«Doctor Strange 2» – der pure Wahnsinn!
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«Doctor Strange 2» – der pure Wahnsinn!

Luca Fontana
4.5.2022

Es könnte einer der am meisten erwarteten Marvel-Filme der letzten Jahre sein: «Doctor Strange in the Multiverse of Madness». Wahnsinnig ist der Film in der Tat. Aber er verschenkt auch Potenzial. Schade, bei einem Regisseur wie Sam Raimi.

Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Wenn «Doctor Strange in the Multiverse of Madness» etwas ist, dann der Film der vielen Fortsetzungen. Etwa von «Doctor Strange» – okay, klar –, aber auch von «Spider-Man: No Way Home», «WandaVision», «Loki» und … Keine Sorge, ich verrate nichts. Spoiler und so. Gestemmt wird das multidimensionale Projekt von Regisseur Sam Raimi. Klingelt da was? Raimi war es, der anno 2002 «Spider-Man» ins Kino brachte.

Warum das besonders ist? Weil «Spider-Man» den Startschuss für eine mittlerweile 20 Jahre andauernde Superhelden-Dominanz in Kinos gab. Sicher: 1998 gab es «Blade». Zwei Jahre später «X-Men». Wegbereiter, ohne Zweifel. Aber Comic-Verfilmungen waren noch immer ein Nischen-Genre. Massentauglich gemacht hat sie erst Sam Raimis «Spider-Man».

Jetzt, zwei Dekaden später, kehrt Raimi zu Marvel zurück. Darauf haben sich seine Fans gefreut. Und ja, seine Handschrift ist da. Nur nicht so stark, wie ich es mir erhofft hatte.

Darum geht’s in «Doctor Strange in the Multiverse of Madness»

Das Multiversum gibt’s. Und es ist gefährlich. Mittendrin: die junge America Chavez (Xochitl Gomez). Ihre besondere Gabe liegt darin, zwischen den Realitäten im Multiversum springen zu können – als Einzige. Das ruft böse, unbekannte Kräfte auf den Plan, die diese Gabe für ihre eigenen Machenschaften an sich reissen wollen.

Zum Glück läuft Chavez auf ihrer Realitäten übergreifenden Flucht zufällig dem mächtigsten Zauberer der Erde – Erde 616, übrigens – über den Weg: Doctor Strange (Benedict Cumberbatch). Der will Chavez beschützen und rausfinden, wer hinter ihr her ist. Dafür holt sich Strange bei Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen) Hilfe, der Scarlet Witch, dem einzigen Individuum, das noch stärker sein könnte als er selbst.

Weihnachten für … ja, für wen eigentlich?

Es ist ein seltsames Gefühl, das sich nach «Multiverse of Madness» bei mir breitmacht. Es ist, als ob Weihnachten wäre und ich alle möglichen Geschenke bekommen hätte – nur nicht die, die auf meiner Wunschliste standen. Das macht Weihnachten nicht schlecht. Die Geschenke sind ja toll. Aber … ein bisschen enttäuscht bin ich trotzdem.

«So schlimm also?»

«Nein, aber…»

Nein, aber. Das wirst du noch ziemlich oft in diesem Review lesen. Fangen wir mit Regisseur Sam Raimi an. Der hat seine Wurzeln im Horror-Genre. Unvergessen seine ikonische und mindestens genauso brutale «Evil Dead»-Trilogie. Seit deren unerwarteten Erfolg kriegt der damalige Hauptdarsteller Bruce Campbell in praktisch jedem Sam-Raimi-Film einen Gastauftritt. Das soll Glück bringen. Auch in «Multiverse of Madness».

Raimis Horror-Wurzeln sind es, auf die ich mich in «Multiverse of Madness» am meisten gefreut habe. Sie sind ja auch in all seinen anderen Filmen zu spüren. Selbst im kindgerechten «Spider-Man 2». Erinnerst du dich zum Beispiel an die Szene, in welcher Chirurgen versuchen, Doctor Otto Octavius die Tentakel vom Rücken zu trennen? Das ist Horror pur. Geht schon fast in Body-Horror über.

Genau das wollte ich in «Multiverse of Madness» sehen. Gekriegt habe ich aber viel weniger. Okay: Ein paar ziemlich abgefahrene Szenen hat es. Aber so gruselig wie oben wird’s nie. Nur gruseliger, als wir es vom Marvel Cinematic Universe (MCU) gewohnt sind. Das ist bei der tiefen Messlatte aber noch keine Auszeichnung. Deshalb erstaunen mich die ersten Reaktionen umso mehr. «It goes fully horror – jump scares, body horror, and a smattering of diabolical kills», lese ich da. Keine Ahnung, wo die Leute das gesehen haben. Für mich ist das mehr Hype als Wahrheit.

Anderes Beispiel: Drehbuchautor Michael Waldron. Dass er zusammen mit Raimi die Geschichte von «Doctor Strange» fortführen darf, ist kein Zufall. Waldron schrieb nämlich schon die geniale «Loki»-Serie, in der zum ersten Mal das Multiversum in Erscheinung tritt. Also Paralleluniversen. Oder andere Realitäten. Wissenschaftliches Comic-Mumbo-Jumbo halt.

Das Buch von … Vash … Vashan … Vishan … Vishanan … ti? Ach egal. Das Buch ist jedenfalls wichtig.
Das Buch von … Vash … Vashan … Vishan … Vishanan … ti? Ach egal. Das Buch ist jedenfalls wichtig.
Quelle: Marvel Studios

Gut, Waldron kennt sich aus, denke ich mir. Er weiss, wie man mit dem Konzept rumspielt. Tut er auch, teilweise sogar irre gut. Einfach auf der grossen Leinwand und mit unendlich viel mehr Geld als noch in «Loki». Dann kommt der dritte Akt. Die zuvor gesponnenen, realitäts-übergreifenden Fäden werden ungestüm zusammenknüpft. Alles passiert viel zu überstürzt. Auch gewisse Charakterentwicklungen. Und dann endet der Film noch ganz abrupt. Nach der Pressevorführung stand mir während des ganzen Abspanns ein richtig verdutztes «Hä?» ins Gesicht geschrieben.

Das hat zuletzt nur Marvels «Eternals» geschafft.

Das Multiverse of Madness ist wahrlich wahnsinn

«Eternals». Ohje. Den Film habe ich damals ja regelrecht zerpflückt. Bevor wir uns missverstehen: Ich mag «Multiverse of Madness». Ich mag «Multiverse of Madness» sogar lieber als «Spider-Man: No Way Home», auch wenn ich mit ein paar Entscheidungen, die Raimi und Waldron getroffen haben, ganz und gar nicht einverstanden bin.

Aber.

«Multiverse of Madness» macht unheimlich viel Spass. Von der ersten Sekunde an. Die geht schon mit einer riesengrossen Actionszene los. Darauf folgt gleich die nächste. Und dann noch eine. Oktopusse kraxeln an Hochhäusern rum. Portale öffnen sich. Da sind Invasionen. Da sind Belagerungen. Zauberer bekämpfen Dämonen und weiss-der-Geier-was-noch-alles. «Multiverse of Madness» hält nichts zurück. Schöpft aus dem Vollen. Stilsicher, verspielt und angenehm leicht an visueller Extravaganza kratzend – als ob Raimi der «Madness» im Filmtitel gerecht werden wollte.

Ein bisschen an Raimis «Evil Dead» oder «Drag Me to Hell» erinnern die Bilder schon.
Ein bisschen an Raimis «Evil Dead» oder «Drag Me to Hell» erinnern die Bilder schon.
Quelle: Marvel Studios

Bezeichnend. Aber auch gefährlich. «Mit dem Multiversum gibt es zu jeder Krankheit eine Heilung, und zu jedem Problem eine Lösung», sagt nämlich ein Charakter im Film. Es könnte auch ein Zitat aus Marvels Management sein; das MCU ist mittlerweile selbst zu einem «Multiverse of Madness» geworden. Das ist aufregend, weil keine Fan-Theorie mehr zu verrückt ist, um nicht vorstellbar zu sein. Es nimmt dem Ganzen aber auch die Spannung. Denn wenn alles möglich ist, was hat dann noch Bedeutung? Jeder Schicksalsschlag könnte jederzeit durch eine multidimensionale Reise rückgängig gemacht werden. Was fehlt, sind echte Konsequenzen. Die Fallhöhe.

Das Gefühl, dass es eben nicht zu jedem Problem eine Lösung gibt.

Cumberbatch und Olsen tragen den Film

Noch überwiegt aber die Freude an der brachialen Action, dem schier endlosen Fan-Service und den ganzen Cameo-Auftritten, die Marvel seit «No Way Home» abfeiert. Und irgendwo
dazwischen findet Raimi dann doch Raum für seine Charaktere. Ein bisschen. Viel Charakterentwicklung kriegen sie nicht. Wie gesagt: Es passiert alles etwas gar schnell, vor allem zum Ende hin. Aber Raimi hat ja seine beiden Hauptdarsteller, die aus ganz wenig eben doch ganz viel machen: Benedict Cumberbatch und Elizabeth Olsen.

Gerade Cumberbatch könnte ich ewig als Doctor Stange zuschauen. Kein anderer gibt den leicht arroganten, aber meistens eben doch sympathischen «Master of the Mystic Arts» so glaubwürdig wie Cumberbatch. «Bist du glücklich», wird Strange vor allem im ersten Akt immer wieder gefragt. Genau wie einst Tobey Maguires Peter Parker in «Spider-Man 2» fechtet Strange ständig einen inneren Kampf darüber aus, was das Beste für ihn und was das Beste fürs grössere Wohl wäre. Strange als Chirurg, der er einst war, versucht ständig, die Emotionen wegzudrücken. Cumberbatch spielt das perfekt.

Elizabeth Olsen war bisher pures verschenktes Potenzial im MCU – das ändert «Multiverse of Madness».
Elizabeth Olsen war bisher pures verschenktes Potenzial im MCU – das ändert «Multiverse of Madness».
Quelle: Marvel Studios

Genauso eindrucksvoll ist auch Elizabeth Olsens Wanda Maximoff. Sie bekommt sehr viel mehr Screentime, als es die Trailer angedeutet haben. Olsens schauspielerisches Talent wird dadurch endlich auch auf der grossen Leinwand gebührend gewürdigt. Kein Wunder, da muss ganz viel von jener Scarlet-Witch-Comic-Lore in den Film, die ich euch hier schon mal aufgedröselt habe. Das passt wunderbar. Denn wo Strange rational und pragmatisch ist, gibt Wanda den emotionalen Gegenpol, der die Dinge vorantreibt. Nichts prägt schliesslich mehr als der Schmerz einer Mutter, die ihre Kinder verlor.

Fazit: Kurzweiliger Spass – nicht mehr, nicht weniger

«Multiverse of Madness» wird nicht mein Lieblings-Marvel-Film. Und doch: Ich mag ihn. Wahrscheinlich mit jedem Mal Schauen etwas mehr, weil ich Neues entdecke. Gerade ich als Comic-Fan ergötze mich am vielen Fan-Service, den Querverweisen, Easter Eggs und Cameo-Auftritten.

Nein, langweilig wird’s einem definitiv nicht. Die Action-Bonanza hat es in sich. Cumberbatch und Olsen sind eine Bank. Und Raimis leicht düstere Einflüsse tun dem Franchise gut, auch wenn ich auf viel mehr Raimi’schen Horror gehofft hatte. Seine Handschrift ist zwar da, aber nicht so deutlich wie die von James Gunn in «Guardians of the Galaxy» oder Taika Waititi in «Thor: Ragnarok».

So fühlt sich «Multiverse of Madness» eher wie ein Hamburger einer sehr namhaften Fast-Food-Kette an: Spektakulär lecker während ich ihn mir genüsslich einverleibe – aber das Mahl ist kurze Zeit später trotzdem wieder vergessen.


«Doctor Strange in the Multiverse of Madness» läuft ab dem 4. Mai im Kino. Laufzeit: 126 Minuten. Freigegeben ab zwölf Jahren.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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