Garmin, Fitbit und Co.: Wie smart ist deine Smartwatch? Ein Experte erklärt’s im Interview
Hintergrund

Garmin, Fitbit und Co.: Wie smart ist deine Smartwatch? Ein Experte erklärt’s im Interview

Wearables sind tragbare Technologien, die in unserem Alltag Einzug halten. Clevere Uhren oder Armbänder zählen unsere Schritte, messen den Sauerstoffgehalt unseres Blutes oder erstellen ein medizinisches EKG. Aber wie exakt sind die Messungen, was geschieht mit den Daten und trägt bald jeder Mensch ein solches Teil am Handgelenk?

Wearables ist der Überbegriff für am Körper tragbare Elektronik und nach wie vor im Trend. Laut einer Prognose vom September 2020 sollen bis im Jahr 2024 weltweit rund 630 Millionen Smartwatches und Fitnessarmbänder im Einsatz sein. Tendenz steigend.

Prognose zum Absatz von Wearables bis 2024. Laut Quelle sollen im Jahr 2024 insgesamt rund 632 Millionen Wearables abgesetzt werden (inklusive Earwear/Hearables).
Prognose zum Absatz von Wearables bis 2024. Laut Quelle sollen im Jahr 2024 insgesamt rund 632 Millionen Wearables abgesetzt werden (inklusive Earwear/Hearables).
Quelle

Forschungsobjekt Wearables

Einer, der sich auf wissenschaftlicher Ebene mit tragbaren Technologien befasst, ist Silvio Lorenzetti vom Schweizer Bundesamt für Sport. Dort leitet der studierte Physiker und Mathematiker das Ressort Leistungssport an der eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen und betreut aktuell unter anderem ein Nationalfondsprojekt. Dabei soll eine App entwickelt werden, die das Trainingsvolumen beim Krafttraining bestimmt und schliesslich die Anpassung des Körpers an diese Belastungen voraussagen kann.

Dr. Silvio Lorenzetti.
Dr. Silvio Lorenzetti.

Silvio Lorenzetti, mir fällt auf, dass der Fokus dieser Wearables – egal von welchem Hersteller – auf den Ausdauersportarten liegt, speziell auf dem Laufsport. Warum ist das so?
Dr. Silvio Lorenzetti: Das ist ein gute und berechtigte Frage. Laufen ist über GPS und Beschleunigungssensoren einfach messbar. Damit hat man die Laufdistanz, die Schrittzahl, Tempo oder auch die zurückgelegten Höhenmeter. So lässt sich die sportliche Leistung relativ einfach erfassen und beschreiben. Das ist sicherlich der Hauptgrund, weshalb der Fokus so stark auf dem Laufen liegt. Und die Tatsache, dass viele Menschen den Laufsport betreiben.

Mit zunehmendem Alter verschiebt sich der Fokus vom Ausdauersport hin zum Krafttraining. Sollten die Hersteller dieser Tatsache nicht Rechnung tragen und ihre Technologie entsprechend anpassen?
Deine Aussage ist nur teilweise richtig. Grundsätzlich empfehlen wir allen Menschen ab 18 Jahren, mindestens zweimal pro Woche ein Krafttraining zu absolvieren. Zusätzlich zum Cardiotraining. Das ist übrigens eine Empfehlung der WHO.

Eben, und diese Tatsache ignorieren die Hersteller der Wearables – egal, ob Garmin, Polar oder Coros – meiner Meinung nach.
Ja, da gebe ich Dir recht. In diesem Bereich ist die Branche tatsächlich aus wissenschaftlicher Optik nicht optimal aufgestellt. Es gab allerdings vor Jahren Unternehmen, die sich auf den Kraftsport spezialisiert hatten. Push war eine solche Firma. Die hatten ein Wearable entwickelt, das sich auf das Krafttraining fokussierte. Allerdings hat sich dieser Bereich in den letzten Jahren ein wenig verändert.

Inwiefern
Viele, die Kraftsport leistungsorientiert betreiben, praktizieren geschwindigkeitsbasiertes Krafttraining. Hinzu kommt, dass dieser Sport in der Regel Indoor ausgeübt wird. Hier gibt es dann relativ einfache Möglichkeiten, zum Beispiel mittels eines Seilzugsensors, genaue Daten zu erfassen. Also einerseits hat man mit dem GPS ein gutes Produkt, um Outdoor zu laufen und andererseits ist es Indoor beim Krafttraining einfacher, andere Varianten für die Messung zu nutzen. Weil es drittens mit den gängigen Sensoren, die in den Uhren verbaut sind, schwierig ist, schlüssige Aussagen über das Krafttraining zu machen.

Eine lange Akkulaufzeit ist ein wichtiges Verkaufsargument. Aber wie steht es um die Qualität der gemessenen Daten?
Eine lange Akkulaufzeit ist ein wichtiges Verkaufsargument. Aber wie steht es um die Qualität der gemessenen Daten?

Qualität der Daten: Vor allem Werte zum Kalorienverbrauch sind mit Vorsicht zu geniessen

Stichwort: Datenqualität. Ein häufig diskutiertes Thema im Zusammenhang mit Wearables. Wie sieht es hier aus, wie genau sind denn nun die Messungen im Allgemeinen?
Hier kommt es sehr stark darauf an, welche Daten man anschaut. In Wearables sind in der Regel Beschleunigungssensoren, Winkelgeschwindigkeitssensoren und zum Teil GPS verbaut. Die ersten beiden Sensoren sind aufgrund ihrer Funktionalität limitiert, wenn es darum geht, die Position der Uhr oder die zurückgelegte Distanz exakt zu bestimmen. Die eigentlichen Beschleunigungswerte sind hingegen sehr genau.

Kannst Du das bitte etwas genauer ausführen?
Die generelle Aussage lautet: Die Sensoren messen meistens genau, die Interpretation der Daten ist jedoch relativ schwierig. Über die Fusion einzelner Sensoren lässt sich die Qualität der Informationen erhöhen.

Die letzten Sommerferien verbrachte ich im Engadin. Meine Coros Vertix 2 besitzt zwar einen Höhenmesser, dessen Angaben aber selten mit der tatsächlichen Höhe übereinstimmten.
Der Höhenmesser wird stark vom Wetter beeinflusst und Du musst ihn regelmässig kalibrieren, damit er verlässliche Daten liefert. Wenn Du ihn im Tal kalibrierst und sich auf dem Weg zum Berg das Wetter nicht grundlegend ändert, funktioniert der Höhenmesser vermutlich nicht so schlecht.

Meine Uhr sagt mir auch, wie viele Kalorien ich pro Tag verbrauche. Wie sieht es hier mit der Genauigkeit aus?
Hier muss zuerst bestimmt werden, wie hoch der Grundumsatz eines Menschen ist, und dann, wie viele Kalorien aufgrund der mechanischen Bewegung verbrannt werden. Also insgesamt sind diese Werte mit grosser Vorsicht zu interpretieren.

Die Apple Watch erstellt sogar ein medizinisches Elektrokardiogramm, kurz EKG. Wie verlässlich ist das aus Deiner Sicht?
Die Apple Watch ist von der FDA, der amerikanischen Gesundheitsbehörde, für ein solches EKG zugelassen. Also muss ich davon ausgehen, dass die Werte durchaus stimmig sind. Grundsätzlich stellt sich immer dieselbe Frage: Wofür werden diese Werte genutzt und wie werden sie interpretiert?

Brauche ich als Hobbysportler tatsächlich ein High-Tech-Tool?
Brauche ich als Hobbysportler tatsächlich ein High-Tech-Tool?

Wer braucht eigentlich diese Datenflut?

Ich als Otto Normalverbraucher bin mit der Flut an Daten und der richtigen Interpretation schnell einmal überfordert. Was sagen sie dem Spitzensportler, seinem Trainer oder Dir als Forscher?
Lass uns erst die wissenschaftliche Perspektive einnehmen. Früher beschränkte sich die Sportwissenschaft auf Leistungstest unter Laborbedingungen. Die so ermittelten Werte waren sehr präzise und hatten ihre Berechtigung. Allerdings waren diese Daten abhängig von vielen Faktoren, wie zum Beispiel der Tagesform der Athletinnen und Athleten. Die Variabilität der Sportler:innen war höher als jene der Messgeräte.

Und heute?
Es hat quasi eine Demokratisierung der Messgeräte stattgefunden. Die Wearables sind heute für relativ wenig Geld erhältlich, die so erhobenen Daten sind frei verfügbar, man kann sie auswerten. Ein grosser Teil der Athlet:innen nutzt die Möglichkeiten, die diese Technologie ihnen bietet. Unsere Aufgabe als Wissenschaftler besteht nun darin, eine Einschätzung der Datenqualität zu geben. Welche Werte sind exakt, welche sind eher mit Vorsicht zu interpretieren. Und diese Werte in Einklang zu bringen, mit den Labortests, die natürlich weiterhin durchgeführt werden. Die Kombination aus Laborwerten und den Daten der Wearables geben einen guten Überblick zum Zustand eines Sportlers oder einer Sportlerin.

Welchen Nutzen zieht ein Trainer aus der Datenflut?
Das ist tatsächlich schwierig. Ein Trainer oder eine Trainerin ist konfrontiert mit einer Flut an Informationen. Hier gilt es, die Qualität der Daten stets im Hinterkopf zu haben. Es bringt nichts, an einem Wert herumzustudieren, der sich verändert hat, weil er ungenau gemessen wurde. Und es ist entscheidend, zu verstehen, welche Parameter für die Sportler:innen tatsächlich relevant sind.

Lass uns noch über die Datensicherheit sprechen. Ein ebenfalls viel diskutiertes Thema.
Ein wichtiger Punkt. Vor allem sollte sicher jeder und jede bewusst sein, welche Daten man preisgibt, wenn ein solches Wearable genutzt wird. Und die Athlet:innen sollten sich gut überlegen, wem sie welche persönlichen Daten zu welchem Zweck überlassen. Die Daten sollten zudem stets anonymisiert über eine ID, nicht mit dem Namen, in die Cloud geladen werden. Ansonsten besteht natürlich wie generell im Internet immer die Gefahr, dass Daten gestohlen oder zweckentfremdet werden.

Haben wir dank oder wegen der Wearables heute schon den gläsernen Athleten, die gläserne Athletin?
Hier sprichst Du ein riesiges Thema an, welches wir als Gesellschaft noch breit zu diskutieren haben werden. Welche Daten machen zum Beispiel den Wert eines Athleten aus. Ich denke da beispielsweise an die Gesundheitsdaten eines Fussballers. Es würde den Verein, der diesen Spieler eventuell kaufen möchte, schon interessieren, wenn sein Kreuzband angerissen ist. Auch die Sportverbände haben ein Interesse daran, dass ihre Sportler:innen gesund sind. Die Wichtigkeit der Datennutzungsvereinbarungen zwischen den einzelnen Parteien wird künftig enorm an Bedeutung gewinnen.

Und wie sieht die Zukunft der tragbaren Elektronik aus? Heute reden wir von Smartwatches, Fitnessarmbändern, Pulsgurten und Earwear. Wann kommt die eierlegende Wollmilchsau, das eine Teil, das alles kann?
Ich denke, wir sind erst am Anfang der Entwicklung, der Weg ist noch weit. Wearables sind immer noch eine recht junge Technologie, die sich in den nächsten Jahren rasant weiterentwickeln wird. Es gibt heute bereits Firmen, die zum Beispiel Pflaster herstellen, die die Zusammensetzung des Schweisses analysieren oder die Oberflächentemperatur der Haut bestimmen. Ich bezweifle jedoch, dass es irgendwann ein Gerät gibt, dass alles kann. Ich denke, wir werden unterschiedliche Sensoren haben, die an unterschiedlichen Orten am Körper bei unterschiedlichen Tätigkeiten getragen werden. Allerdings werden diese Sensoren der Zukunft dann integrativ miteinander arbeiten. Das fehlt heute noch. Die Möglichkeit, unterschiedliche Systeme, von unterschiedlichen Herstellern zu synchronisieren und die Datenquellen zu fusionieren.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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