«Hilfe, ich werde von meinem Stalker überwacht!»: Ach, was du nicht sagst…
Hintergrund

«Hilfe, ich werde von meinem Stalker überwacht!»: Ach, was du nicht sagst…

Grosses Drama. Eine Kollegin behauptet, dass ihr neuer Freund von der irren Ex mit einer Kamera im WG-Zimmer überwacht wird. Da gibt es nur eines: Ich muss ermitteln. Weil offensichtlich kommt niemand auf die Idee, die Polizei zu verständigen, was in diesem Falle die einzig richtige Lösung wäre.

«Ich bin mir sicher, dass mein neuer Freund von seiner irren Ex per Kamera ausspioniert wird», sagt mir eine Freundin, die aus offensichtlichen Gründen nicht genannt werden will. In Zeiten des digitalen Alles und des Internet of Things ist die Überwachung eine Dauersorge und in Krisensituationen ist der Verdacht schnell da: Irgendwo hat irgendwer eine Kamera versteckt und spioniert nun dem Ex, der Angebeteten oder dem Chef nach.

Meine Reaktion ist dieselbe, die ich jedem gebe, der steif und fest behauptet, dass er vom Nachbar gehackt wird.

«Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein neuer Freund nicht von seiner irren Ex per Kamera ausspioniert wird»

«Ja, aber ich habe da so ein wirklich ungutes Gefühl!»

«Ich nicht», gebe ich weit patziger als gewollt zur Antwort.

«Kannst du nachsehen», fragt sie. Ob ihr Beau ihren Verdacht teilt, hat sie mir noch nicht gesagt. Scheint auch irrelevant.

Daher habe ich mir das Phänomen der Kamera im Schlafzimmer mal vorgenommen, nachdem ich festgestellt habe, dass da tatsächlich höchstwahrscheinlich keine Kamera war. Wer hätte das gedacht?

Wichtig in so einer Situation ist aber folgender Hinweis: Frag nicht den befreundeten Hacker. Informier die Polizei. Die illegale Überwachung eines privaten Raumes durch Dritte ist, wie der Begriff schon vorausschickt, illegal und daher strafbar.

Der soziale Aspekt

Bevor wir hier einen auf Detektive und alles machen, eine Anmerkung: Die Namen, Geschlechter, Berufe und Ortsnamen habe ich zum Schutz der Involvierten verändert. Die Privatsphäre ist wichtig.

Ich beginne die Ermittlung wie jede vernünftige Ermittlung in der Überwachungs- und Hacking-Frage. Die Schlüsselfrage kommt zuerst:

«Was macht denn die irre Ex von Beruf», frage ich. Meist hilft es, wenn du den Verstecker eines Objekt etwas kennst, wenn du es aufspüren musst.

«Irgendwas mit Sozialpädagogik. Mit Kindern. Ist das nicht schlimm? Die lassen sie auf Kinder los!»

Automechaniker sind zwar unheimlich kompetent mit Autos, aber wahrscheinlich keine Hacker. Bild: Unsplash.com/Igor Ovsyannykov

Damit beantwortet sie die Frage fast schon selbst. Denn um einen solchen Lauschangriff erfolgreich durchzuführen, braucht es doch bedeutendes technologisches Wissen. Fakt ist, dass die meisten Menschen nicht in der Lage sind, einen PC anständig zu warten. Wie sollen sie dann eine recht komplexe und illegale Operation auch nur ansatzweise schlau durchführen?

«Wie soll die Kamera denn da hingekommen sein?»

«Der Mitbewohner meines Freundes hat die Ex ins Zimmer gelassen und die hat da randaliert. Alle Kleider sind dreckig und liegen herum.»

Schade um die Wäsche. Aber die Situation, die sich zugetragen haben soll geht in etwa so: Während eine Sozialpädagogin das Zimmer des Liebsten verwüstet hat, hat sie auch noch eine Kamera so gut installiert, dass sie der Wut der Ex standgehalten hat und jetzt auch noch im Trubel der Aufräumarbeiten unauffindbar ist. Wenn du eine Kamera installieren willst, dann ist es vernünftig, dass keiner weiss, dass du da warst.

Also hat eine irre Sozialpädagogin während einem Ein-Frau-Vandalenakt irgendwo noch eine Kamera installiert.

«Aha. Da ist keine Kamera», sage ich.

«Bitte bitte schau doch mal nach», werde ich gefragt. Na gut, dann halt.

Eine Analyse der Bedrohung führt oft schon zu einer gewünschten Antwort, die dann aber selten einer glaubt. Das ist auch gut so, denn nur alleine schon in diesem Büro haben wir Quereinsteiger, die irgendwo im Hinterkopf Wissen haben, das nichts mit ihrem Beruf zu tun hat. Ein Beispiel: Auf der Redaktion digitec haben wir einen, der schreibt hauptberuflich Artikel, hat aber Elektronik studiert. Der hätte, auch wenn er Tastaturkrieger ist, die Fähigkeit eine Kamera zu installieren.

Ferner können solche Kamera-Kits fixfertig online bestellt werden. Einschalten, verstecken und fertig. Daher mache ich mich auf, die ganze Sache technologisch mal zumindest oberflächlich zu untersuchen.

Die technologische Seite

Angenommen die irre Sozialpädagogin hätte jetzt tatsächlich das technologische Wissen gehabt, eine solche Kamera aufzusetzen und dann auch noch eine solche Kamera im Zimmer des Freundes installiert, dann wäre das Gerät auch recht einfach zu entdecken.

Die meisten modernen Spionage-Kameras sind wesentlich grösser als du meinst. Das Internet ist voll von Bilder wie dem hier.

Die Kamera ist in etwa so gross wie ein Fingernagel

Das abgebildete Modell gibt es auf eBay zum Preis von etwa 18 US Dollar.

Nicht abgebildet ist die Batterie und die Antenne, die die Daten an den Empfänger überträgt. Das Konstrukt sieht so aus.

Leicht grösser

Die Kamera hat vor allem ein Feature, das sie interessant macht: Die kabellose Datenübertragung. Die irre Ex könnte also einmal ins Zimmer des Angebeteten eindringen, dort die Kamera verstecken und dann warten, bis der Akku leer ist. Sie müsste die Kamera nie mehr abholen kommen um die Daten dann zu sichten, da sie kabellos auf ein Gerät ihrer Wahl übertragen werden.

  • Im P2P-Modus dieses Kameramodells beträgt die Distanz der Übertragung laut Verkäufer etwa 10-20 Meter
  • Im Netzwerkmodus ist die Distanz dank Internet irrelevant

Die Netzwerkverbindung ist nicht im Klumpen an der Kamera inbegriffen. Dieser muss separat dazugekauft werden. Dafür können unter anderem Netgear-Geräte herhalten. Oder ein Raspberry Pi Zero, der als Wireless Access Point konfiguriert ist.

Damit wird das kleine unauffällige Überwachungskamerading definitiv zum Kabelsalat und zum Alptraum eines jeden Spions. Die ganze Apparatur unauffällig zu verstecken ist extrem schwierig, vor allem dann, wenn noch ein Zimmer dazu verwüstet werden muss.

Ferner hat die Kamera etwa 45 Minuten Akkuleistung und kann irgendwie – der Hersteller ist da nicht ganz deutlich – auf eine Leistung von 24 Stunden ausgebaut werden. Das bei einer Auflösung von 640x480 Pixeln.

Wenn du bei einer Überwachungsaktion also unendliche Stromversorgung brauchst, dann musst du die Kamera entweder in eine Steckdose einstecken oder die Wand aufreissen, die Kamera direkt in den aktiven Stromkreis der Wohnung einbauen, dann die Wand wieder so zumachen, dass keiner was merkt.

Gibt es bessere Modelle? Wahrscheinlich. Aber die Stromversorgung wird nach wie vor das Problem bleiben. Angenommen aber die Sozialpädagogin kann das Stromhindernis irgendwie umgehen. Ich sehe es meiner Kollegin an, sie ist immer noch überzeugt davon, dass die Irre irgendwie eine Kamera installiert hat. NSA-Style, weisst du.

Also gut, gehen wir weiter davon aus, dass die Ex die Fähigkeit zur Kamerainstallation hat und irgendwie das Akku-Problem umgangen hat. Hier könnte die Verwüstungsaktion ihr in die Hände spielen. Denn wenn das Zimmer schon zerstört ist, dann fallen irgendwelche Kabel wohl nicht auf. Vor allem dann nicht, wenn der neue Freund meiner Kollegin selbst technologisch unbedarft ist. Hat die Ex eine Zielanalyse gemacht? Ist die Verwüstung nur ein Ablenkungsmanöver? Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden.

Wie du eine Kamera findest

Hier wird's spannend. Eine Kamera hinterlässt nicht nur physische Spuren, sondern auch virtuelle. Denn kabellose Datenübertragung ist nicht ganz so verdeckt, wie oft angenommen wird. Es gibt da zwei Methoden, mit denen ein Grossteil der Kameras arbeitet:

  1. Die Kamera baut einen eigenen Wireless Access Point auf
  2. Die Kamera klinkt sich in ein existierendes Netzwerk ein

Die erste Methode ist am effizientesten, wenn die Installation der Kamera schnell gehen soll. Wieder mit dem Stromhindernis dauert die Installation höchstens zwei Minuten. Kamera ein, in die Wohnung, Kamera aufstellen, raus. Bei guter Vorabklärung der Zielumgebung kann das innerhalb von 30 Sekunden über die Bühne gebracht werden.

Aber da die Kamera einen eigenen Wireless Access Point aufbaut, ist sie ohne weitere Konfiguration für jedes WLAN-fähige Gerät sichtbar. Den Fehler haben die Entwickler des Sex Toys Siimee Eye gemacht, was ihre Kamerasoftware, die auf Drohnensoftware basiert, für jeden zugänglich gemacht hat.

  • Produkttest

    Svakom Siime Eye – Wir haben den Vibrator aus Sicherheitsgründen aus dem Sortiment genommen

    von Dominik Bärlocher

Die Lösung hier ist einfach: Einfach mal schnell schauen, welche Wireless Access Points rumschwirren. Ist einer da, der irgendwie verdächtig klingt, dann kann das eine Kamera sein. Aber auch irgendwas anderes. Wie zum Beispiel ein neuer Nachbar oder der Dildo der Studentin nebenan.

Die zweite Methode – die Kamera wird ins heimische Netzwerk eingehängt – ist schwieriger festzustellen. Aber nur so Bitzli. Die Hindernisse dieses Setups beginnen bereits vor der Installation der Kamera. Allermindestens müsste die irre Ex das WLAN-Passwort kennen.

Anzeigen der Netzwerkgeräte unter Windows

  1. Öffne ein Windows-Explorer-Fenster
  2. Klicke auf «Netzwerk»
  3. Schalte Network Discovery ein. Windows erklärt das im Dialog
  4. Voilà

Anzeigen der Netzwerkgeräte unter macOS

  1. IP Scanner runterladen
  2. IP Scanner laufen lassen
  3. Voilà

Im eigenen Netz sollten nur Geräte auftauchen, die du kennst. Meist können sie anhand ihrer ID erkannt werden. Mein Samsung Note 8 identifiziert sich als SM-N950F, was nicht ganz so klar ist. Aber wenn ich genau wissen will, welches Gerät, welche ID hat, dann kann ich einfach schnell die WLAN-Verbindung trennen, den Scan nochmal durchlaufen lassen und sehen, welches Gerät verschwunden ist. Oder einfach SM-N950F googlen.

Bleibt ein Gerät, das irgendwie nicht verschwinden will und das du nicht kennst? Ändere dein WLAN-Passwort. Denn das Gerät ist dann nicht mehr im Netz autorisiert und kann dann noch hundert Jahre lang Daten filmen. Das Gerät kann keine Verbindung mehr aufbauen und so keine Aufnahmen mehr aus der Wohnung senden, da ihm die Autorisierung fehlt um mit dem Netzwerk zu reden.

Die Sozialpädagogin mag irr sein, aber sie hat keine Kamera aufgestellt. Ich bin hier technologisch noch gar nicht wirklich in die Tiefe gegangen, weil nach der Beantwortung der ersten Frage nach dem Beruf der Ex die Sache eigentlich schon geklärt hat. Aber das Argument «Ich hab das mal in einem Film gesehen» oder «Ich hab da mal ein Video auf Youtube gesehen» wiegt oft schwerer als das Wissen derer, die sich mit der Materie auskennen. Zudem habe ich mir nach einigen persönlichen Horrorgeschichten über die Ex im Kopf ein Bild zurechtgelegt, das mittlerweile einem Bond-Superschurken gleicht. Egal, wie unrealistisch das ist.

Was aber, wenn SIM?

Überwachungskameras können auch mit SIM-Karten versehen werden, die Daten über das 4G-Netz transferieren. Dazu eignen sich Prepaid-SIM, auch Burner-SIM genannt, am besten. Das sind Karten, die du ohne Vertrag bekommst und eine fixe Ablaufzeit haben. In der Schweiz gibt es solche Karten nicht. Aber das wird von Land zu land anders gehandhabt.

Einige Beispiele, die momentan (Oktober 2017) stimmen:

  • In Irland kannst du die am Flughafen aus einem Automaten kaufen, ähnlich einem Selecta-Automaten.
  • In Spanien können solche Karten ohne weiteres in jedem Vodafone-Shop gekauft werden.
  • In Deutschland brauchst du einen Vertrag.

Angenommen, die Ex, die eine Art kriminelles Genie ist, hat sich für den Datentransfer mit SIM entschieden, dann muss ich irgendwie feststellen können, dass da etwas mit der Funktionalität eines Smartphones aus dem Zimmer sendet. Eine SIM-Karte generiert ein elektromagnetisches Feld.

In den App Stores Androids und iOS gibt es eine Unzahl Apps, die sich damit brüsten, Kameras aufspüren zu können. Manche davon sind völliger Unsinn, andere nicht. Wenn dein Phone einen Magnetsensor hat, dann kannst du mit dem Hidden Camera Detector nach dem elektromagnetischen Feld der Kamera suchen. Oder nach Rohren in der Wand. Das Ding schlägt auf viel an. Ein kurzer Test in der Redaktion zeigt, dass die App tatsächlich elektronische Geräte aus einer Distanz von einigen Zentimetern feststellt. Dazu macht die App einen Heidenlärm, den ich nicht abschalten kann.

Das habe ich jetzt nicht getestet, da hier die Unwahrscheinlichkeit astronomisch hoch wird. Denn dieses Szenario ist nun wirklich extrem absurd: Die Ex ist nach Irland gereist, um ohne Vertrag eine SIM-Karte zu besorgen, hat die Fähigkeit eine Kamera so zu konfigurieren, dass sie das Stromproblem nicht hat und hat Daten über 4G sendet, hat dazu noch ein Zimmer verwüstet und ist dann von Dannen gezogen.

Also, rekapitulieren wir

  • Die meisten Menschen können keine Überwachungskamera installieren
  • Entweder muss die Kamera ans Stromnetz angeschlossen werden oder hat nur wenige Stunden Akku
  • Die Datenübertragung ist leicht zu finden
  • Die Verteidigung gegen eine solche Kamera ist ebenfalls simpel

Da ist keine Kamera. Basta.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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