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Hintergrund

Warum Jäger auch ohne Beute glücklich sind

Die Jagd ist wohl in keinem anderen Kanton der Schweiz so stark verankert wie in Graubünden. Nicht hinter jedem Baum sitzt ein Jäger, aber beinahe. Rund 5500 sind jeweils im September mit Rucksack und Gewehr auf der Hochjagd. Zwei von ihnen habe ich begleitet.

Rückblende: zwei Tage zuvor

Abfahrt in Chur: Ich bin mit Marco verabredet, einem der beiden Jäger, der hier eine Praxis für Physiotherapie betreibt. Wir machen uns auf den Weg ins Calancatal. Von Arvigo geht ein Strässchen auf rund 1500 Meter über Meer zur Jagdhütte. Die schmale Strasse schlängelt sich in Serpentinen vom Tal den Berg hinauf. Am Abend vor dem ersten Jagdtag ist die Fahrt zur Hütte erlaubt. Danach muss das Auto im nächsten Dorf parkiert werden.

Schliesslich erreichen wir die Hütte, wo uns Claudio bereits mit Käse, Salsiz und Brot erwartet.

Ein Tag fast zum Vergessen

Den Rest des Vormittags verbringen Claudio und Marco mit kleineren Arbeiten an der Hütte. Es gibt immer was zu tun. Zum Beispiel Nägel entfernen, die im Vorratsraum aus den Holzbalken ragen und an denen man leicht hängen bleibt. Und dann ist es auch bald schon Zeit, das Mittagessen vorzubereiten. Holz spalten, Grill anfeuern und Salat rüsten.

Um halb sieben erreichen wir schliesslich das Gebiet, wo Claudio und Marco heute noch ansitzen wollen. Wir installieren uns so gut es geht an einem steilen Abhang im hohen Gras und warten.

Dann sind wir in der Hütte. Duschen, essen, schlafen. Mehr geht heute nicht mehr. Ein Tag, der nur beinahe zum Vergessen war, geht zu Ende. Wir konnten das Hirschkalb für einige wenige Minuten beobachten. Was für ein wunderbarer Anblick. Durchaus erleichtert, dass es nicht geschossen wurde, schlafe ich ein.

Ein Tag, der bleibt

Auf wenigen Kilometern legen wir über 500 Höhenmeter zurück. Das bedeutet, dass Claudio und ich auf dem Hinweg praktisch ausschliesslich in Falllinie den Berg hinaufgehen. Das ist zwar anstrengend, aber kein Vergleich zum Rückweg. Dazu komme ich später. Wir gehen quasi dem Sonnenaufgang entgegen, ein majestätisches Spektakel. Das Panorama der Bergwelt ist atemberaubend.

Die aufgehende Sonne taucht die Gipfel um uns in ein bernsteinfarbenes Licht. Ich bleibe stehen und sauge die Stimmung in mich auf. Dann gehen wir still weiter. Eine Mischung aus Demut und Dankbarkeit macht sich in mir breit.

Und so ist dann dieses Bild entstanden:

Mit dem Entfernungsmesser in seinem Feldstecher bestimmt Claudio die Distanz zwischen uns und dem Mungg: Es sind rund 170 Meter, mal ein paar weniger, mal ein paar mehr. Und obwohl der Jäger zwischen 0 und 200 Metern grundsätzlich schiessen darf, ist die Distanz für einen Schuss auf das Murmeltier zu gross. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass sie für einen Mungg nicht mehr als rund 50 Meter sein soll.

Dieses ungeschriebene Gesetz scheint auch das Murmeltier zu kennen und spielt in den nächsten eineinhalb Stunden Katz und Maus oder Mungg und Jäger mit uns. Mal ist es 100 Meter entfernt, mal 190 und mal 70. Es sind jedoch nie weniger als besagte 50 Meter. Nach 90 Minuten haben wir genug, sagen dem Murmeltier «In bocca d'luf», ein Jägergruss, mit dem man sich eine gute Jagd wünscht und machen uns auf den Heimweg.

Und so sitze ich mit leerem Blick und Schmerzen im Knie, erschöpft, nass geschwitzt und hungrig vor der Hütte. Claudio bringt mir etwas zu trinken, während Marco aus der Küche kommt und sagt: «Die Glut ist schön heiss, der Salat auch fertig. Ich lege jetzt die Würste auf den Grill. In zehn Minuten gibt's zu essen». Ich möchte ihn umarmen.

Zum Abschluss der Bündner Hochjagd 2021 lassen wir die Seele vor der Hütte baumeln. Marco hat einige Finnenkerzen vorbereitet, die wir nun anzünden.

Dazu bereitet er uns später am Abend ein traditionelles «Prättigauer Chäsgetschäder» zu. Eine Art Fondue mit Milch und Zwiebeln statt Weisswein und Knoblauch. Pfanne auf den Tisch, jedem einen Löffel in die Hand und die Welt ist in Ordnung.

Epilog

Ein Wildtier stammt nicht aus einer Zucht, verbringt sein gesamtes Leben in Freiheit und muss, wenn der Jäger seinen Job sauber macht, nicht leiden. Demnach wäre Fleisch aus der Jagd wirklich nachhaltig, alles andere wohl nicht oder nur teilweise. Ergo müssten wir Fleischesser unseren Bedarf konsequenterweise aus der Jagd decken oder aber auf Fleisch verzichten.

Was habe ich auf der Bündner Hochjagd noch gelernt? Dass ich nach zwei Tagen bereits ein Schlafmanko habe, ich nicht gerne bergab gehe, gutes Essen für die Moral essenziell ist, ein Jäger auch dann glücklich sein kann, wenn er keine Beute macht, wir beim Katz- und Mausspiel mit dem Murmeltier verloren haben und die Berge für meine Psychohygiene und mein Seelenheil von unschätzbarem Wert sind. Für diese Erfahrungen danke ich Claudio und Marco aus tiefstem Herzen.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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