bern kümmern sich um 300 Kilometer Kanalisation. Wenn für die Bürger der Bundesstadt das Geschäft erledigt ist, fängt ihre Arbeit erst an.

Der Laie lernt: Alles nicht so einfach. Es ist eine schmutzige Geschichte, die viel Knowhow und Infrastruktur erfordert. Eine Geschichte von Kanälen, Regenüberlaufbecken, Fallschächten, Drossel- und Regulierbauwerken. Von Fachwissen und Fäkalien. Von einem seit dem Mittelalter gewachsenen System zur Siedlungsentwässerung, das sich mit sperrigen technischen Begriffen erklären lässt. Oder erleben.

In der Schwarzzone

Das zivile Leben wird an der Garderobe abgegeben. Ab der nächsten Tür, in der «Schwarzzone», ist Arbeitsmontur angesagt und eine Sicherheitseinweisung nötig. Wer ins Kanalnetz einsteigt, muss vorbereitet und gut ausgerüstet sein. Leuchtkleidung, Helm und Lampe. Handschuhe natürlich. Mit Spikes besetzte hüfthohe Gummistiefel, denn es kann schlüpfrig werden.

«Wir bekommen jeden Morgen einen detaillierten und auf Bern zugeschnittenen Wetterbericht. Dazu gibt es Alarm-SMS auf sämtliche Handys, wenn sich eine Regenzelle entwickelt», sagt Flückiger. «Die Schachtwache würde das empfangen können und die Kollegen im Schacht mit Morsealarmen und Pfeifen akustisch warnen.» Alleine steigt hier keiner ein.

Bei unseren Rettungsübungen hat schon der eine oder andere Feuerwehrmann geschwitzt.
Raphael Flückiger

Wenn die Systemleistung am seidenen Faden hängt

Damit die Pumpe effizient arbeitet und sich keine Feststoffe festsetzen, wirbelt der Mann mit der Lanze das restliche Wasser auf. Ausserdem werden die Wände regelmässig gereinigt. Weiter oben warten drei Pumpen auf Starkregen, der das Becken an seine Kapazitätsgrenze bringen kann. «Wenn sich zu viel Wasser ansammeln würde, müssten wir entlasten und darüber verdünntes Abwasser in die Aare führen», sagt Flückiger.

Natürlich fliessen im Jahr 2020 nicht nur Schmutz- und Regenwasser, sondern auch Datenströme, die Auskunft über den Zustand der Systeme im Kanalnetz geben. «2500 Datenpunkte senden im 15-Sekunden-Takt Updates», sagt Alain Fallegger. Und wenn bei einer Pumpe die Leistung nicht stimme, könne es sein, dass der Grund dafür ebenso unscheinbar wie ärgerlich ist.

Zahnseide und Feuchttücher, die sich nicht zersetzen, sind am schlimmsten für uns. Die verstopfen die Pumpe.
Alain Fallegger

Zurück an der frischen Winterluft verströmt der junge Tag Leichtigkeit. Morgensonne reflektiert auf den umliegenden Dächern, die Aare strömt ruhig dahin und das Abwasser, das den Fluss unterquert, ist vergessen, sobald sich die Tür des Pumpwerks schliesst. «Wir gehen im Sommer hier baden», sagt Flückiger, bevor er wieder ins Auto steigt und bald vor einem kleinen Problem steht.

Während Kollege Fallegger ihn organisiert, bleibt Zeit für ein paar Anekdoten. Von der Fahndung mit Haken und Ködern, um Feuchttuch-Sünder an ihrem eigenen Abfluss zu überführen. Von Bikinis im Kanal oder dem fehlgeschlagenen Versuch, das Haustier per Toiletten-Bestattung auf die letzte Reise zu schicken. Was irgendwie durchs Rohr passt, wird runtergespült.

Die Echokammer

In der Inselkloake

Du darfst keine Berührungsängste haben, wenn die Wände leben.
Stefan Botta

Slow-TV vom Feinsten

Kollege Theo Maibach sitzt heute im Wagen und übernimmt die Steuerung des Gefährts. Die beiden sind ein eingespieltes Team und stets gemeinsam unterwegs. Sie dokumentieren den Zustand des Kanalnetzes und vermerken jeden Anschluss, jeden Riss, jede Muffe. Kunststoffrohre wie dieses sind ein Problem. «Nicht unser Lieblingsmaterial», sagt Mitter. «Die sind rutschig, dafür haben wir eigentlich Granulaträder.» Im Heck ihres Einsatzwagens steckt reichlich Zubehör.

Theo Maibach blickt auf fünf Monitore und steuert per Joystick den Roboter. «Seitlicher Anschluss, verschlossen», trägt er in eine Tabelle ein und richtet die Kamera aus. «Wir machen immer eine Totale und Detailaufnahmen», erklärt er, der im Austausch mit Michael Mitter einschätzen muss, in welche Lage er die teure Technik manövrieren kann.

Ihre Videoaufnahmen, versehen mit Daten und Koordinaten, sind wertvoll für die Kollegen aus der «Planung Siedlungsentwässerung», wo Ingenieure über Sanierungsmassnahmen entscheiden. Und für Kollegen wie Stefan Botta, der sich vor manchem Einsatz ein Bild davon machen kann, was ihn im Kanal erwartet.

«Da liegt ein Praliné», sagt Theo Maibach grinsend und schwenkt die Kamera auf ein braunes Hindernis. Mitter und Maibach dringen bis in die Kapillaren des Kanalsystems vor, von wo aus das Wasser ungehindert in die tieferliegenden Adern, die Sammelkanäle, fliessen soll. Einen Schoggijob im Vergleich zu denen, die nach unten müssen.

Der ganze Dreck ist noch da

Genau genommen ist diese Tür ein Fenster. Darunter ist nichts. Eine Leiter, die in den Speicherkanal Länggasse-Aare führt, ist seitlich versetzt daneben angebracht. Hier leben die Wände, ist alles von schmieriger Sielhaut bedeckt und der Abwasserstrom gewaltig.

Vorsichtige Schritte im Schlick, eine Hand am Sicherungsseil, Toilettenpapier überall. Keine Zeit, sich zu ekeln. «Das ist nur Materie, damit kann ich umgehen», sagt Martin Pauli, ein Veteran, der seine «Kanaltaufe» längst hinter sich hat. Ausgerutscht, eingetaucht, umgezogen, weitergemacht. Berufsrisiko. Nochmal gut gegangen. «Hier wäre die Strömung zu stark, da bist du weg», warnt er. Deshalb: festhalten und vorsichtig gehen.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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